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Wo Bier auch sauer sein kann - oder muss

In Belgien gibt es rund 500 Biersorten. Das Original ist etwas für Spezialisten, weiß auch der Besitzer der letzten echten Geuze-Brauerei.

Monika Graf
Jean-Pierre Van Roy-Cantillon.
Jean-Pierre Van Roy-Cantillon.

Gut 220 Brauereien gibt es in Belgien - manche tatsächlich noch im Besitz von Klöstern oder Familien - und 500 Biersorten, viele davon deutlich stärker als in Österreich. Um an ihr Lieblingsbier zu kommen, legen Belgier nicht selten Extrakilometer zurück. Der Nicht einheimische kann den Grad der eigenen Belgisierung daran ablesen, ob er für jedes Bier bereits ein eigenes Glas im Küchenschrank hat.

Mit dem Sauerbier Geuze oder Lambic, das die Familie von Jean-Pierre Van Roy-Cantillon nahe dem Südbahnhof im Brüsseler Stadtteil Anderlecht herstellt, hat das alles nur wenig zu tun. Stiegl-Fans oder Grieskirchner-Trinker zucken meist zusammen, wenn sie diesen Gerstensaft von Cantillon - ohne moderne Zusätze - kosten. Denn das Bier ist sauer und vergleichsweise schal, eher wie Most.

"So hat Bier ursprünglich geschmeckt", sagt der 69-jährige Seniorchef der letzten belgischen "Naturbrauerei" samt Museum beim Frühstück in der kleinen Stube, die im Familienbetrieb für Besucher eingerichtet wurde. Heute werden Zucker, Kohlensäure, Hefebakterien und Ähnliches zugesetzt, um dem Geschmack der Zeit zu folgen, und mit modernen Heiz- und Kühlanlagen wird der Brauprozess auf wenige Tage statt Jahre verkürzt.

Bei Cantillon wird (abgesehen von der Abfüllanlage) Lambic gemacht wie vor 100 Jahren: mit Spontangärung durch natürliche Hefe in der Umgebungsluft und nur im Herbst bzw. Winter, weil es dafür bestimmte Temperaturen braucht. Das Produkt ruht bis zu drei Jahre in Eichenfässern, dann wird es gefüllt. Geuze entsteht aus jüngerem Lambic, das in den Flaschen genau wie Champagner weitergärt, daher gibt es auch einen Korkverschluss. Für Geuze mit Kirsch- oder Himbeergeschmack kommen echte Früchte in die Fässer. Van Roy, ein ausgebildeter Physik- und Geo grafieprofessor, hat die von der Schließung bedrohte Brauerei 1968 vom Schwiegervater übernommen. Er erzählt gern, wie es aufwärtsgegangen ist und die Zeitung "La Libre Belgique" erstmals groß berichtet hat. Warum er aufgehört hat, Lokale zu beliefern, und wie es zum "Musee de Bruxelles de la Geuze" und den Führungen kam, die heute eine gute Zusatzeinnahme sind. Fast 50.000 Besucher kommen im Jahr - und kaum einer geht ohne eine Flasche Sauerbier weg. Der Trend zu Tradition und Natur hilft auch Cantillon. "Heute haben wir gar nicht genug Bier", sagt Van Roy. Vor 25 Jahren hat er noch versucht, Konzerne wie Interbrew zu klagen, weil der Geuze verkaufte, bei dem längst nichts mehr spontan war. Dann wurden die Gesetze gelockert. Mit Kritik spart er auch heute nicht. "Das meiste, was auf den Bieretiketten steht, sind Lügen", sagt er, oder es werde, wie der extreme Zuckergehalt, nicht angeführt. "Das ist alles nicht seriös."