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Festrede von Ilija Trojanow: "... höchste Zeit, das System zu ändern"

Ilija Trojanow spricht zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. Seine Rede heißt "Der Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens" - es geht in Hinblick auf das Kultursponsoring auch um bittere Nachlässigkeiten zu Friedenszeiten.

Ilija Trojanow
Ilija Trojanow

"Seit Kriegsausbruch sprechen wir die Sprache des Krieges. Antworten auf jede Frage mit einem entschiedenen Ja oder Nein. Oft ohne die Frage wirklich verstanden zu haben. Reden von Kriegsverbrechen und vergessen, dass der Krieg an sich ein Verbrechen ist, unabhängig davon, wie gerechtfertigt die Selbstverteidigung sein mag, egal, wie die Aggressoren vordringen, der Krieg ist perverse, redundante Monotonie, die nichts anderes zulässt als den einen, den angeblich wahren Ton. So ist es, einmal und immer wieder", so sagt es Ilija Trojanow in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule am Dienstag. Und Trojanow macht ganz klar: "Ein Krieg, bei dem das Notwendige und Schöne vernichtet wird, oft um Überflüssiges zu schaffen. Die zynische Erwiderung, wer unter uns habe schon saubere Hände, darf nicht gelten. Wenn Wohlstand nur entstehen kann, indem Mitmenschen geknechtet werden und Natur zerstört wird, dann wird es höchste Zeit, das System zu ändern, nicht nur die Sponsoringregeln."

Trojanow zeichnet in der Rede mit vielen Beispielen nach, wie Krieg in die Kunst wirkt, wie man sich davor befreit und vor allem auch wie der Krieg das Denken verwirrt. Und Trojanow bereist in der Rede die Welt. Es geht in die ukrainische Hafenstadt Odessa ebenso wie in das geschundene Sierra Leona. Der weit gereiste Autor kann ein nachvollziehbares Bild der globalen Probleme zeichnen. Und er stellt schwere Fragen.

"Was haben wir aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt, wenn nicht dies: Nationalismus führt zu Krieg. Unweigerlich. Nur eine Frage der Zeit. 'Nationalism kills', verkündete ein Plakat in England, als das Land 1975 über den EU-Beitritt abstimmte. Diese Lehre wird immer wieder vergessen. Im Jahr 2022 können wir nur mehr zerknirscht sagen 'quod erat demonstrandum' und uns trösten mit einem beschwingten 'humanum errare est', oft zitiert, stets unvollständig. Denn bei Augustinus heißt es: 'Humanum fuit errare, diabolicum est per animositatem in errore manere.' Was ich übersetzen kann, Julius Caesar sei Dank: 'Irren ist menschlich, durch Arroganz im Irrtum zu verharren jedoch teuflisch.'"

Kultursponsoring der Salzburger Festspiele: Von wem darf sich Kunst finanzieren lassen?

Und Trojanow spricht auch problematische Konstellationen in Hinblick auf das Kultursponsoring an: "In Friedenszeiten streift der Tod manchmal als Geld getarnt durchs Land. Sabotiert Traditionen. Vergiftet das natürliche Rechtsempfinden. Der heiße Krieg, das ist zum Beispiel die Extraktion — damit ist nicht nur das Herausziehen eines Zahns gemeint, sondern auch das Ausbuddeln von Bodenschätzen. Der Grund für die systematische Gier unserer Zeit liegt unter der Erde. Wir können uns nehmen, was uns untertan sein soll. Wir haben Techniken entwickelt, um in kürzester Zeit sehr viele Schätze herauszuholen. Was in Millionen von Jahren entstanden ist, verbrauchen wir in einem Jubeljahr. Nickel etwa. Gefördert beispielsweise durch einen Bergbaukonzern namens Solway. Nur wer glaubt, es wäre akzeptabel, die Sparkasse zu überfallen, um 'Fidelio' auf die Bühne zu bringen, kann so tun, als wäre Sponsoring wertneutral. Darf sich die Kunst von mafiös organisierten Konzernen oder von Firmen finanzieren lassen, die brutale Ausbeutung betreiben, von Mensch und Natur? Nein, wir müssen stets genau hinschauen, auch nach Guatemala, auf einen See, wo die Fische tot auf dem Wasser treiben. Weswegen es richtig und richtungsweisend war, dass die Festspiele in diesem Fall eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben haben, die zu einem Abbruch der Beziehungen zu Solway geführt hat. Ich war nicht an diesem See und weiß wenig über Nickel, aber ich war in Sierra Leone, wo Diamanten abgebaut werden, und kann berichten, wie Extraktion funktioniert — es könnte Sie interessieren."

