Da waren's nur mehr acht. Ausreißer und Übliche, ewig getrommelte
Hoffnungen und unsichtbar schleichende Überraschungen. Alles dabei.
Brasilianische Einheit.
Hinten sicher, abgeklärt, nachdenklich. Vorn abwechslungsreich, schnell, raffiniert, ballsicher, trickreich. Ein Kollektiv, das Räume für individuelle Freiheiten schafft. So geht Fußball. Und wäre nicht dieser Jammerer Neymar in diesem Team, man könnte beginnen, diese Mannschaft, die aus den Scherben eines 1:7 erstanden ist, bedingungslos gern zu haben. Und jetzt - gegen Belgien - wird sich zeigen, ob das alles auch wirklich stimmt.
Belgischer Kreisel.
Die Feinschmecker wissen: Der Kreisel aus Belgien gehört in den Radsport, der in Belgien den Fußball beim nationalen Interesse weit übertrifft. Nicht aber tut er das wohl in diesen Tagen. Denn da kann man zusehen, wie eine so genannte Goldene Generation, ein verschworener Haufen, die Hoffnungen ins Übermächtige steigert. Und es gibt gute Gründe dafür: Sie verschieben schnell. Sie variieren ihr System flink. Sie haben fabelhafte Einzelkönner, die sich nie zu schade sind, im Dienst der Mannschaft das Tricksen gegen das Rackern einzutauschen. Und jetzt - gegen Brasilien - wird sich zeigen, ob das alles auch wirklich stimmt.
Französisches Tempo.
Alle schreien: "Mbappe!" Alle kreischen: "Mbappe!" Alle sehen einen neuen Pelé - und jeder übersieht, dass Mbappe nur möglich ist, weil ihm zugespielt wird, weil rund um ihn ein System zu greifen beginnt, das Räume auftut, das zielgerichtet agiert. Jedenfalls war das gegen Argentinien so. Da war Frankreich eine Einheit, die mehr wollte, als bloß irgendwie durchkommen (wie in der Vorrunde). Nun lässt sich zu Recht einwenden, dass Argentinien eher lahmarschig und nicht vorhanden war. Trotzdem dürften es genau diese Spiele sein, die ein Team formen, wodurch dann jede Ängstlichkeit verfliegt. Nun, gegen Uruguay geht es aber gegen eine Mannschaft, für die an vielen Stellen haargenau das Gleiche gilt.
Urgewaltiges Uruguay.
Wer Edinson Cavani oder Luis Suarez sieht, wie sie sich irgendwo in der eigenen Hälfte, in der Tiefe eines Raumes, in dem sie, die Stürmer, doch nur Gäste sind, des Balles bemächtigen, wie sie ihn in ihr angestammtes Revier treiben, ausschicken, verteilen, zurückbekommen, kann jubilieren. Bei der gegnerischen Mannschaft kann bei einer Taktikbesprechung oder dem Videostudium der uruguayischen Urgewalten durchaus der Schweiß durchbrechen (und beim Spiel, wenn man ihnen hinterher hecheln muss, sowieso). Nun, gegen Frankreich geht es gegen eine Mannschaft, die sich erstaunlicherweise in eine ähnliche Situation hineingespielt hat.
Russischer Heimvorteil.
Über das Russland Putins, das seine politische Wirkung vor allem aus Kraftstrotzerei bezieht, lässt sich nichts Angenehmes erzählen. So wird uns jedenfalls erzählt und das immer mit düsteren Blicken. Nun blicken wir nach Spielen der Sbornaja in schöne, lächelnde Gesichter zwischen St. Petersburg und Wladiwostok. Das kann nicht viel mit dem Fußball zu tun haben, den die russische Auswahl auf dem Feld bietet. Dort neigt man über weite Strecken zum schwedischen Mauermodell - außer man bekommt es mit ganz Schwachen zu tun. Es muss also der Heimvorteil sein, der den Menschen ihr Lächeln ins Gesicht zaubert, der die Zuversicht ins Utopische wachsen lässt. Die Party macht das Spiel, das dann kein großes sein muss.
Kroatische Wunderübung.
Mittendrin Modric und Rakitic, daneben Rebic und Perisic und weil die alle ins Laufen kamen, setzen mittlerweile manche ihr Geld auf die Kroaten. Leider - und damit zum Rundherum - haben die halt das hässlichste Trikot, dieses elende Rot-Weiß-Karo. Da ist es gut, dass sie auch gegen Russland wieder als "Auswärtsteam" auf dem Tableau stehen und also werden sie wohl doch bitte in ihrem schicken Blau-Schwarz spielen. Aus politischer Sicht kann das ja nur in Österreich problematisch sein. Politisch läuft bei Kroatien, EU-Anwärter, aber als Mannschaft längst in der Festung Europa angekommen, alles ruhig. Alte, traditionelle, grausliche Grabenkämpfe zwischen Spielern oder Verbandsfunktionären der politisch durchtränkten Heimatvereine in Zagreb oder Split oder sonst wo sind durch den weltweiten Menschenhandel im Fußball erfolgreich vernichtet worden. Da sage noch jemand, dass Globalisierung und der Handelsplatz Fußball nicht weit mehr für den Frieden tun, als das Haager Kriegsverbrecher Tribunal.
Schwedische Sturheit.
Alle Liebe zu Land (Weite, Ruhe, Fischen überall erlaubt) und Leuten (ich kenne ausschließlich freundliche Menschen aus Schweden) kann dieses Team nicht vor tiefgefühlter Ablehnung retten. Die Sturheit, mit der Schweden seine Trostlosigkeit zelebriert, gleicht einer Gemeinheit - weil jedes Mal die Hoffnung zerstört wird, das die auch etwas anders probieren (können sie halt nicht)- und sie gleicht einem Betrug am Spiel, das sich - unbemerkt von Schweden - technisch und taktisch in den vergangenen Jahren ganz woanders hin entwickelt hat. Als sei dieses Schweden eine Insel der Unseligen, die sich nur durch die Bildung einer Mauer aus Menschen gegen jede Art des Angriffs abschotten kann.
Englisches Momentum.
Southgate, Killer Kane und die Buben waren tot. Ein paar Minuten lang wussten sie nicht, aber überhaupt nicht, was sie taten, was sie tun sollten, wohin der Ball geschickt werden sollte - oder: was überhaupt der Ball ist! Und dann gewinnen sie ein Elferschießen. Alle Last (auch die historische) fällt ab. Die Gesichter entspannen sich. Man sollte aus der Erleichterung in diesen Gesichtern nach solch einer Dramatik keine falschen Schlüsse ziehen. Siegesjubel gewinnt keine Spiele und ist keine Taktik. Aber auch in der anglikanischen Kirche gilt: Wer vom Tode aufersteht, kann ganz schön was auslösen, muss ja nicht immer gleich eine neue Religion sein. Gerne wird im Sport bei einem Sieg nach einer Nahtod-Erfahrung, sprich einem Fast-Ausscheiden, vom "Momentum" gesprochen, von diesem feinen kleinen Emotiönchen, dass den letzten Rest Angst löscht. Vielleicht ist das so. Vielleicht hilft es. Womöglich aber nicht. Vor allem aber, weil der Gegner die stupiden, anti-schöngeistigen und geschichtslosen Schweden sind, wünscht man sich, dass das englische Drama, dieser frische Wind am Abgrund zwischen himmlischer Hoffnung und thamse-dreckiger Wirklichkeit weitergehen soll.