Fauler Betrug nach dem Megasportfest: Noch zu Mittag hatten die Norweger ihren Langlauf-König Johannes Høsflot Klæbo nach dessen sechster Goldmedaille gefeiert. Am Abend war die Gastgebernation plötzlich in der Buhmann-Rolle: Nach Protesten mehrerer Nationen wurden Silbermedaillengewinner Marius Lindvik und seine Teamkollegen disqualifiziert. Offenbar haben die Norweger unerlaubtes Material für die Nähte ihrer Sprunganzüge verwendet.
Die Vorwürfe von Manipulationen oder Betrug bei den Anzügen ziehen sich schon durch den gesamten Skisprung-Winter. Als die Österreicher die Vierschanzentournee dominierten, kamen Vorwürfe aus Deutschland und ausgerechnet aus Norwegen: Die ÖSV-Springer hätten einen Materialvorteil, der ihre Dominanz erkläre, hieß es. Gefunden wurde nichts, lediglich beim Skifliegen in Oberstdorf wurde Stefan Kraft nach einem ohnedies mäßigen Ergebnis aufgrund eines fehlerhaften Anzugs disqualifiziert.
Hannawald: "Zum Schummeln gezwungen"
Bei der WM waren die ÖSV-Adler längst nicht mehr so überragend wie noch früher in der Saison. Die Manipulationsvorwürfe, nun gegen andere Nationen, verstummten nicht. Der deutsche Ex-Tournee-Sieger Sven Hannawald schimpfte am Samstag noch vor dem Springen auf der Großschanze: "Man wird quasi zum Schummeln gezwungen, wenn man vorn dabei sein möchte." Der "Bild"-Zeitung erklärte er: "Da sind jetzt Anzüge dabei, die nicht zugelassen werden sollten. Das sieht jemand mit sechs Dioptrien."
Vor allem aus Polen, dessen Skispringer nicht mehr zur Weltklasse gehören, kamen Skepsis und Betrugsvorwürfe. Das betraf zunächst die Deutschen, die nach einer miserablen Saison nun in Trondheim wieder vorn mitspringen. Sven Hannawald konterte mit seiner Einschätzung des Gewands von Norwegens Mixed-Team-Weltmeisterin Anna Odine Strøm: "Gib mir diesen Anzug und sogar ich springe wieder. Da weiß ich, mir kann nichts passieren, der fängt mich auf", sagte der 50-Jährige.
Video zeigt offenbar Manipulationen
Am Samstag ging dann ein Video eines polnischen Journalisten viral, auf dem Norwegens Trainer Marius Brevig angeblich dabei zu sehen ist, wie er ein Gummiband in einen Overall einnäht. FIS-Materialkontrolleur Christian Kathol sagte dazu: "Man sieht, dass die Anzüge geöffnet und wieder vernäht worden sind. Das ist an sich ein normaler Vorgang." Es gebe kein genaues Regulativ dafür, dass Anzüge neu zusammengenäht werden, nachdem sie schon von der FIS abgenommen und mit den Kontroll-Chips versehen worden sind, musste der Kärntner Kathol zugeben. Die Werte für Luftdurchlässigkeit, Größe und Schnitt sind genau festgelegt. Weil sich die Anzüge im Einsatz auch verändern können und dann beispielsweise zu groß sind, kommt es fast in jedem Bewerb zu Disqualifikationen.
Seit dieser Saison ist die Anzahl der Anzüge pro Athlet auf acht festgelegt. Bei der WM in Trondheim durften je zwei neue Garnituren verwendet werden. Bei der Kontrolle hatten die später beanstandeten Anzüge der Norweger offenbar ein Okay erhalten.
Der FIS-Renndirektor der Skispringer, Sandro Pertile, sieht jedenfalls finstere Wolken über seiner Sportart aufziehen. Auf die Frage, ob eine vorsätzliche Manipulation auch Sperren nach sich ziehen könne, sagte der Italiener, es sei zu früh für eine Antwort. "Wir müssen in Ruhe die Situation klären. Das ist ein Thema für die ganze Skisprung-Familie, nicht nur für eine Mannschaft."