Sie beraten seit 26 Jahren Frauen in Arbeitsthemen. Gibt es etwas, worüber Sie sagen können: Ja, das ist besser geworden? Andrea Kirchtag: Ja, die Frauen bleiben dem Arbeitsmarkt nicht mehr so lange fern. In unseren Anfangsjahren ab 1995 hatten wir nach Familiengründung noch Ausstiegszeiten von 10 bis 15 Jahren. Die sind aus zwei Gründen sukzessive kürzer geworden: Ein Gehalt in der Familie reicht nicht mehr aus, das ist keine Frohbotschaft. Andererseits definieren sich die Frauen nicht mehr nur über ihre private Rolle. Sie sind unvergleichlich besser ausgebildet, da hat sich die Einstellung auch in den Familien verändert.
Frau und Arbeit: "Das erste Kind ist noch immer der Karriereknick"
Job, Haushalt, Kind: Das alles schultern nach wie vor zum großen Teil die Frauen. Warum der Fachkräftemangel eine Chance ist, damit sich das endlich ändert, erklärt im SN-Gespräch Andrea Kirchtag von Frau+Arbeit.

Dennoch arbeitet fast jede zweite berufstätige Frau in Österreich in Teilzeit. Verstehen Sie Arbeitsminister Kocher, wenn er mehr Vollzeit statt Teilzeit fordert? Das kommentiere ich nicht, wir können nur aufzeigen, warum Menschen in Teilzeit arbeiten. Und das hat viele Gründe.
Zum Beispiel Kinder ... ... ja, der Karriereknick der Frau passiert immer noch mit dem ersten Kind. Selbst bei Paaren, die ein partnerschaftliches Modell wählen wollen, sehen wir bei der Familiengründung, dass es dann doch recht schnell wieder klassisch wird: Frau reduziert, ist in Teilzeit, ist die Zuverdienerin, Vater bleibt im Job. Gleichzeitig ist die Frau für all die unbezahlte Care-Arbeit zuständig. Frauen arbeiten oft 20 Stunden bezahlt und 40 Stunden unbezahlt.
Warum kommen wir aus diesem Kreislauf nicht raus? Es bräuchte zwei wichtige Systemänderungen: vollzeittaugliche Kinderbetreuung und eine Verkleinerung des Gender-Pay-Gaps. Ich verwahre mich dagegen, dass man Frauen und deren Entwicklung so privatisiert. Wir können die Frauen dazu ermutigen, eine möglichst kurze Arbeitsunterbrechung zu machen und nicht lange in niedriger Teilzeitarbeit zu bleiben, wir empfehlen, so bald es geht, auf mindestens 30 Wochenstunden aufzustocken. Doch bei all dem müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass die Kinderbetreuung mangelhaft ist, da kann die einzelne Frau gar nichts dafür, auch nicht, dass Männer immer noch mehr verdienen als sie.
Aber wenn es eng wird, sollen - siehe auch Coronapandemie - die Frauen ran. Sehen Sie durch den Fachkräftemangel einen wachsenden Druck am Arbeitsplatz auf teilzeitarbeitende Frauen? Der Druck geht in beide Richtungen. Es ist ja legitim, dass ein Arbeitgeber fragt: Könntest du nicht mehr arbeiten? Andererseits brauchen die Arbeitgeber nicht nur Personal, sondern müssen auch etwas tun, um die Leute, die sie haben, halten zu können. Für Frauen ergeben sich gerade sehr gute Jobchancen.
Zum Beispiel? Durch den Fachkräftemangel hat sich das Thema Altsein am Arbeitsmarkt relativiert. Noch vor Corona wurden Frauen ab dem 50. Geburtstag eher gekündigt oder aus dem Betrieb gedrängt. Mit dem Ergebnis, dass gute Kompetenzen verloren gingen. Frauen haben Stärken, die Führungsqualitäten der Zukunft sind: Empathie, Kommunikationsfreude, Wertschätzung. Die autoritären Führungsstile, die wir immer noch haben, werden bei der jetzigen Transformation in der Arbeitswelt keinen Platz mehr haben.
