Wer ist schuld daran, dass die in Österreich sesshaften Türken im Durchschnitt ein niedrigeres Bildungsniveau und eine höhere Arbeitslosigkeit aufweisen als andere Gruppen von Migranten? Eine dieser Tage im Radio auftretende Politologin mit türkischen Wurzeln vermeinte es zu wissen: Die "Rassismen", denen die Betroffenen in Österreich ausgesetzt seien, trieben diese in die Isolation.
Die Politologin stimmte damit in ein Lied ein, das in gutmeinenden autochthon-österreichischen Kreisen gern gesungen wird. Das Lied von der Integration, die zu hundert Prozent eine Bringschuld der österreichischen Gesellschaft sei. Und zu null Prozent eine Holschuld der Migranten. Folgerichtig diskreditieren diese Kreise jede vorgeschlagene Integrationsmaßnahme, die nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten für die Empfänger vorsieht, als rechtspopulistische und fremdenfeindliche Zwangsmaßnahme.
Es wird also wenig Sinn haben, besagten Kreisen entgegenzuhalten, dass die Türken in Österreich, wie alle anderen Bewohner, sämtliche Vorteile eines hervorragend ausgebauten Sozialstaats genießen, mit freier Bildung und Zutritt zum Gesundheitssystem für alle. Es wird wenig Sinn haben, sie zu fragen, wo hier die beklagten "Rassismen" liegen sollen.
Und vor allem wird es wenig Sinn haben, sie zu fragen, wem damit gedient sein soll, wenn Türken und auch andere Migrantengruppen ständig in eine Opferrolle gedrängt werden: Opfer von "Rassismen". Opfer der neoliberalen Zumutung, dass das Recht auf Sozialleistungen auch mit Pflichten verbunden sein könnte. Opfer der raffgierigen öffentlichen Hand, die nicht genug Deutsch- und Integrationskurse anbietet. Opfer der bösen westlichen Welt, deren bisherige Bewohner es ganz gerne hätten, wenn man ihre westlichen Werte respektiert.
Wer den von Ausgrenzung betroffenen Mi granten hingegen wirklich helfen will, der holt sie aus ihrer Opferrolle. Der parkt sie nicht im Sozialstaat, sondern unterstützt sie dabei, ein aktives, selbstbestimmtes, steuerzahlendes Mitglied der Gemeinschaft zu werden.
Doch dieser Gedanke ist nicht populär, und der Opfer-Topos prägt auch in hohem Maße den jüngst erschienenen "European Islamophobia Report 2016", also den "Europäischen Islamophobie-Bericht", herausgegeben von den beiden österreichischen Politikwissenschaftern Farid Hafez und Enes Bayraklı. Kurzfassung: Alle sind böse zu den Moslems. "Insbesondere die mediale Landschaft zeichnet sich durch eine Verbreitung islamophober Positionen aus", schreiben die Autoren.
Worin besteht nun die beklagte Islamfeindlichkeit der heimischen Medien? "Die Presse" wird gerügt, weil sie den deutschen Philosophen Rüdiger Safranski mit der Warnung zitierte, dass "nordafrikanischer Antisemitismus" nach Deutschland importiert werden könnte. Der "Kurier" bekommt sein Fett weg, weil die stellvertretende Chefredakteurin anmerkte, dass man in manch Wiener U-Bahn kein deutsches Wort mehr hört. Das Sünden register des "Standard" besteht darin, islam kritische Experten interviewt zu haben. Und den "Salzburger Nachrichten" - genauer gesagt: dem Autor der Zeilen, die Sie gerade lesen - wird mittels messerscharfer medizinischer Ferndiagnose gar "Hysterie" attestiert. Warum? Weil er der Sorge Ausdruck gab, dass ein Terroranschlag à la Anderlecht oder Molenbeek auch in Österreich passieren könnte.
Auch sonstige Kritiker werden in wenig sachlicher Form niedergemacht. Die kritische Studie des Religionspädagogen Ednan Aslan über die Zustände in den Wiener islamischen Kindergärten wird als "so-called ,Kindergarten Study'" diskreditiert, ohne dass auch nur ansatzweise erklärt wird, womit sich Aslan das verächtliche "so-called" und die hämischen Gänsefüßchen verdient hat. Die Neos ernten Schimpf, weil sie "full transparency regarding the financing of religious institutions" verlangt haben, also finanzielle Transparenz der religiösen Institutionen. Was, bitte, ist daran islamfeindlich? Die Israelitische Kultusgemeinde wiederum erfährt die Auszeichnung, in einem Aufwaschen mit der FPÖ gescholten zu werden. Und zwar, weil sich jede der beiden Organisationen, unabhängig voneinander, in öf fentlichen Veranstaltungen mit dem "islamischen Antisemitismus" beschäftigt hatte. Pardon: mit dem "sogenannten islamischen Antisemitismus", den es, darauf deutet das Wörtchen "sogenannt" hin, laut Auffassung der Studienautoren gar nicht gibt. Kein gutes Haar lässt der Bericht an den Grünen Peter Pilz und Efgani Dönmez, deren pragmatischer Realismus als, erraten, islamfeindlich entlarvt wird.
Und ganz böse natürlich: Integrationsminister Sebastian Kurz, dem unter anderem angekreidet wird, dass er in den Wertekursen für Zuwanderer auch das Thema Antisemitismus verankern will. Wie kann er nur!
Wer nur Opfer ist, kann niemals Täter sein. Und so streift der Islamophobie-Bericht die massenhafte sexuelle Belästigung junger Frauen in der Kölner Silvesternacht nur nebenbei, gewissermaßen als Randereignis, und bedauert werden nicht die jungen Frauen, sondern nur der Umstand, dass die Ereignisse antiislamische Reflexe ausgelöst hätten.
Freundlich formuliert: Dieser Bericht - dessen Vorgänger-Bericht vergangenes Jahr in allen Ehren im EU-Haus zu Wien präsentiert werden durfte, so viel zu den bösen "Rassismen" in der österreichischen Gesellschaft - ist kein Beitrag zum besseren Verständnis der Religionen und Kulturen.