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Ein Blumengruß mit Pestiziden

Pestizide im Blütenparadies. Pünktlich zum Valentinstag kommt die giftige Botschaft, dass manch schöne Blütenpracht Sondermüll ist. Warum ändert sich hier nichts?

Wer genau nachfragt, was auf seinen Blumenstrauß gespritzt wurde, kann ein blaues Wunder erleben.
Wer genau nachfragt, was auf seinen Blumenstrauß gespritzt wurde, kann ein blaues Wunder erleben.

So wirklich viel anfangen konnte Marco Schwaighofer mit der Leidenschaft seiner Mutter nicht. Sie hat vor 18 Jahren südlich von Graz landwirtschaftliche Fläche erworben, um Blumen anzubauen. Margrit de Colle ist Soziologin, war viele Jahre in der Entwicklungshilfe tätig und wurde 2008 zu Österreichs erster Bioblumenbäuerin. Sohn Marco stieß auf das Thema im Rahmen eines Praktikums in einem Labor, das Lebensmittel auf Pestizidrückstände testet, und forschte in der Universitätsbibliothek weiter. Was er fand, schockierte ihn: So wurde 1999 bei einer Untersuchung in Ligurien festgestellt, dass bei 60 Prozent der Menschen, die lange Zeit in der Blumenindustrie tätig waren, Krebs im Frühstadium diagnostiziert wurde. 2003 erschien eine Studie, wonach 71 Prozent der Blumenbauern und -gärtner Genschäden aufwiesen. 2017 wurden in Belgien Baumwollhandschuhe von Floristen untersucht und 111 Substanzen, hauptsächlich Insektizide und Fungizide, nachgewiesen.

80 bis 90 Prozent der in Österreich erhältlichen Blumen kommen aus dem Ausland, europäische Ware überwiegend aus Holland und Norditalien. Woher im Detail, ist nirgends vermerkt, es gibt keine Statistiken zum Blumenimportmarkt. Detail am Rande: Will man aus dem Urlaub eine exotische Pflanze mit nach Hause nehmen, benötigt man ein Pflanzengesundheitszeugnis. Dass Importblumen, insbesondere Rosen, mitunter stark pestizidverseucht sind, wird mittlerweile regelmäßig nachgewiesen. Zuletzt untersuchte Ökotest in Deutschland
21 Rosensträuße aus dem Einzelhandel. Mehr als drei Viertel wurden aufgrund der Pestizidbelastung mit mangelhaft oder ungenügend bewertet, darunter waren auch teure Sträuße von Blumenversendern.

Am besten schnitten die bei Aldi Süd erhältlichen Fairtrade-Rosen für 2,99 Euro ab. Über Holland kommen pro Tag neun Millionen Rosen in die EU. 77 Prozent stammen aus Kenia und Südamerika, dort ist für die Blumenzucht das Klima optimal, die Löhne sind gering und der Gifteinsatz ist ungeregelt. Fairtrade beispielsweise setzt sich in diesen Ländern unter anderem für faire Entlohnung und entsprechende Schutzkleidung ein, eigene Standards sorgen zudem für strenge Umweltkriterien und einen geregelten Pestizideinsatz. Jede dritte in Österreich verkaufte Rose kommt mittlerweile über Fairtrade.

Belastet sind aber nicht nur Schnittblumen, wie Untersuchungen von Global 2000 zeigten: Auch Zierpflanzen für Haus, Garten oder Balkon, die als bienenfreundlich ausgelobt werden, sind pestizidbelastet. Bei Lavendel, bekanntlich beliebt bei Bienen, würden immer wieder hohe Werte gefunden, sagt die Expertin für Pestizide und Chemikalien bei Global 2000, Waltraud Novak. Spitzenreiter im letzten Test waren Lichtnelken, auf denen 17 Giftstoffe nachgewiesen wurden, vier davon hochgefährlich für Bestäuber, zehn gesundheitlich problematisch bis krebserregend. Dass gerade auf sogenannten Bienenblühern Neonicotinoide gefunden werden, ein Gift, das Bienen schadet und in der EU mittlerweile verboten ist, erklärt Waltraud Novak so: Viele Anpflanzungen erfolgen in Nicht-EU-Ländern, und dort werden die Samen mit Neonicotinoiden gebeizt, um gegen Schädlinge resistent zu werden. "In den ausgewachsenen Pflanzen finden wir noch erstaunlich hohe Mengen", sagt Novak.


"Die Agrarindustrie stellte sämtliche Giftmittel zur Verfügung."
Angelika Ertl
ORF-Gartenexpertin


Mit Giften hantieren musste auch die ORF-Gartenexpertin Angelika Ertl im elterlichen Betrieb: "Damals, in den Neunzigern, hat uns die Agrarindustrie sämtliche Giftmittel zur Verfügung gestellt. Meine Wellensittiche sind gestorben, wir hatten ständig Augenentzündungen. Mich wundert, dass ich heute noch Haare auf dem Kopf habe", sagt sie ironisch. Ihre Maturaarbeit schrieb sie über die Rosenplantagen in Kolumbien, wo Gifte per Flugzeug ausgebracht und ganze Landstriche verseucht wurden. Wo heute in Österreich das Pflanzenschutzmittelgesetz klare Grenzen beim Ausbringen von Giftstoffen in der Landwirtschaft setzt, hieß es damals: "Spritz drüber." Dann aber habe ein Umdenken stattgefunden: Bio wurde plötzlich ein großes Thema, viele Gifte wurden vom Markt genommen, selbst wollte sie die konventionelle Gärtnerei der Eltern nicht mehr weiterführen und sattelte um.

