Kleine Koalitionskritik in vier Punkten: In puncto Sachpolitik ist die Arbeit der neuen Bundesregierung durchaus solide. Etwa in der Bildungspolitik: Deutschklassen für Kinder, die dem Unterricht nicht folgen können, sind ebenso sinnvoll wie eine Beschränkung von überlaufenen Studienrichtungen. Oder in der Steuerpolitik: Der Ansatz, lieber die Steuerzahler zu entlasten, statt jenen, die ausschließlich von staatlichen Transfers leben, noch ein paar den Steuerzahlern abgeknöpfte Euro draufzugeben, ist nachvollziehbar.
Der Regierung geht es darum, den Einkommensunterschied zwischen jenen, die Mindestsicherung beziehen, und jenen, die arbeiten gehen, zu vergrößern. Das ist klug. Es geht ihr darum, Anreize für Leistung zu schaffen. Das ist klug. Links der Mitte angesiedelte Kritiker nennen es unsozial. Ihnen sei in Erinnerung gerufen: Die Österreicher haben bei der letzten Wahl mehrheitlich Parteien rechts der Mitte gewählt. Diese Regierung ist das Resultat.
Auch was - Punkt zwei - den Umgang der Koalitionsparteien miteinander betrifft, lautet das Urteil: o. k. ÖVP und FPÖ lassen einander leben. Selbst wenn sich der eine Partner restlos verstolpert, wie etwa die FPÖ in der Raucherdebatte, entzieht ihm der andere Partner nicht die Unterstützung. Für die ÖVP mag es gar nicht so leicht sein, den Parlamentsklub und die Parteifunktionäre in der unseligen Rauchercausa bei der Stange zu halten. Doch die FPÖ-Führung musste ihrem Parlamentsklub und ihrer Parteibasis vergleichsweise schon viel mehr zumuten als die ÖVP, man denke an die Europapolitik, die die FPÖ eins zu eins von der ÖVP übernehmen musste. Oder an die im Koalitionspakt festgehaltene ÖVP-Idee, die Notstandshilfe durch die Mindestsicherung abzulösen. Oder an die Vehemenz, mit der die ÖVP auf den Rücktritt des freiheitlichen Spitzenkandidaten in Niederösterreich drängte, Stichwort: Liederbuchaffäre. Derlei ist für einen Freiheitlichen nicht leicht zu ertragen. Doch es funktioniert. Bisher.
Punkt drei: Hinsichtlich des Umgangs der Koalition mit der Öffentlichkeit ist noch Luft nach oben. Die Inszenierungen und Informationsfilterungen des Kanzleramts machen wenig Freude. Es ist entbehrlich, dass - wie letzten Donnerstag geschehen - Kanzler und Vizekanzler aus Propagandagründen Kleinkinder ins Kanzleramt karren, um dort vor laufenden Kameras "gemeinsam den Familienbonus" zu feiern. Noch entbehrlicher sind die rollenden Angriffe der FPÖ gegen den ORF.
Bleibt ein vierter Punkt, der ebenfalls Anlass zur Sorge gibt. Dieser Punkt ist der Vizekanzler. Es hat den Anschein, dass Heinz-Christian Strache, der zeit seines Lebens Oppositionspolitiker war, noch nicht in seiner Rolle als Regierungspolitiker angekommen ist - und es erhebt sich die Frage, ob er jemals ankommen wird.
Heinz-Christian Strache hat sich restlos verrannt in der Raucher-Sackgasse. Er findet völlig absurde Antworten auf die Frage, warum er früher bei jeder Gelegenheit nach einer Volksbefragung rief, angesichts des Anti-Rauch-Volksbegehrens aber nichts mehr von der direkten Demokratie wissen will. Er diffamiert auf seinen Social-Media-Accounts wahllos Menschen, etwa den ORF-Journalisten Armin Wolf, den er der Lüge bezichtigte; oder den eine Zigarette rauchenden Ärztekammerpräsidenten Thomas Szekeres, von dem Strache ein Bild postete mit der Unterschrift: "Ärzte-Chef am 14. 2. 2018 beim Rauchen erwischt - Wasser predigen, Wein trinken". Ganz so, als ob Szekeres ein Volksbegehren gegen das Rauchen gestartet hätte und nicht bloß gegen das Rauchen in der Gastronomie. Ganz so, als ob ein vor einem Restaurant auf der Straße rauchender Bürger zum Abschuss durch Facebook freigegeben wäre.
Strache konterkariert die österreichische Kosovo-Politik ("der Kosovo ist zweifelsohne ein Bestandteil Serbiens"). Strache findet nichts dabei, dass seine Ehefrau einen Angestelltenvertrag mit der eigenen Partei hat. Strache lässt zu, dass der freiheitliche Mediensprecher hanebüchene Angriffe gegen den ORF richtet, etwa wenn dieser meldet, dass zwei schwarze Ex-Politiker das Anti-Rauch-Volksbegehren unterschrieben haben.
Man könnte sagen: Strache ist außer Tritt geraten. Doch dazu müsste er jemals im richtigen Regierungstritt gewesen sein. Aber das war er noch nie.
Zugegeben: Es ist nicht leicht, von der Oppositions- in die Regierungsrolle zu wechseln. Dies vor allem dann, wenn man so sehr Oppositionspolitiker war wie Strache, der seinerzeit vor keiner Polemik zurückgeschreckt ist und dem keine Attacke gegen die Regierenden zu billig war. Gar nicht so einfach, wenn man nun selbst Regierender ist. Man muss Verständnis für Strache haben - doch man sollte erwarten, dass er bald die geistige Transformation in die Regierung schafft.
So wie man allmählich von der SPÖ erwarten würde, dass sie nicht bloß polemisiert, sondern - wie es einer staatstragenden Partei ansteht - solide Oppositionspolitik betreibt. Aber das ist eine andere Geschichte.