Die Bundesregierung plant Maßnahmen gegen den Hass im Netz. Das ist ein durchaus unterstützungswürdiges Unterfangen, und vielleicht beginnt die Regierung gleich bei sich selbst. Und nimmt die jüngsten unsäglichen Einschaltungen der FPÖ vom Netz, in denen der Eindruck erweckt wird, grinsende Afrikaner machten sich mit österreichischem Kindergeld ein schönes Leben. Oder die Kampagne der FPÖ Steiermark, die gegen die Diözese Graz hetzt, weil diese Sprachkurse für Migranten finanziert. Hass im Netz entströmt nicht nur dumpfen Hinterstuben.
Mindestens ebenso wichtig wie Maßnahmen gegen Hass im Netz wären Maßnahmen gegen die Hysterie im Netz. Gegen die Kultur der Ausgrenzung, der moralinsauren Besserwisserei, des rituell gepflegten Wütend- und Beleidigtseins, das unsere internetgestützte moderne Kommunikation prägt. Doch hier stößt die Politik an ihre Grenzen.
Die moderne Menschheit ist in einen permanenten Zustand der Aufgeregtheit geraten. Eine junge Grüne posiert mit Stinkefinger und der Botschaft "To my haters with love!" im Netz? Besagtes Netz, im Verein mit dem Zeitungsboulevard, kann sich kaum einkriegen vor Empörung. Ein Kärntner Jung-Roter postet etwas von einer "Nazion" Österreich und einem "Scheiß-Innenminister"? Und schon ist die politische Karriere vorbei, noch ehe sie begonnen hat. Dass das inkriminierte Posting mindestens ein halbes Jahr alt ist und sich der junge Mann dafür entschuldigt hat, ficht die Empörten nicht an. Und niemand stellt die Frage, ob es nicht möglich und sogar besser wäre, einer jungen Grünen oder einem jungen Roten derlei Torheiten einfach durchgehen zu lassen, statt sie zu maßregeln. Niemand stellt die Frage, ob wir tatsächlich Jungpolitiker wollen, die niemals über die politischen Stränge schlagen, die den Begriff "Sturm und Drang" nur aus dem Literaturunterricht kennen und die mit 23 Jahren schon so abgeklärt sind wie ein Ministerialrat knapp vor dem Ruhestand.
Es sind nicht nur junge Linke, denen schon bei der kleinsten Verfehlung die Wut der Empörten entgegenschlägt, es sind auch junge Konservative. Auf Twitter finden sich jede Menge soignierter Alt-68er, die dem Bundeskanzler nicht nur seine ein wenig hohe Stimmlage höhnisch zum Vorwurf machen, sondern ihm auch vorhalten, dass er vor gut einem Jahrzehnt, als Chef der Jungen ÖVP, mit einem "Geilomobil" wahlgekämpft hat. Sie werten das als Beleg für des Kanzlers Oberflächlichkeit. Dabei könnte man es ebenso als Beleg werten für seine Fähigkeit, die einst verschnarchte ÖVP aus ihrer Lethargie zu reißen und für Menschen jenseits des Bauern- und Beamtenstandes wählbar zu machen. Was der ÖVP immerhin den Kanzlersessel eingetragen hat.
Im Übrigen sind es nicht nur Jugendtorheiten, die ein höheres Maß an Gelassenheit in der öffentlichen Beurteilung verdient haben. Auch Torheiten als solche, begangen von altgedienten politischen Veteranen, könnten ein wenig Toleranz vertragen. Ein schwarzer Mandatar erlaubt sich ein sexistisches Posting? Hinweg mit ihm aus dem Parlamentsklub! "Ihr Rücktritt, bitte", kreischt es aus den sozialen Medien und aus den Pressediensten der gegnerischen Parteien, wenn sich ein Politiker auch nur beim kleinsten Fehltritt erwischen lässt, und sei es, dass er ein Gemälde von seinem Parlaments- in sein Parteibüro mitgenommen hat. Die katholische Kirche kennt die bewährten Instrumente der Beichte, der Gnade und der Vergebung. Die Gerichtsbarkeit kennt die Instrumente des Freispruchs im Zweifel oder der bedingten Strafe. Unsere mediale Welt kennt nur noch die Gnadenlosigkeit, und geht es nach den Oberrichtern im Netz, lautet die Strafe in jedem Fall: Existenzvernichtung.
Der Politikberater Thomas Hofer stellte in seiner ausnehmend klugen Rede beim Festakt "100 Jahre Republik" im Parlament die Frage, "an welchen allgemein zugänglichen Orten wir künftig demokratisch Themen verhandeln" werden. Denn: "Diese Orte kommen uns zunehmend abhanden." Die allgemeine politische und mediale Erregungskultur sei in einen "schrillen Dauerton" übergegangen, "der uns unempfindlich macht gegenüber dem, was sich an Wesentlichem ereignet". Und Hofer weiter: "Was heute oft passiert, ist eine rein emotionale Aufladung des politischen Diskurses. Wenn wir das Thema ,Freihandel' rein auf Chlorhühner und Hormonfleisch reduzieren, wird es kaum zu einem sinnvollen Abwägen von Argumenten kommen können."
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer ein Antwortversuch auf die von Hofer gestellte Frage, an welchen Orten wir künftig demokratisch Themen verhandeln werden. Die sozialen Medien werden dieser Ort jedenfalls nicht sein. Doch wie wär's mit dem guten alten Parlament, wo Argumente mit Gegenargumenten ausgetauscht werden? Wie wär's mit den guten alten Medien, die Informationen checken und gegenchecken, ehe sie die Welt irre machen?
Politischer Diskurs erfordert, dass man Meinungen und Haltungen, die man für falsch hält, bekämpft.
Und nicht die Menschen, die diese Meinungen und Haltungen vertreten.