Heute wachsen in ihren Glashäusern in Feldkirchen bei Graz Biogemüse und -kräuter, sie führt ein Reisebüro, hält Vorträge über nachhaltigen Anbau und schreibt Ratgeber. "Zehn Jahre habe ich mir den Mund fusselig geredet, dass man mit Effektiven Mikroorganismen oder Mitteln auf Kräuterbasis die Pflanzen stärken kann. Anfangs haben mich alle belächelt, jetzt denken viele um, auch Blumenproduzenten", sagt Ertl. Der Blumenmarkt jedenfalls, so ist sie überzeugt, ist im Umbruch. Auch und gerade weil eine Generation nachkommt, die so nicht mehr weitermachen will.

In Österreich erzeugen laut Statistik Austria 83 Betriebe in ihren Gewächshäusern jährlich fast 15 Millionen Tulpen, 25 Gärtnereien ziehen 5,4 Millionen Rosen, 19 Betriebe produzieren 5,9 Millionen Gerbera. Stefan Wallner aus Graz, 33 Jahre jung, ist im Premiumbereich der größte Blumenerzeuger in Österreich. Er beliefert den Fachhandel, Floristen und Gärtnereien vor allem mit Rosen, Gerbera und Tulpen.

Zur Schädlingsbekämpfung setzt er auf Nützlinge, 100.000 Euro gibt er pro Jahr dafür aus. Trotzdem muss er zusätzlich und korrigierend spritzen, allerdings mit milden Mitteln, die Nützlinge nicht töten. "Alles andere wäre kontraproduktiv", sagt er. Freilich wäre ihm am liebsten, wenn er ganz darauf verzichten könnte. Doch während Konsumenten einen Bioapfel mit "Pecker" vielleicht gerade noch kaufen würden, eine Rose mit Flecken sicher nicht. Seine Blumenproduktion ist aufwendig und teuer; Sträuße um 3,99 Euro, wie sie teils angeboten werden, sind für ihn wirtschaftlich undenkbar.

Hier liegt die Krux: Nur wenn Konsumentinnen und Konsumenten für solche Blumen mehr Geld auszugeben bereit sind, sichert das die Existenzen der wenigen verbliebenen Gärtnereien in Österreich, die wie Wallner arbeiten. Wenn sie aufgrund der Energiepreise nicht ohnehin schon aufgegeben haben: Bei Stefan Wallner sind die Kosten innerhalb eines Jahres von 300.000 auf über eine Million Euro explodiert. Im Sommer, wenn er die Bilanz für 2022/23 erstellt, wird er sich entscheiden müssen, ob er im Winter Schnittblumen anbaut. Das Worst-Case-Szenario: Die Gärtnerei wird ohne Anbau lediglich frostfrei gehalten, damit Pflanzen nicht absterben, die ersten Blumen gibt es dann frühestens im April. Der Bedarf müsste noch stärker durch Import abgedeckt werden.

Heimische Quitte statt importierter Rosen

Einen neuen Weg geht auch Emil Doll, er entstammt der Salzburger Blumendynastie. Seine Eltern kamen vor 27 Jahren nach Wien und gründeten Dolls Blumen in der Josefstadt. Emil, der eigentlich Hotelkaufmann ist, übernahm vor der Pandemie den Blumeneinkauf, zwei Monate später kamen der erste Lockdown und die bange Frage: Wie geht es weiter? Bald zeigte sich, dass bei den im Homeoffice arbeitenden Menschen die Nachfrage nach Blumen explodierte. Emil Doll aktivierte sämtliche Kontakte, um für seinen Onlineshop an Schnittblumen zu kommen. Daraus entstand der Wunsch, selbst in die Blumenproduktion einzusteigen, um zumindest in der Blühzeit unabhängiger vom Marktangebot zu sein. In Floridsdorf fand er eine aufgelassene Gärtnerei, in der seit zwei Jahren Blumen wachsen, demnächst auch biozertifiziert. Sein Blühzyklus beginnt mit Schneerosen im Spätwinter, es folgen die Frühlingsblüher, ab Mai kommen die Sommerblumen. Mit seinem Onkel, der die Kunstgärtnerei Doll in Salzburg führt und seit Jahren den Blumenschmuck für den Opernball fertigt, erdachte er sich einen besonderen Coup: Man könne in Zeiten wie diesen nicht Tausende Rosen importieren. Der Blumenschmuck 2023 wird deshalb aus blühenden Zweigen der heimischen Zierquitte bestehen, mit verschiedenen Grünsorten aus Norditalien.

"In den Pflanzen finden wir erstaunlich hohe Mengen Neonicotinoide."
Waltraud Novak
Global 2000

Was also tun? Im Winter auf Schnittblumen von weit her verzichten? Auf Rosen generell? Nur Bioblumen kaufen oder zumindest die von Fairtrade? Will man im Winter nicht auf Blühendes verzichten, braucht es Importware. Werden aufgrund der Energiepreise im nächsten Jahr Produktionen eingestellt, noch mehr. "Wir müssen einfach ehrlich darüber reden", sagt Emil Doll, über Footprints - und hier gewinnt im Winter die Rose aus Ostafrika -, über weltweite und einheitliche Regeln für den Pestizideinsatz und über die Verantwortung der Kunden. Konsumentinnen und Konsumenten könnten hier einiges bewirken, sagen Emil Doll, Angelika Ertl und Stefan Wallner: beim Blumenkauf einfach nachfragen, woher die Blüten stammen, und dann bewusst einkaufen. Stefan Wallner ergänzt: "Auch wenn die Anbaubedingungen in Kenia oder Übersee schlecht sind und Menschen krank werden: Was dort passiert, interessiert hier leider nur wenige."

Oder man macht es wie Margrit de Colle und die Slowflower-Bewegung: geduldig warten, bis die Blumen in ihrer jeweiligen Jahreszeit von selbst kommen.