Wenn sich der Nachbar drei Häuser weiter ins eigene Knie schießt - ist es dann vernünftig, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, eine Faustfeuerwaffe zur Hand zu nehmen, das eigene Kniegelenk ins Visier zu nehmen und es dem verwirrten Nachbarn gleichzutun? Wohl kaum. Daher ist es einigermaßen verwunderlich, dass nach der unseligen Brexit-Entscheidung der Briten nun hierzulande Einzelstimmen laut werden, die nach einem EU-Austrittsplebiszit auch in Österreich rufen. Diese Stimmen ertönen eher am rechten Rand des Parteienspektrums. FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer beispielsweise hat ein solches Plebiszit für den Fall in Aussicht gestellt, dass die Türkei der EU beitritt.
Nun gehört ein erhebliches Maß an - sagen wir freundlich - Mut dazu, angesichts des Chaos, das die Brexit-Betreiber in ihrer britischen Heimat angerichtet haben, eine solche Forderung ernsthaft zu erheben. Überdies scheint Norbert Hofer ein nicht unwesentliches Detail entgangen zu sein: Die Türkei kann - wenn überhaupt - nur der EU beitreten, wenn die Österreicher das zuvor in einer Volksabstimmung gebilligt haben. In Hofers Vision sagen also die Österreicher zuerst Ja zum türkischen EU-Beitritt - und im selben Atemzug Nein zum eigenen Weiterverbleib in der Union. Dieser Mann verspricht, sollte er Bundespräsident werden, eine - seien wir nochmals freundlich - unkonventionelle Amtsführung.
Eines wird durch Äußerungen wie jene des blauen Präsidentschaftskandidaten freilich klar: Das Misstrauen gegen europäische und sonstige Eliten ist mittlerweile derartig tief in der Bevölkerung verankert, dass man mit Attacken gegen diese Eliten - und das, wofür diese Eliten stehen - jederzeit wohlfeile Punkte auf der Populismusskala sammeln kann. Wer gegen "die EU" agitiert, heimst in weiten Kreisen Applaus ein, so unsinnig kann die Polemik gar nicht sein. Und die Tatsache, dass es "die EU" gar nicht gibt und dass wir Österreicher ein Teil der EU sind, fällt großzügig unter den Biertisch.
Denken wir an CETA, das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada: Kaum jemand weiß wirklich, was in diesem 160-Seiten-Vertrag steht. Aber die kürzlich in der "Krone" verlautbarte Befehlsausgabe an die Bundesregierung ("Jetzt deutlich Nein sagen zum CETA-Handelspakt!") wird, man kann sicher sein, ihre wenig segensreiche Wirkung entfalten. Und schon ist der Freihandel, auf dem ein Gutteil des Wohlstands der Welt beruht, dank der Tätigkeit populistischer Vereinfacher zum Schreckensbegriff verkommen.
Wohlfeile Populismuspunkte lassen sich auch mit gezielten Verdächtigungen gegen den österreichischen Staat sammeln. Kaum war der Spruch der Verfassungsrichter verhallt, mit dem sie die Aufhebung der Präsidentschaftswahl entschieden, kündigte ein freiheitlicher Nationalratsabgeordneter bereits die Anfechtung auch der nächsten Stichwahl an, "wenn wieder solche Unregelmäßigkeiten passieren". Ein perfider Misstrauensvorschuss gegen den Staat, erteilt von einem auf die Verfassung vereidigten Parlamentarier. Gut möglich natürlich, dass die vorauseilend unterstellte Unregelmäßigkeit bei der Wahlwiederholung aus blauer Sicht darin besteht, dass Norbert Hofer neuerlich verliert. Jedenfalls kann auch auf solche Weise das Vertrauen der Bürger in den Staat gezielt untergraben werden.
Die Eliten auf europäischer und österreichischer Ebene machen es ihren Gegnern freilich sehr leicht. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker etwa quittierte das Vorhaben der Bundesregierung, das Handelsabkommen CETA dem Nationalrat vorzulegen, mit der Aufforderung: "Hören Sie mit dem österreichischen Klamauk auf, so zu tun, als ob ich mich an der österreichischen Demokratie vergreifen würde." Eine solche Bemerkung ist erstens unverschämt. Und zweitens dazu geeignet, auch noch den gutwilligsten EU-Befürworter an der Union (ver)zweifeln zu lassen. Dass die Union weder eine Antwort auf den Brexit hat noch auf die Massenmigration in Richtung Europa, macht die Sache nicht besser.
Und natürlich hat auch die Unterstellung, dass auch bei künftigen Wahlen in Österreich mit der Rechtsordnung Schindluder getrieben werde, einen realen Kern. Wie sich anlässlich der jüngsten Stichwahl ja herausgestellt hat. Staatliche Behörden, die nicht in der Lage sind, Wahlen redlich abzuhalten, haben sich einen Schuss Skepsis redlich verdient.
Ein Staat, der seine eigenen Gesetze nicht einhält, macht sich ebenso verletzlich gegen die Angriffe der Populisten wie eine Europäische Union, deren Spitzenrepräsentant die Regierungen seiner Mitgliedsstaaten wie Schulbuben behandelt. Die Stunde der Populisten schlägt stets dann, wenn die Eliten breitflächig versagen.

