Salzburger Wohnbauprojekt setzt Maßstäbe: "Gnice" ist bei Wärme energieautark
Die thermische Versorgung beim Projekt der Heimat Österreich erfolgt zu hundert Prozent auf eigenem Grund.
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Der gesamte Wärmebedarf für die 17 Gebäude wird durch eigene Erzeugung gedeckt.
Ein eifriges Gewusel herrscht auf der Großbaustelle in Salzburg-Gneis. Dutzende Arbeiter bohren, hämmern, biegen Eisen, schleppen Material oder verlegen Schläuche und Verrohrungen. Ein Lkw-Mischwagen bringt gerade eine Ladung Beton, die von einem Trupp in Empfang genommen und an die richtige Stelle dirigiert wird.
Nach und nach wachsen neben bereits bestehenden Wohnbauten weitere in die Höhe. Insgesamt 258 Wohneinheiten entstehen an der Berchtesgadner Straße, angrenzend an den Eichetwald am Dossenweg, dazu kommen noch eine Krabbelgruppe, eine Arztordination sowie der Weltladen. In 17 mehrgeschoßigen Wohnbauten werden künftig 138 Mietwohnungen, 51 Eigentumswohnungen und 69 Baurechtseigentumswohnungen bezogen.
Gemeinschaftsprojekt "Silberstreif" zieht in die Anlage ein
Eines der Gebäude ist dem Verein Silberstreif - Gemeinsam wohnen 50+ gewidmet. Etwa 35 Personen haben sich zusammengetan, um nicht allein älter zu werden. Sie unterstützen einander und gestalten gemeinsam ihren Alltag. Silberstreif betreibt und finanziert den Siedlertreff "GuteStube" und bietet ein vernetzendes Programm für Siedlung und Stadtteil an. Dafür leistet jedes Mitglied mindestens 40 Ehrenstunden pro Jahr.
Thermische Energieversorgung auf eigenem Grund
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Die Gebäude der gesamten Wohnanlage werden in Hybrid-Holzriegelbauweise errichtet.
Errichtet werden die Gebäude in Hybrid-Holzriegelbau. Besonders überzeugend ist die Konzeption der Energieversorgung. "Unsere Grundidee war, die komplette thermische Energieerzeugung auf eigenem Grund stattfinden zu lassen. Damit ersparen wir uns jegliche Transportlogistik für die Lieferung von Brennstoffen", erklärt Dietmar Stampfer von ECA Energy Consulting: "Die Gegend ist sehr gut mit Gas versorgt, aber nicht mit Fernwärme. Deshalb mussten wir eine Alternative suchen." ECA deckt das komplette Feld der Haustechnik ab, mit dem Hauptfokus auf Energiemonitoring und Optimierung.
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Dietmar Stampfer (l.) und Markus Lerchner haben das innovative Energiekonzept erarbeitet.
Stampfer und sein Team haben einen Weg gefunden, wie sie Abwasserwärmerückgewinnung, Erdwärme und Photovoltaik optimal miteinander in Einklang bringen, um bei der thermischen Versorgung auf dem gesamten Areal in sich energieautark zu sein. "Für uns war die Zeit der Lockdowns während der Pandemie ein großer Vorteil, weil wir zum Nachdenken viel Zeit hatten. Die haben wir gut genutzt und damals entstanden wirklich kreative Ideen für die Energieoptimierung", erzählt der Experte.
Heizenergie aus Abwasser und Wärmepumpen
40 Prozent des gesamten jährlichen Heizenergiebedarfs werden aus jeglicher Form von Abwasser zurückgewonnen, und zwar vom Spaghetti-Kochwasser über Dusche und Wäschewaschen bis zur WC-Spülung. "Das haben wir täglich wiederkehrend in reichlicher Menge. Das Abwasser wird in zwei unterirdischen Tanks gesammelt, wo es mit etwa 20 Grad hereinkommt. Dort wird ihm permanent Wärme entzogen, bevor wir es mit etwa fünf Grad ins öffentliche Kanalsystem ausleiten."
