Die "Operation Aderlass" hat Doping-Abgründe bei der Nordischen Ski-WM aufgedeckt und könnte auch noch andere Sportarten erfassen. Und wieder sind Österreicher in unrühmlicher Rolle mittendrin. Die beiden Langläufer Max Hauke und Dominik Baldauf sind unter den Festgenommenen.
Fahnder erwischten bei einer Razzia im WM-Ort Seefeld einen der beiden ÖSV-Langläufer kurz vor dem Wettkampf mit der Nadel im Arm, sieben Verdächtige wurden in Tirol und zwei in Erfurt festgenommen. "Es sind sicher auch noch andere Sportarten betroffen", sagte Dieter Csefan vom österreichischen Bundeskriminalamt (BK) am Mittwoch. Auslöser der neuen Ermittlungswelle waren die Enthüllungen des früheren Dopingsünders Johannes Dürr, einem österreichischen Langläufer.
"Uns ist es gelungen, auch einen Sportler auf frischer Tat zu erleben", sagte Dieter Csefan bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Innsbruck. Demnach sei der Sportler mit Bluttransfusion im Arm angetroffen und festgenommen wurden.
Chef des Netzwerks ist ein deutscher Arzt
Insgesamt wurden bei der "Zerschlagung eines weltweit agierenden Netzwerks" fünf Langläufer (zwei aus Österreich, zwei aus Estland sowie einer aus Kasachstan) und zwei weitere tatverdächtige Personen im WM-Ort in Tirol festgenommen, dazu in Erfurt ein 40-jähriger deutscher Sportmediziner und ein weiterer Komplize aus Deutschland. Außerdem gab es 16 Hausdurchsuchungen.
Die Verantwortlichen in Österreichs Langlauf-Team zeigten sich von dem größten Vorfall seit den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin schockiert. Markus Gandler, der Sportliche Leiter im ÖSV für Langlauf und Biathlon, sagte: "Es hat sich herausgestellt, dass an mehreren Stellen Athleten erwischt worden sind bei unerlaubten Methoden oder beim Dopen. Leider, das macht mich betroffen, sind zwei Athleten von uns dabei. Sie sind in Haft genommen worden", sagte der 52 Jahre alte Gandler. Österreichs Langlauf-Koordinator Trond Nystad sagte: "Ich hätte gedacht, dass sie trainieren und nicht, dass sie so einen Scheiß machen."
Neun der 16 Hausdurchsuchungs-Objekte hätten sich in Erfurt befunden, erklärte die Staatsanwaltschaft München I auf dpa-Anfrage. Die Ermittlungen hätten im Zusammenhang mit dem Verdacht des verbotenen Eigenblutdopings gestanden.
Johannes Dürr packte aus
Ausgelöst worden sei das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I durch die Angaben von ÖSV-Läufer Dürr, der in der am 17. Januar 2019 ausgestrahlten ARD-Sendung "Die Gier nach Gold - Der Weg in die Dopingfalle" ausführlich Dopingpraktiken im modernen Leistungssport offengelegt hatte.
Das österreichische BK schrieb in einer Mitteilung: "Im Rahmen von seit mehreren Monaten andauernden internationalen Ermittlungen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Sportbetruges sowie der Anwendung von unerlaubten Wirkstoffen und Methoden zu Dopingzwecken" sei eine in Deutschland ansässige kriminelle Organisation um einen Sportmediziner ausgeforscht worden. Namen wurden am Mittwoch weder in der Mitteilung noch bei der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Innsbruck genannt. Mehrere Athleten, die beim 15-Kilometer-Rennen in Seefeld auf der Startliste standen, liefen am Nachmittag nicht.
Das BK bezeichnete das Vorgehen als "koordiniertes Einschreiten unter Beisein des deutschen Oberstaatsanwaltes". Bei Olympia 2006 in Turin hatte die italienische Polizei eine Razzia bei Österreichs Langläufern und Biathleten durchgeführt. Diesmal wählten die Behörden den idealen Zeitpunkt und überführten einen der Verdächtigen unmittelbar vor dem Start in der sonnendurchfluteten Loipe von Seefeld.
