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Gedenken statt Verdrängen: Wie in Gusen eine begehbare Erinnerungslandschaft entsteht

Vor 80 Jahren wurden das Konzentrationslager befreit. Es galt lange als vergessen. Nun entsteht dort eine Gedenkstätte, die auch Ort des Alltags sein soll. Was darüber hinaus noch geplant ist.

Pläne für die Gedenkstätte des KZ Gusen.
Pläne für die Gedenkstätte des KZ Gusen.

Rückblickend erscheint es kaum fassbar: Rund um das ehemalige Krematorium des einstigen Konzentrationslagers Gusen stehen heute Wohnhäuser. Das Haus, wo die SS einst Häftlinge folterte und umbrachte, ist eine Privatvilla mit Sonnenterrassen und Pool im Garten.

Bis jetzt gab es keine größere Gedenkstätte. Bisher erinnerte nur ein kleines, 1965 fertiggestelltes Memorial an die Ereignisse. Das soll sich nun ändern. Am Montag präsentierte das Mauthausen Memorial gemeinsam mit Vertretern der Bundesregierung, wie die Gedenkstätte künftig aussehen soll.

Zwischen Wohnhäusern, Gartenzäunen und einem ehemaligen Krematorium soll nun ein Ort entstehen, der Erinnerung und Alltag nicht trennt, sondern bewusst nebeneinander bestehen lässt. Eineinhalb Jahre lang sei man dafür an „einem Tisch gesessen“, sagt Christian Aufreiter, Bürgermeister der oberösterreichischen Gemeinde Langenstein. Dort, nur wenige Kilometer östlich von Linz, lagen die drei Lager, die unter dem Namen „KZ Gusen“ als Außenlager des KZ Mauthausen genutzt wurden. Dem nun vorgestellten „Masterplan“ ging ein Bürgerbeteiligungsprozess voraus – an dem auch Opferverbände und die Nachbarschaft der Gedenkstätte teilnahmen. „Alle durften mitreden, von 16-Jährigen bis zum 90-Jährigen. Es ist nicht einfach über die Gemeinden drübergefahren worden“, sagt der Ortschef.

(v. l. n. r.) Burghauptmann Reinhold Sahl, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück, Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), Guy Dockendorf (Präsident des Comité International de Mauthausen), Christian Aufreiter (Bgm. Langenstein), Andreas Derntl (Bgm. St. Georgen an der Gusen), Gerd Erhartt (querkraft architekten), Kieran Fraser (Kieran Fraser Landscape Design) und Künstler Peter Sandbichler am Montag, 17. November 2025, im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema „KZ-Gedenkstätte Mauthausen (mauthausen memorial) – Pläne für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Gusen“ in Langenstein.
(v. l. n. r.) Burghauptmann Reinhold Sahl, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück, Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), Guy Dockendorf (Präsident des Comité International de Mauthausen), Christian Aufreiter (Bgm. Langenstein), Andreas Derntl (Bgm. St. Georgen an der Gusen), Gerd Erhartt (querkraft architekten), Kieran Fraser (Kieran Fraser Landscape Design) und Künstler Peter Sandbichler am Montag, 17. November 2025, im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema „KZ-Gedenkstätte Mauthausen (mauthausen memorial) – Pläne für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Gusen“ in Langenstein.
ABD0038_20251117 – LANGENSTEIN – ÖSTERREICH: Der „Appellplatz“ am Gelände der KZ-Gedenkstätte Gusen, aufgenommen am Montag, 17. November 2025, anl. einer Pressekonferenz zum Thema „KZ-Gedenkstätte Mauthausen (mauthausen memorial) – Pläne für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Gusen“ in Langenstein. – FOTO: APA/TEAM FOTOKERSCHI / WERNER KERSCHBAUMMAYR
ABD0038_20251117 – LANGENSTEIN – ÖSTERREICH: Der „Appellplatz“ am Gelände der KZ-Gedenkstätte Gusen, aufgenommen am Montag, 17. November 2025, anl. einer Pressekonferenz zum Thema „KZ-Gedenkstätte Mauthausen (mauthausen memorial) – Pläne für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Gusen“ in Langenstein. – FOTO: APA/TEAM FOTOKERSCHI / WERNER KERSCHBAUMMAYR

