Nach einem Gespräch zwischen FPÖ-Chef Herbert Kickl und ÖVP-Obmann Christian Stocker hieß es am Dienstagabend zunächst, die Koalitionsverhandlungen seien unterbrochen. Stimmt nicht, teilte die FPÖ mit. Die Nachricht sei eine Ente. Dass es zwischen Blau und Schwarz sehr wohl Spitz auf Knopf steht, zeigte sich aber daran, dass die ÖVP am Abend einen Online-Bundesparteivorstand abhielt. Im Anschluss an die Sitzung hieß es seitens der ÖVP: "Die Regierungsverhandlungen befinden sich in einer schwierigen Phase. Die ÖVP befindet sich nach wie vor in laufenden Verhandlungen. Für heute und morgen sind Gesprächstermine in den Untergruppen anberaumt." Parteiobmann Stocker habe "stets betont, dass es drei Grundvoraussetzungen für diese Verhandlungen gibt": die Souveränität Österreichs gegen Einflussnahme aus dem Ausland, eine konstruktive Rolle Österreichs in der EU und den Schutz und Erhalt "unserer liberalen Demokratie und unseres Rechtsstaats". An diesen Grundvoraussetzungen hat sich laut ÖVP-Stellungnahme gegenüber den SN nichts geändert. "Das wurde auch in den Gremien der ÖVP bestätigt."
Trotz Krise bei Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP: "Beide sind zu Erfolg verdammt"
Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP standen am Dienstagabend auf der Kippe. Politologe Peter Filzmaier erwartet dennoch weiterhin eine Einigung. Denn: Kickl will unbedingt Kanzler werden. Und der ÖVP fehle "ein tauglicher Plan B".

Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP befanden sich zuletzt tatsächlich in einer kritischen Phase. Neben vielen Gemeinsamkeiten gibt es noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Am Montag und auch am Dienstag trafen sich die beiden Parteichefs zu einem heiklen Gespräch. Teilweise im kleinen Kreis mit engen Vertrauten, teilweise unter vier Augen. Am Mittwoch sollen weitere Gespräche folgen.
Krisenstimmung in der ÖVP
Erzählungen aus der Volkspartei deuteten zuletzt bereits auf das aktuelle Krisenszenario hin. "Die Gespräche sind so weit durch, das Gemeinsame ist besprochen, aber das Trennende, das müssen jetzt die Chefs klären", sagte ein ÖVP-Insider zu den SN. Auch wenn die Gespräche im Detail dann noch weitergehen sollten, war klar, dass Kickl und Stocker in diesen Tagen festlegen müssen, ob sich auch in strittigen Punkten wie der Verteidigungs-, der Medien- oder der EU-Politik die Mühe lohnt und man sich einigen kann. So will die ÖVP dem europäischen Raketenabwehrschirm Sky Shield beitreten, die FPÖ nicht. Die ÖVP fürchtet auch, dass ein Kanzler Kickl in Brüssel bei EU-Verhandlungen der Regierungschefs Alleingänge durchziehen könnte. Auch den blauen Umbauplänen in Sachen ORF steht die ÖVP kritisch gegenüber.
Ringen um Ressorts
Ein Knackpunkt dürfte auch die Ressortaufteilung sein. Das Innenministerium (BMI) ist in den Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP besonders umkämpft. Denn das mächtige Ressort, zuständig für die innere Sicherheit und Dienstgeber Tausender Beamter, verbindet eine brisante Vergangenheit mit der FPÖ und Kickl: von der Zerschlagung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das unter Innenminister Kickl eine Razzia über sich ergehen lassen musste, bis zur gescheiterten Einführung einer berittenen Polizeieinheit. Die FPÖ ließ unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl keinen Stein auf dem anderen. Ungeachtet der Tatsache, dass bei den Personalvertretungswahlen die FPÖ bei der Polizei große Erfolge feiert, betrachtet der niederösterreichische ÖAAB das Innenministerium als seine Erbpacht. Entsprechend groß ist der Druck auf die ÖVP-Verhandler, das Ressort nicht aus der Hand zu geben. Heikel ist der Umstand, dass die FPÖ mit dem Innenministerium auch die Macht über den neuen Staatsschutz hätte, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst. Das sorgt aus mehreren Gründen nicht nur bei der Volkspartei, sondern dem Vernehmen nach auch beim Bundespräsidenten für Unbehagen. Erstens ist die Behörde mit dem Nachrichtendienst extrem mächtig, zweitens gab es schon aus Deutschland Signale, wonach man aufgrund der Russland-Affinität der Freiheitlichen die Geheimdienstkooperationen einschränken könnte.