Was können Unternehmen tun, um Frauen zu motivieren? Frauenförderprogramme machen. Dass Frauen ihre Teilzeitarbeit aufstocken, hat Sinn, aber das kann man nicht einfach so verordnen.
Wie nutzen die Frauen die Chancen jetzt am besten? Indem ihnen klar wird, jetzt gute Entscheidungen zu treffen. Das kann heißen, Teilzeit zu erhöhen oder das Unternehmen zu wechseln, wenn sie keine Perspektive mehr sehen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, das hat vor fünf Jahren noch anders ausgeschaut.
Eine aktuelle Studie sieht Österreich bei den Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt auf Platz 27, die Türkei liegt auf Platz 31. Ganz vorne Schweden, Finnland, Norwegen. Haben Sie sich angeschaut, was die anders machen? (Lacht) Wir haben schon in den 1990er-Jahren an internationalen EU-Projekten mit Skandinavien teilgenommen. Ich habe über Rollenkonflikte zwischen Arbeit und Muttersein geredet und unsere finnischen Kolleginnen haben mich gefragt: Worüber sprichst du? Die kennen kein Rabenmuttersyndrom, die Systeme sind in Skandinavien schon lange anders, die Karenzmodelle und der Umgang in der Familie sind partnerschaftlich. Diese Länder haben längst kapiert, dass es klug ist, Frauen in Führungspositionen zu heben, die leben Mixed Leadership. Das Ergebnis ist auch eine niedrige Teilzeitquote.
Seit Langem wird versucht, Frauen in besser bezahlte Technikjobs zu lenken. Warum funktioniert das so schlecht? Wir haben auch ein Projekt "Frauen in Technik und Handwerk". Und ja, es wird angenommen, aber ehrlicherweise sind es nicht die Massen an Frauen, die daherströmen. Es ist wichtig, diese Berufe zugänglich zu machen, einige Frauen haben auch die Affinität dafür, aber es ist nur eine Maßnahme. Nur weil besser bezahlt wird, deshalb soll man dorthin gehen? Das reicht nicht. Ich muss mir die Frage stellen, warum die anderen Bereiche, in denen primär Frauen beschäftigt sind, so schlecht bezahlt sind. Warum bekommt eine Elementarpädagogin weniger Geld als jemand, der im technischen Bereich tätig ist? Auch die Karriereverläufe sind völlig unterschiedlich. Ausbildung und Arbeitsplätze für Frauen müssen besser gestaltet werden. Wenn sie in der Technik nach wie vor Besonderes leisten müssen, wenn sie mit Skepsis betrachtet werden und sich mehr als Männer beweisen müssen, dann ist das nicht lustig. Und ich muss sagen: Wir waren beim Frauenanteil an den Technischen Universitäten schon einmal besser.
Welchen Weg braucht es, um den Gender-Pay-Gap zu verkleinern oder im besten Fall abzuschaffen? Wir brauchen ganz klar eine völlig neue Bewertung von Arbeit. Wir müssen uns fragen: Welche Arbeit bringt volkswirtschaftlichen Wert? Die Uraltbegründung, Handwerker müssen so schwer heben, deshalb müssen sie mehr verdienen, ist eine Abwertung der Arbeit von Frauen. Das kann man nicht so stehen lassen. Die Frage ist: Wo ist die Politik, die Nägel mit Köpfen macht? In Island wurde ungleiche Bezahlung unter Strafe gestellt, Karenz für Väter ist verpflichtend. Politik müsste auch so betrieben werden, dass man sich an Best-Practice-Beispielen orientiert, auch wenn Länder unterschiedlich sind.
Nervt Sie der Frauentag? Ein Mal im Jahr im Fokus, dann wieder unter ferner liefen? Ich finde es sehr wohl wichtig, dass es ihn gibt und aufgezeigt wird, dass die entscheidenden Rahmenbedingungen, die es Frauen erlauben, gleichberechtigt zu arbeiten, nach wie vor fehlen. Die sind ungelöst.
Andrea Kirchtag ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH Frau+Arbeit in Salzburg.
Jährlich werden rund 7000 Frauen beraten oder besuchen Workshops in den verschiedensten Bereichen. Alle Angebote sind kostenfrei.