Der geplante „Weg der Erinnerung“ und seine Stationen

Es seien einige Vorschläge aus der Bevölkerung gekommen, betont auch Barbara Glück, Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Der Wunsch sei gewesen, einen Ort zu schaffen, den Anwohnerinnen und Anwohner auch im Alltag erleben könnten. So hätten sich einige Nachbarn eine Grünanlage als Teil des Gedenkorts gewünscht. „Eine ältere Frau wollte einen Bereich, in dem man sich hinsetzen kann.“

Der Prozess der Beteiligung soll weitergeführt werden. Verantwortlich für die Neugestaltung zeichnet ein Beitrag des Wiener Architekturbüros Querkraft Architekten in Zusammenarbeit mit Kieran Fraser Landscape Design und dem Künstler Peter Sandbichler. In Langenstein ist ein neues Ankunftsgebäude aus Sichtbeton geplant, ein geführter „Weg der Erinnerung“ entlang der baulichen Überreste und ein „Freiraum“, der „im Kontrast zu den hohen Mauern des Gedenkorts“ stehen soll. Das Projekt lässt einen „Weg der Erinnerung“ entstehen, von der Ankunftshalle bis hin zum ehemaligen „Schotterbrecher“, wo die Besucher in den „Freiraum entlassen werden“, wie die Planer erklärten.

Am 5. Mai 1945 wurden die überlebenden Häftlinge von amerikanischen Truppen befreit.
Am 5. Mai 1945 wurden die überlebenden Häftlinge von amerikanischen Truppen befreit.

Künstlerische Umsetzung: Spuren der Schleppbahn sichtbar machen

Zentrale Elemente sind die Ankunftsgebäude bei den ehemaligen SS-Baracken, der „Raum der Stille“ als filigrane Skulptur, die Landschaftsinterventionen und das künstlerische Konzept, das inhaltlich Bezug auf die Spuren der ehemaligen Schleppbahn andeutet. Die Planer wollen Teile der historischen Überreste sichtbar machen, sich aber auf das Wesentliche konzentrieren, teilten sie am Montag mit. Das Ziel sei, eine „begehbare Erinnerungslandschaft“ zu schaffen. Der Bau soll 2027 beginnen und sechs Jahre dauern.

" Die Neugestaltung der Gedenkstätte ist ein wichtiger Gegenpol.“"
Guy Dockendorf, Präsident des internationalen Mauthausen-Komitees

Das Konzentrationslager Gusen umfasst drei Lagersysteme, dort sind bis 1945 etwa 71.000 Menschen gefangen gewesen, die Hälfte davon dürfte dabei ums Leben gekommen sein. Die Häftlinge in den Lagern mussten Zwangsarbeit leisten – in der Rüstungsindustrie und in Steinbrüchen. Ein Zug, die Schleppbahn, brachte sie aus den Lagern zu den Anlagen in St. Georgen – darunter das „Werk Bergkristall“, ein von der SS unter strengster Geheimhaltung eingerichtetes unterirdisches Flugzeugwerk. Diese Zugverbindung soll ebenfalls wieder sichtbar gemacht werden. Der Künstler Peter Sandbichler hat deshalb geplant, die Schienen der „Schleppbahn“ abstrakt nachzustellen – mit einem Raster auf dem Boden und Skulpturen an den Erinnerungsorten. In St. Georgen an der Gusen wird diese semantische Linie fortgeführt: Der Künstler zeichnet dort die Struktur des ehemaligen Bergkristallstollens durch ein Wegesystem nach.

Guy Dockendorf, Präsident des Comité International de Mauthausen.
Guy Dockendorf, Präsident des Comité International de Mauthausen.

Bedeutung für Österreichs Erinnerungskultur und politische Debatte

Bei der Präsentation der Pläne zur Gedenkstätte Gusen hat auch Guy Dockendorf aus Luxemburg gesprochen. Er ist Präsident des internationalen Mauthausen-Komitees und vertrat im Bürgerbeteiligungsprozess die Interessen der Opfer und Angehörigen. Der weißbärtige Mann betonte, dass die Gefahr bestehe, dass der „Naziterror vergessen“ und die „Erinnerungskultur zertrampelt“ wird – von antisemitischen Beiträgen in sozialen Medien und den Aussagen mancher Politiker. „Die Neugestaltung der Gedenkstätte ist deshalb ein wichtiger Gegenpol.“