Festgenommene sind Polizeisportler
Im Zentrum der deutschen Ermittlungen steht ein 40-jähriger Sportmediziner aus Thüringen. Dort hat es parallel eine Razzia deutscher Behörden gegeben. Der Arzt steht im Verdacht, seit Jahren Blutdoping an Spitzensportlern durchgeführt zu haben. Die festgenommenen Österreicher seien Polizeisportler aus dem Langlaufkader. Für sie gilt die Unschuldsvermutung. Ermittler Dieter Csefan ging davon aus, dass auf Grund des "seit Jahren weltweit" agierenden Netzwerkes auch "andere Sportarten betroffen" seien.
Gandler "unter Schockstarre"
Markus Gandler sagte im ORF: "Das ist ein harter Schlag für den Langlauf im allgemeinen. Ich stehe unter Schockstarre. Es ist ja nicht das erste Mal, und wie es ausschaut, nicht das letzte Mal."
Wie geht es weiter? Vorerst standen Einvernahmen der Verdächtigen an. Innerhalb von 48 Stunden müsse dann entscheiden werden, ob über sie die Untersuchungshaft verhängt wird, erklärte der Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr. Der Mediziner und seine Komplizen hätten eine "kriminelle Organisation" gebildet. Die Sportler selbst seien nicht Teil dieser Organisation gewesen, stünden aber in Verdacht, sich mit Blutdoping behandelt haben zu lassen.
Die Ermittler in Deutschland hätten Hinweise gehabt, dass der Sportmediziner nach Seefeld habe reisen wollen, um dort die Sportler "auf illegale Weise zu behandeln", so Mayr. Den Verdächtigen wird Eigenblutdoping vorgeworfen. Anschließend habe es ein Rechtshilfeersuchen der deutschen Behörden gegeben und in Folge hätten Überwachungen stattgefunden. Dabei habe sich der Verdacht bestätigt. Vorher war laut den Ermittlern nicht bekannt, welche Sportler sich von dem Arzt behandeln ließen. Schlussendlich sei es in Deutschland und Österreich zu den Zugriffen bzw. Hausdurchsuchungen gekommen - unter Beteiligung des Sondereinsatzkommandos Cobra.
BK sowie Staatsanwaltschaft Innsbruck schlossen nicht aus, dass weitere Personen betroffen sein könnten. Zunächst müsse man aber die Vernehmungen der Beschuldigten abwarten. Sie sprachen von einer "geschlossenen Indizienkette". So sei etwa in Erfurt ein komplettes Dopinglabor inklusive Equipment wie Blutkonserven und Zentrifugen ausgehoben worden, das dem Sportmediziner zugerechnet wird.
Die Dopingcausa dürfte indes über den Langlaufsport hinaus Kreise ziehen. "Es sind sicher auch noch andere Sportarten betroffen", erklärte Csefan. Die "kriminelle Organisation" sei jedenfalls seit mehr als fünf Jahren weltweit tätig. Bestätigt wurde auch von den österreichischen Ermittlungsbehörden, dass die Aussagen des Skilangläufers Johannes Dürr in einer ARD-Dokumentation "ausschlaggebend" für die Doping-Ermittlungen und die Razzien in Seefeld und Erfurt waren.
WM-Razzia bereits 2017 im Biathlon
Bereits bei der Biathlon-Weltmeisterschaft 2017 in Hochfilzen war die Polizei in Sachen Doping im Einsatz gewesen. Damals wurden aus dem Quartier der kasachischen Mannschaft Beweismittel sichergestellt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind bis heute im Gang, auch am Sitz des Weltverbandes IBU in Salzburg-Nonntal sowie bei den Weltcuprennen in Hochfilzen 2018 hatte es in weiterer Folge Durchsuchungen gegeben. Der Weltverbandspräsident Anders Besseberg aus Norwegen trat in der Folge von seinem Amt zurück.