Die Digitalisierung werde den Arbeitsmarkt für schlecht Qualifizierte vernichten und uns ein riesiges Arbeitslosenproblem bescheren, kann man in schöner Regelmäßigkeit hören und lesen. Diese düstere Prognose mag durchaus eintreten.
Aber nur dann, wenn wir es zulassen.
Szenenwechsel zu einem großen Friedhof in einem großen Wiener Außenbezirk. Dort residierte seit jeher, geborgen in seinem Portiershäuschen beim Haupttor, ein Bediensteter der kommunalen Friedhofsverwaltung. Er beobachtete das Kommen und Gehen der Besucher, öffnete und verschloss die Friedhofstüren, ließ Autos mit gebrechlichen Friedhofsbesuchern ins weitläufige Gelände einfahren oder auch nicht, kurz: Er war einfach da.
Seit einiger Zeit ist er nicht mehr da. Das Portiershäuschen ist verschlossen, sein Insasse wurde wegrationalisiert. Statt eines Menschen aus Fleisch und Blut bewacht den Friedhofseingang nun ein automatischer Schranken und ein Kassenautomat. Wieder ein Job eingespart. Wieder eine Chance weniger für einen Geringqualifizierten. Niemand ist mehr da, der das Kommen und Gehen der Besucher beobachtet, niemand, der die Friedhofstore im Auge behält, niemand, der den Weg zu den Gräbern weist.
Wenige Monate nachdem der Portier durch einen automatischen Schranken und einen Kassenschalter ersetzt worden war, kam es auf
besagtem Friedhof zu einem schändlichen Akt von Vandalismus. Der liebevoll gestaltete Grabstein eines jungen Mannes, der vor einigen Jahren von einem buchstäblich Verrückten auf offener Straße mit einem Pistolenschuss ermordet worden war, war mit violetten Hakenkreuzen und Parolen beschmiert worden. Niemand kann ermessen, was beim Anblick dieser Grabschändung in den Eltern und der Schwester des ermordeten jungen Mannes vorgegangen ist.
Und natürlich kann auch niemand ermessen, ob das Vorhandensein eines Portiers - der ja nur bei Tageslicht seiner wachenden Aufgabe oblag - die Schändung verhindert und die Vandalen vertrieben hätte. Sicher ist nur: Wo kein Portier, kein Wächter, kein wachsames Auge, dort können Vandalen ungestört hausen. Denn der Einfahrtsschranken kann ebenso wenig den Polizeinotruf betätigen wie der Kassenautomat.
Es gibt keine Jobs mehr für schlecht Qualifizierte? Hier wäre einer. Es bedarf nicht vieler Bildung, auf einem Friedhof nach dem Rechten zu sehen. Und es bedarf nicht viel Geldes der öffentlichen Hand, einen solchen Job zu sichern, statt den betreffenden Menschen durch elektronischen Schnickschnack zu ersetzen. Man müsste dem oder der Betreffenden nur ein wenig mehr bezahlen als die Mindestsicherung, und es würden sich gewiss Interessenten finden. Vielleicht auch aus den Reihen der Asylberechtigten, die sich ohnehin schwertun bei der Jobsuche.
Wie gesagt: Unsere Gesellschaft könnte derartige Jobs schaffen und sichern, aber wir tun das Gegenteil. Wir errichten unbemannte Tiefgaragen, die mit ihren finsteren Ecken und leblosen Zahlautomaten riesige Angsträume sind, vor allem in der Nacht. Wir haben den unbemannten Bahnhof erfunden. Wir tüfteln an
U-Bahnen und Bussen, die ohne Fahrer auskommen. Wir sperren Ticketschalter zu und ersetzen sie durch Maschinen. Wir schließen Supermarktkassen und ersetzen sie durch Maschinen. Wir machen den ausländischen Pflegerinnen durch Kürzung der Familienbeihilfe das Leben schwer und zerbrechen uns lieber den Kopf über Pflegeroboter. Die Gemeindeverwaltungen und Stadtgärten investieren lieber in unerträglich laute und stinkende Laubbläser und Schneefräsen statt in Menschen, die sich mit einfachen Arbeiten ein paar Euro dazuverdienen könnten.
Und wir können sicher sein: Die Kosten der Arbeitslosigkeit, die nicht nur in Geld, sondern auch in sozialer Ausgrenzung zu veranschlagen sind, werden die Vorteile der Rationalisierung, Roboterisierung und Digitalisierung bei Weitem übersteigen.