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Ein Geschäft nicht wie jedes andere

Wie stellt man sich einen der 30.000 Lobbyisten in Brüssel vor? Michael Tscherny ist jedenfalls einer von ihnen.

Monika Graf
Michael Tscherny lobbyiert.
Michael Tscherny lobbyiert.

Wenn in Brüssel die Sonne scheint, was entgegen dem Klischee gar nicht so selten ist, tut sie es meist kurz, aber intensiv. Der geübte Brüsseler nutzt dies, trinkt seinen Kaffee an einem der provisorisch aufgestellten Tische auf den Gehsteigen oder verzehrt den mittäglichen Sandwich auf den erstbesten Stufen.

Michael Tscherny, seit 30 Jahren in Brüssel, macht es auch so. Der Lobbyist und frühere Kommissionsbeamte geht mit seinem Espresso schnurstracks zur Terrasse vor dem gesichtslosen Bio-Selbstbedienungsladen "Pulp" im Europaviertel. Sein Büro bei GPlus, einem der großen Consultants, wie die Agenturen sich nennen, ist gleich um die Ecke. Immer wieder wird Tscherny gegrüßt, grüßt jemanden.

Das Lobbyinggeschäft ist umkämpft. GPlus, vor 16 Jahren von zwei früheren Kommis sionsbeamten gegründet, gehört zu den Spezialisten der diskreten Arbeit - mit Nieder lassungen in London, Berlin und Paris und mehr als 70 Mitarbeitern, darunter ehemalige EU-Beamte und Parlamentarier.

Bereut habe er es keine Sekunde, den "goldenen Käfig" der EU-Institutionen verlassen zu haben, sagt Tscherny, dessen Lebenslauf sich ideal für einen Eurokraten liest: Studium an der Sciences Po in Straßburg, dann am Europa-College in Brügge, verheiratet in zweiter Ehe mit einer Italoschwedin, Vater von vier Kindern. Nach zwölf Jahren, zuletzt als Sprecher des einstigen Wettbewerbskommissars Mario Monti, habe er sein eigener Chef sein wollen. Er sei ja "nicht in die Kommission hineingeboren worden", sondern habe davor auch in anderen Jobs gearbeitet, erzählt der Sohn vertriebener Donauschwaben, die nach dem Krieg nach Süddeutschland gekommen waren, wo er aufgewachsen ist.

Wie ein Lobbyist arbeitet, hängt von den Kunden ab. Um viele Unternehmen oder Verbände müsse man werben oder sie in mühseligen bürokratischen Ausschreibungsverfahren gewinnen, wie etwa derzeit eines vom Londoner Flughafen Heathrow läuft. Manche seiner Kunden "wollen das Gras wachsen hören", sagt Tscherny, sie nutzen also Lobbyisten als eine Art Frühwarnsystem. Andere haben ein "ganz spezielles Problem", weil sie einen Absatz aus in einer bestimmten EU-Richtlinie draußen haben wollen, manchen geht es einfach darum, Stimmung für oder gegen etwas zu machen.

Nicht jedes Thema, das wie etwa der Brexit auf den ersten Blick einen Auftragsboom verspricht, hebt dann tatsächlich ab. "Vielleicht jetzt noch nicht", sagt Tscherny. Natürlich bemühe sich auch GPlus um Kunden von der Insel. Aber viele Unternehmer warten ab oder reagieren mit einer Dosis Fatalismus - Motto: Ich kann das nicht beeinflussen, also was soll's.