"Das vertrage ich leider nicht" - Warum Unverträglichkeiten zunehmen und was man tun kann
Immer häufiger hört man diesen Satz, wenn Milch, Getreide oder Fruchtzucker auf der Speisekarte stehen. Wie Lebensmittelunverträglichkeiten entstehen und was man beachten sollte.

Die Diagnose erhielt sie vor rund sechs Jahren: Die 27-jährige Clara P. aus Koppl leidet an einer Histamin- und Fruktoseunverträglichkeit. "Wenn ich Obst gegessen habe, bekam ich oft Bauchkrämpfe und Magenstechen, nach ein paar Schluck Wein hämmerte der Kopf", erzählt sie. Seit sie von ihren Unverträglichkeiten weiß, lässt sie Lebensmittel weg, die Histamin oder Fruchtzucker enthalten. Für Clara änderte sich aber mehr als nur der Speiseplan: "Gerade am Anfang zog ich mich zurück, schlug Essenseinladungen aus." Die Akzeptanz im Umfeld kam erst nach und nach.
Nahrungsmittelunverträglichkeiten nehmen weltweit zu
Immer mehr Menschen weltweit leiden unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Am häufigsten sind Intoleranzen gegen Milchzucker (Laktose), Fruchtzucker (Fruktose) oder das Aminosäurenabbauprodukt Histamin. Fälschlicherweise werden diese Intoleranzen oft auch als Allergien bezeichnet. Der Unterschied: Bei Allergien ist das Immunsystem beteiligt und reagiert gegen etwas, was toleriert werden sollte. Bei Nahrungsmittelintoleranzen werden bestimmte Stoffe der Nahrung fehlerhaft verstoffwechselt. Dadurch gelangen sie in den Dickdarm.
Die Folge: "Dickdarmbakterien feiern quasi ein Fest mit der ungewohnten Nahrung und das sollte so nicht vorkommen", sagt die klinische Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber von der MedUni Wien. Das führt dazu, dass Betroffene oft unter Blähungen, Durchfall und Magenschmerzen leiden. Je nach Art der Intoleranz variieren die Symptome aber: Bei einer Histaminintoleranz ähneln sie zum Beispiel einer Allergie: Sie kann sich auch in Kopfschmerzen, Schnupfen oder Schwellungen im Mundbereich äußern.
Zöliakie von "Glutensensitivität" klar unterscheiden
Zu den Intoleranzen zählt man auch die Glutenunverträglichkeit. An einer sogenannten Zöliakie leiden hierzulande rund ein bis zwei Prozent der Bevölkerung. Klebeeiweiß (Gluten) ist in bestimmten Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste oder Hafer enthalten. Eine fehlgeleitete Immunreaktion auf das Gluten führt bei Personen mit Zöliakie u. a. zu einer entzündlichen Dünndarmerkrankung. "Man darf Zöliakie jedoch nicht mit "Glutensensitivität" verwechseln", sagt Kindergastroenterologin Almuthe Hauer von der MedUni Graz. Bei einer solchen Sensitivität reagiert der Körper empfindlich auf Gluten, die Darmschleimhaut bleibt aber unbeeinträchtigt.
Der Lebensmittelmarkt hat längst auf die steigende Zahl an Intoleranzen reagiert: Die Anzahl von etwa laktose- oder glutenfreien Produkten ist in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. "Gerade bei glutenfreien Produkten hat sich ein richtiger Hype entwickelt", sagt Hauer. "Wenn man das Gefühl hat, Gluten nicht gut zu vertragen, sollte man die Diagnose Zöliakie und Weizenallergie ärztlich ausschließen lassen", rät sie. Je nach Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeit kommen unterschiedliche Blut- oder Atemtests zum Einsatz.
Was hinter Nahrungsmittelunverträglichkeiten steckt
Die Ursachen von Nahrungsmittelintoleranzen sind vielfältig. "Die Lebensmittelindustrie hat sich stark verändert", sagt Ernährungsmediziner und Buchautor Maximilian Ledochowski, der lange an der MedUni Innsbruck tätig war. Den Nahrungsmitteln sei heutzutage zum Beispiel viel zu viel Fruktose oder Sorbit beigemengt.
Dazu kommt der Stress, der heutzutage oft Teil des Lebensstils ist: "Die Verstoffwechslung ist ein hoch komplexer Prozess", sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber. Die Darmbarriere funktioniere in Stresssituationen anders als in einer ausgeruhten Situation. "Auch die Zusammensetzung der Mikroorganismen in unserem Körper verschiebt sich im Lauf der Zeit", sagt die Expertin.
Geschichtliche Ursprünge von Laktosetoleranz
Bei der Laktosetoleranz zeigen sich geschichtliche Ursprünge: Säuglinge spalten mit dem Enzym Laktase die in Milch enthaltene Laktose auf. Im Erwachsenenalter geht die Fähigkeit zum Spalten der Laktose normalerweise verloren. Der nordeuropäische Mensch hat vor rund 7500 Jahren die Fähigkeit entwickelt, Milch auch im Erwachsenenalter zu verdauen. Vor allem in den Wintermonaten brachte das den Menschen Überlebensvorteile. Schätzungen gehen davon aus, dass rund drei Viertel der Weltbevölkerung Milchzucker nicht spalten können.
Wie man Intoleranzen am besten therapiert
Oft dauert es lange, bis die Ursachen von Beschwerden ermittelt sind. Hat man dann die Diagnose, besteht die Therapie darin, die Ernährung so umzustellen, dass die problematischen Stoffe verringert oder vermieden werden. Wichtig sei, Intoleranzen ärztlich abklären zu lassen, rät Untersmayr-Elsenhuber.
Denn zu häufig kommt es vor, dass Menschen "sich selbst diagnostizieren": Zu der Ärztin kommen oft Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer Selbstdiagnose jahrelang eingeschränkt essen. "Sie zeigen oft schon gewisse Mangelerscheinungen auf", sagt sie. Dabei sei es für die Allgemeinheit nicht unbedingt gesünder, im Supermarktregal Produkte mit dem Label "free from …" zu wählen.
Fast beschwerdefreies Leben möglich
Wie streng eine Diät eingehalten werden muss, kommt auf die individuelle Ausprägung der Erkrankung an. Bei einer Zöliakie sollten glutenhaltige Produkte gänzlich vom Speiseplan gestrichen werden. Von manchen Personen, die unter Laktoseintoleranz oder Fructosemalabsorption leiden, werden kleine Mengen an Milch- oder Fruchtzucker aber durchaus vertragen. "Es geht darum, das richtige Maß zu finden", sagt Ernährungsmediziner Ledochowski. Man dürfe den Körper nur nicht überlasten.
Mit der angepassten Ernährungsweise können Betroffene ein fast beschwerdefreies Leben führen. Dennoch: "Ich muss viel mehr planen", sagt Clara P. aus Koppl. Erst mit ihrer Diagnose wurde ihr bewusst, was in der Gesellschaft als "normal" angesehen wird. "Und durch die Intoleranzen habe ich gemerkt, welch große Bedeutung Essen und Trinken eigentlich in unserer Gesellschaft einnimmt."