Politologe Filzmaier: "Einigung weiterhin logischer als Scheitern"
Der Politologe Peter Filzmaier meint ungeachtet der Zuspitzung zwischen FPÖ und ÖVP, dass eine Einigung weiterhin logischer sei als ein Scheitern der Verhandlungen. Herbert Kickl und die FPÖ wollten unbedingt ins Kanzleramt, die ÖVP wiederum könne ihre jüngste Kehrtwende Richtung FPÖ nur rechtfertigen, wenn sie weiter in der Regierung sei - wenn auch nur noch als Juniorpartner. Insofern seien beide "zu einem Verhandlungserfolg verdammt", sagt Filzmaier.
Restrisiko: überzogene Machtansprüche
Aufgrund der vielen Wirrungen und Irrungen der vergangenen Monate habe man aber gelernt, dass in der heimischen Innenpolitik so gut wie nichts mehr auszuschließen sei, so der Politologe weiter und spielt damit auch auf das Scheitern der Dreierverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos an. Auch bei Blau-Schwarz sieht er eine Restwahrscheinlichkeit von zehn Prozent, dass die Gespräche noch platzen könnten. Dies wäre vor allem dann möglich, wenn überzogene Machtansprüche oder große Emotionen ins Spiel kämen. Er verweist dabei auf Spekulationen, dass die FPÖ auf das Finanz- und Innenministerium besteht oder im Kanzleramt die Agenden für Medien, Europa und Verfassungsfragen bündeln will. Ein Szenario, das die ÖVP wohl nicht schlucken könnte.
Ringen um Innenministerium mit "emotionaler Komponente"
Das Ringen, wer das Innenministerium übernehmen werde, habe eine sachliche wie emotionale Komponente, so Filzmaier weiter. Inhaltlich gehe es darum, dass beide Parteien die Hoheit über die im Innenministerium angesiedelten Kompetenzen für Asyl- und Migrationsfragen haben wollen. Emotional aufgeladen sei es deshalb, weil Herbert Kickl von Ex-Kanzler Sebastian Kurz im Jahr 2019 als Innenminister "rausgeworfen" worden sei.
"Der ÖVP fehlt ein tauglicher Plan B"
Die Zuspitzung am Dienstagabend habe erneut offenbart, dass "die ÖVP keinen tauglichen Plan B hat", sagt Filzmaier. Nach der kurzfristigen Einberufung des Parteivorstands hatte man zwar erneut rote Linien - Europa, Medienfreiheit, liberale Demokratie - markiert, sich aber auf eine Fortsetzung der Gespräche verständigt. Denn nach dem Scheitern der Dreierverhandlungen sowie der Kehrtwende Richtung FPÖ würde sich die ÖVP "der Lächerlichkeit preisgeben", wenn sie nun noch einmal Richtung SPÖ und Neos umschwenken würde. Und Neuwahlen wären für die ÖVP auch kein erstrebenswertes Szenario. Dass Christian Stocker dabei Herbert Kickl schlagen könnte, käme dem "Glauben an den Osterhasen" gleich. Anders wäre es möglicherweise, wenn die ÖVP eine neue Spitze nominiert. "Aber wer soll das sein", fragt Filzmaier. Selbst eine Rückkehr von Ex-Zugpferd Sebastian Kurz wäre schwierig, weil er die Partei mittlerweile spalte, so Filzmaier, der dabei auch laufende Ermittlungen gegen den Ex-Kanzler anspricht.