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Ein Sprecher muss mit allen Wassern gewaschen sein

Alexander Winterstein informiert die Öffentlichkeit. Sein Chef ist Jean-Claude Juncker. Beide sind Vollprofis.

Monika Graf
Alexander Winterstein ist seit fast 20 Jahren für die EU-Kommission in Brüssel im Einsatz.
Alexander Winterstein ist seit fast 20 Jahren für die EU-Kommission in Brüssel im Einsatz.

Was im Kloster das Chorgebet zur Sext ist, ist dem Brüssel-Korrespondenten das Mittagsbriefing der EU-Kommission. Täglich um 12.00 Uhr beantworten deren Sprecher in einer Art riesigem Hörsaal die Fragen der Journalisten. "Welche Regierung informiert schon jeden Tag?", fragt Alexander Winterstein (49), seit 2015 Vize-Chefsprecher der Kommission, beim SN-Frühstück im Residence Palace, einem Jugendstilgebäude aus den 20er-Jahren mitten im EU-Viertel, das heute als Bürohaus für die internationale Presse dient. Der gebürtige Wiener und promovierte Jurist, der vor fast 20 Jahren seine Brüssel-Karriere gestartet hat, sagt das mit einem gewissen Stolz. Winterstein arbeitet für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den er sehr schätzt. Kaum ein anderer Politiker in der EU sei so erfahren, so kenntnisreich und gleichzeitig so modern wie Juncker, niemand sonst "liest alles und sieht alles", sagt Winterstein, dessen Urgroßvater Robert Justizminister in der Ära Dollfuß war und 1940 im KZ Buchenwald von den Nazis ermordet wurde.

Dem Zufall wird in der EU-Kommission nichts überlassen. In Zeiten von Twitter, Video-Blogs, Live-Ticker und Online-Plattformen ist wenig Platz für Spontanität. Da braucht jeder Sprecher für jedes Thema einen Satz - im Fachjargon "Line to take" genannt. Ein mit allen Kniffen vertrauter Sprecher wie Winterstein kann diese - oft nichts sagenden - Zeilen in fünf bis zehn Varianten und natürlich in Englisch und Französisch vorbringen. Ohne etwas anderes oder Neues zu sagen, egal wie geschickt die Fragen gestellt werden. Und genießt das auch noch.

Vorbereitet werden die Statements jeden Morgen. Der Tag beginnt um 6.30 Uhr mit der Lektüre aller Zeitungsartikel, die in den 28 Mitgliedsstaaten über die EU veröffentlicht werden, samt Zusammenfassung in Englisch oder Französisch. Ausgedruckt und gebunden ergeben sie täglich ein altmodisches amtliches Telefonbuch. Dann folgt eine Sitzung auf die nächste. Die Chefsprecher stimmen sich mit Junckers Kabinett ab, dann mit dem 80-köpfigen Presseteam. Mit dem Ergebnis ist Winterstein nicht immer ganz zufrieden. Oft werde "auf leicht gängige Ideen aufgesprungen", da würden "ein wenig mehr Nachfragen und Recherche helfen", so umschreibt er den Ärger über die gängige EU-Kritik. Oft klafften auch der Anspruch und das, was Europa leisten kann, auseinander. "Die Kommission ist dann der Punchingball."

Ob auch die Kommission Fehler macht? Winterstein sieht das nicht so. Dass es im Getriebe der EU-Maschine manchmal knirscht, kann sein, "aber Juncker kennt sie extrem gut" und löst dauernd Probleme. Na dann.