Die Thermik kommt über Wärmepumpen in den 120.000 Liter fassenden Heizwasserpufferspeicher und wird dort gelagert. Bei Bedarf wird die erforderliche Menge entnommen und ins normale Heizsystem geleitet. "Das ergibt genau die Menge, die für Warmwasser gebraucht wird", ergänzt Markus Lerchner, Projektleiter Energietechnik.
60 Prozent des Energiebedarfs entfallen auf die Heizung in der kalten Jahreszeit, wofür die oberflächennahe Geothermie genutzt wird. "Das ist die indirekte Solarenergie, die in der obersten Erdkruste gespeichert ist, landläufig als Erdwärme bezeichnet", erläutert Stampfer. Dazu wurden auf 12.000 Quadratmetern unter der Tiefgarage die Erdwärmekollektoren (Schläuche) am Scheitelpunkt des Grundwassers verlegt. Die Erdwärme beträgt auch im Winter zwischen 10 und 14 Grad, Wärmepumpen, deren Strom aus der direkten Solarenergie auf den Dächern stammt, transportieren diese Energie ins Heizsystem.
Mittels Bauteilaktivierung kommt die Wärme in die Wohnungen
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Arbeiter verlegen auf den Zwischendecken die roten Schläuche für das Heizsystem.
Die Wohnungen werden mittels Bauteilaktivierung geheizt. Dafür werden Schläuche, in denen das so erzeugte Warmwasser zirkuliert, in allen Zwischendecken eingebaut. Diese erwärmen sich und sorgen für die als angenehm empfundene Strahlungswärme in den Wohnungen.
Das Heizsystem ist zentral geregelt, auf 20 bis 22 Grad eingestellt und lässt keine individuelle Temperaturregelung zu. "Um eine höhere Raumtemperatur in den Wohn- und Kinderzimmern zu ermöglichen, werden zusätzlich Infrarot-Strahlungspaneele in Deckennähe montiert, die über Raumthermostate gesteuert werden."
Erdkühle optimiert sommerliche Raumtemperatur
Das System funktioniert auch umgekehrt und ergibt den Zusatznutzen des "Free Cooling" im Sommer - ohne Kälteerzeugung. Die dann im Vergleich zur Außentemperatur niedrigere Erdkühle zirkuliert ebenfalls in den Schläuchen und kühlt auf diese Weise über die Bauteilaktivierung die Räume. "Den kompletten Energiebedarf für Wärme im Winter und Kühle im Sommer erzeugen wir mit diesem in sich geschlossenen, vollökologischen Kreislauf auf dem eigenen Grundstück", sind die Energieplaner stolz.
Selbsterzeugter Strom betreibt Gebäudetechnik
Der selbst erzeugte Strom der Solaranlagen betreibt die Wärme- und Umwälzpumpen aller Gebäude auf dem Gelände. Überproduktionen aus den Sommermonaten werden ins allgemeine Netz eingespeist. "Für eine derart große Wohnanlage sind Batteriespeicher nicht sinnvoll, die müssten riesig sein."
"Unser Energiekonzept ist europaweit einzigartig."
Dietmar Stampfer
ECA
Das neuartige Energiekonzept ist nach Eigenangaben europaweit einzigartig und wurde wissenschaftlich begleitet.
Das Bauvorhaben ist Teil eines internationalen Forschungsprojekts von syn.ikia. Dieses untersucht vier reale Energieversorgungskonzepte in verschiedenen Klimazonen Europas. Neben Salzburg (kontinentales Klima) nehmen daran Projekte in Norwegen (arktisches Klima), in den Niederlanden (maritimes Klima) und Spanien (mediterranes Klima) teil. "Davon ist unser Projekt eines der Leuchtturmprojekte", sind sich Stampfer und Lerchner einig.