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"Dürfen nicht im Horrorkino bleiben": Wie wir mental mit all den Krisen umgehen sollten

In schwierigen Zeiten machen sich im Kopf oft negative Selbstgespräche breit. Diese sollte man unterbinden.

Nach mehr als zwei Jahren Pandemie gibt es keine Verschnaufpause. Krise folgt auf Krise. Sich von der Welt so gut wie möglich zurückzuziehen kann allerdings nur eine Lösung sein, die kurzfristig Erleichterung bringt. Der österreichische Psychologe Erich Hotter hat zum Tag der psychischen Gesundheit am Montag keine einfachen Rezepte gegen Angst und Verunsicherung - aber einige gute Erklärungen und so manchen Rat.

Einige Menschen sind sehr anfällig für Verunsicherung und Ängste, andere wiederum scheinen resistenter zu sein. Wie kommt es zu solchen Unterschieden? Erich Hotter: Die Anhäufung von Krisen, die Auswirkungen auf das Leben beinahe eines jeden Menschen haben, wirkt vermutlich auch auf die meisten Menschen beunruhigend. Vor allem, weil Auswirkungen und Dauer schwierig einzuschätzen sind.

Grundsätzlich sind Unsicherheiten und Ängste nicht negativ, denn sie helfen, dass wir uns auf eine neue Realität einstellen können. Die Gefahr ist, dass wir unrealistische, unbegründete Ängste entwickeln, die eine lähmende Auswirkung haben, uns die Lebensfreude nehmen und uns hindern, notwendige Anpassungen vorzunehmen. Die Grenzen sind allerdings fließend.

Eine realistische Verunsicherung ist gesund, wenn wir sie in ein Projekt umsetzen können, das dazu dient, uns zu schützen. Bis zu einem gewissen Grad kann ich demnach diese Energie nutzen, um Möglichkeiten und Lösungen zu finden, sei es privat, beruflich oder in der Politik. Es gibt Bereiche, in denen das möglich ist. Man muss also in einer Krise alle Möglichkeiten abklopfen, auch jeder für sich, indem er schaut, wo er menschliche und/oder finanzielle Unterstützung bekommt.

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, wonach noch die Kinder von Kriegskindern unter den Traumata der vorigen Generationen leiden. Neue Ängste würden damit jetzt auf alte Ängste treffen und das Empfinden und Handeln beeinflussen. Wie sehen Sie das? Es gibt die Ansicht, dass ältere Generationen, die Schweres erlebt haben, zur Verunsicherung neigen, auf Sicherheit setzen und Jüngeren raten, keine Risiken einzugehen. Und dass Jüngere im Gegensatz dazu gemäß der Start-up-Idee glauben, jeder könne alles machen und man brauche nur eine gute Idee, damit einem die Welt zu Füßen liege. Beides ist zu pauschal gedacht. Und derzeit können wohl alle Generationen voneinander lernen.

Ich sehe das Thema Ängste und Verunsicherung und warum Menschen unterschiedlich damit umgehen mehr im individuellen Innenleben begründet. Unsere Neigungen, negative Erfahrungen auf bestimmte Weise zu interpretieren, können verhängnisvoll sein. Es geht also um den Inhalt unserer Selbstgespräche. Studien zeigen, dass unsere Aufmerksamkeit wandert, und zwar vorzugsweise in die dunklen Ecken unserer Existenz. Aus unseren Seminaren wissen wir, dass etwa ein Drittel der Menschen - Frauen wie Männer - unter Stress zu sehr negativen Selbstgesprächen neigt. Ich bin der Blöde, ich bin das Opfer, immer zahle ich drauf, ich bin schuld, es gibt keine Lösung, alles ist verloren, nie wird sich etwas ändern, da kommen wir nicht mehr heraus und so fort. Wir wissen nicht, ob solches Denken schicksalhaft in der Persönlichkeit verankert ist oder aus der Familiengeschichte kommt. Aber dieses Denken steht in direktem Zusammenhang damit, wie man auf Herausforderungen reagiert. Diese unbewusste Reaktion auf Probleme ist leider sehr verbreitet. Wir reduzieren damit unsere Fähigkeit, Probleme anzugehen.

Wie erkennt man, ob man die Neigung hat, Realität eher negativ oder doch positiv zu interpretieren? Der negative Stil hat drei Denkschritte: Ich bin immer schuld (was nie realistisch ist), es ist immer so, und es betrifft mein ganzes Leben, ich komme da nicht mehr heraus. Ein banales Beispiel: In meinem Seminar merke ich, dass Leute unaufmerksam werden. Ich kann jetzt sofort in Selbstzweifel verfallen und mir Vorwürfe machen, dass ich alles falsch gemacht habe. Ich kann aber auch sagen, okay, die brauchen jetzt einmal eine Pause. Ich muss mich also in Fall eins fragen: Welche Emotionen lösen die Interpretation aus und was passiert in meinem Horrorkino, dass ich solche Gefühle habe, und wie wirkt sich das aus?

Im günstigen Fall kann ich dann schauen, welche Möglichkeiten ich in der Situation habe, und ich kann mich mobilisieren. Das haben wir untersucht. Wenn das Mobilisieren schwerfällt, kann man Anleihen im Sport nehmen und etwa ein Mentaltraining ausprobieren.

Meist verbessert sich die Lage, wenn man das Gefühl bekommt, man habe Kontrolle und könne handeln. Ich rate allerdings davon ab, das alles allein zu versuchen. Es ist besser, sich Verbündete zu suchen. Das können Familienmitglieder oder gute Freunde sein oder andere Betroffene in einer Gruppe.

Wenn die negative Spirale zu extrem wird, kann das zu einer Handlungslähmung, zu einer richtigen Blockade und in eine Depression führen. Dann ist auf jeden Fall der Hausarzt der Ansprechpartner oder weiterführend ein Spezialist.

Bei einer Anhäufung externer Krisen, die wir schwer selbst grundlegend beeinflussen können, ist das im Übrigen auch ein gutes Mittel: Wir sollten nicht allein kämpfen, sondern uns Verbündete und Vertraute suchen.

Erich Hotter ist Psychologe und Coach. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Prävention von Burn-out und Depression. Er berät zu diesen Themen Manager österreichischer Unternehmen.