Trojanow: "Kunst hat nicht die Möglichkeit, der Sprache des Krieges zu folgen"

Im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" hat Trojanow schon vor ein paar Tagen erzählt, dass er sich in Vorbereitung auf seine Rede intensiv mit dem Verhältnis zwischen Kunst und Krieg auseinandergesetzt habe. "Ich habe mir viel angeschaut, was es an Romanen oder Musikwerken gibt, die sich mit dem Krieg beschäftigen. Es gibt aber kaum etwas, das vom Krieg inspiriert wäre. Da gibt es entweder die klare Antikriegshaltung oder es kommen - auch bei Stücken, die durchaus propagandistischen Zwecken dienen sollten - kurz martialische Töne, dann aber wird das schnell gebrochen, wird leiser und es kommt etwas, das ins Groteske oder Fragwürdige geht. Kunst hat gar nicht die Möglichkeit, der Sprache des Krieges zu folgen - das ist ein natürlicher Gegensatz", sagte er damals.

So bettet er seine ganze Rede ein in die Betrachtung von drei Künstlerschicksalen - zerrieben zwischen den Gewalten der Macht. Es geht etwa um den Bandleader Leonid Utjossow, den jüdisch-polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg und Isaak Babel, ein gebildeter Feingeist und "durch und durch friedfertig, der sich unerbittlich zwang, aus einem Gefühl der Verantwortung heraus Eindrücke von der furchterregenden Gewalt und Brutalität des Bürgerkriegs in der Sowjetunion nach 1918 einzufangen". Es wird deutlich, in welche schwere Lage man rutschen kann, wenn Macht und Gewalt in der Kunst mitmischen. Trojanow erzählt dazu etwa die Geschichte eines Liedes, "Gop so smykom" heißt es und stammt aus Odessa. Es ist eigentlich verboten, als der Publikumsliebling Leonid Utjossow, ebenfalls aus Odessa, mit seiner Band im Kreml vor ausgewählten Zensoren auftreten darf. "Während des Konzerts erhält er den Befehl des anwesenden Stalin, er solle 'Gop so smykom' spielen. Doch das Lied ist auf Geheiß Stalins verboten! Was soll der Musiker tun? Den Befehl Stalins missachten oder das Gesetz Stalins?"

Abgründe des Kriegs: "Die Erniedrigung des Menschlichen"

Trojanows Rede lotet Abgründe und Unmöglichkeiten aus vor dem Hintergrund, dass seit dem 24. Februar dieses Jahres der Krieg "wieder einmal seine Fratze" zeigt. "Der Krieg! Die schlimmste Waffe der Macht. Die ultimative Erniedrigung des Menschlichen. Imperiale Alchemie, bei der verkohlte Männer in heroische Diamanten verwandelt werden. Die zerstörten Städte in der Ukraine sind nicht Ausdruck unfassbaren Wahns, sondern unvermeidbare Folge der Logik enthemmter Macht. Oder wie Stalin gesagt hätte: kein Mensch, kein Problem."

Am Ende steht ein Satz, der sich nach Trojanows Rede nicht als Fluchtidee erweist, sondern klar und deutlich macht, wozu Kunst imstande sein soll: "Desertieren wir also aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst!"


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