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Zum Glück hat uns keiner gefragt

Man braucht bloß ein wenig an der Oberfläche zu kratzen, und schon kommen die alten autoritären Muster zum Vorschein. In der Türkei? Nein. In Österreich.

Andreas Koller
Auch wenn niemand ernsthaft nach einem totalitären Despoten ruft: Die Demokratie ist hierzulande nicht so unangreifbar, wie es wünschenswert wäre.
Auch wenn niemand ernsthaft nach einem totalitären Despoten ruft: Die Demokratie ist hierzulande nicht so unangreifbar, wie es wünschenswert wäre.

Diese Türken! Wählen doch tatsächlich per Abstimmungszettel einen "starken Mann" an die Staatsspitze, der sich um den Rechtsstaat nichts schert und der drauf und dran ist, die Demokratie zu beerdigen. Es gibt eben doch einen Unterschied zwischen den stabilen westlichen Demokratien, wie wir sie in unseren gesegneten Breiten kennen, und den nicht so gesegneten Breiten hinten, weit, in der Türkei, wo die Demokratie halt immer wesensfremd war. Und dann erst die Türken in Österreich: Fast drei Viertel von ihnen haben für den Despoten Erdoğan gestimmt! Typischer Fall mangelnder Integration . . .

An dieser Stelle ist es angebracht, sich selbst ins Wort zu fallen und den Blick auf unsere stabile westliche Demokratie in Österreich zu richten. Beziehungsweise auf die stabilen westlichen Demokraten, die sie bevölkern. In dieser Hinsicht hat vor einiger Zeit eine Studie des SORA-Instituts einige Beunruhigung ausgelöst. Besagtes Institut hat im Oktober 2015 einem Sample von 1000 Österreichern die folgende Feststellung vorgelegt: "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss." 13 Prozent haben dieser Feststellung "sehr", weitere 26 Prozent "ziemlich" zugestimmt. Ergibt knapp 40 Prozent, die sich einen kleinen - oder vielleicht auch größeren - Diktator der Marke Er doğan an der Staatsspitze wünschen. Und zwar mit steigender Tendenz. Denn die gleiche Frage wurde 1000 Österreichern bereits 2007 vorgelegt. Damals wünschten sich nur zehn Prozent der Befragten "sehr" oder "ziemlich" einen Diktator. 2009 waren es bereits 20 Prozent. 2014 waren es 26 Prozent. Und im Oktober 2015 die besagten knapp 40 Prozent.

Zur Abrundung eine weitere Umfrage: Der "Standard" berichtete kürzlich über eine solche, die das Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien unter 700 Lehrlingen durchgeführt hat. Laut dieser Untersuchung bekannten sich zwar drei Viertel der Befragten, von denen alle über 18 Jahre waren, grundsätzlich zur Demokratie als Regierungsform. Doch 47 Prozent riefen nach einem Diktator, sprich: nach einer "starken Persönlichkeit an der Staatsspitze, die sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss". Hatten wir schon! Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Obmann Erhard Busek brachte die Sehnsucht überraschend vieler Österreicher nach einer starken Hand einst auf die Formel: "Ein kleiner Hitler - aber liab muss er sein."

Wie man sieht, ist die Demokratie auch hierzulande nicht so kratzfest, wie es wünschenswert wäre. Man braucht bloß ein wenig an der Oberfläche zu schaben, und schon kommen die alten, offensichtlich nur behelfsmäßig überpinselten autoritären Muster zum Vorschein. Es ist beruhigend, dass die Österreicher - anders als die Türken - bisher nur per Umfrage über ihre Einstellung zur Demokratie befragt wurden. Und nicht per Volksabstimmung. Doch fatalerweise kann die Demokratie auch ganz ohne Plebiszit bis zur Unkenntlichkeit ausgedünnt werden, wie die Vorgänge in Ungarn und Polen beweisen.

Die Analysten des SORA-Instituts führen für die Krise der Demokratie unter anderem ein "Gefühl der Überforderung" ins Treffen, das die Menschen aufgrund der "Komplexität der Welt" erfahren. Verbunden mit einem "Gefühl der politischen Ohnmacht", der "Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik" sowie der "mangelnden Konfliktkultur" im Lande. All diese Gefühle hätten zu "sinkendem Vertrauen in andere Menschen, sinkendem Vertrauen in die Institutionen der Demokratie, Misstrauen gegen das Wirtschaftssystem" geführt.

Man könnte den befragten Demokratie-Zweiflern den Einwand entgegenhalten, dass sie sich zu sehr auf "Gefühle" verlassen statt auf ihre Vernunft. Die Vernunft würde ihnen nämlich sagen, dass sie in einem wunderbaren Land mit erstklassigem Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftssystem leben. Und dass keinerlei Grund besteht, die Demokratie, die all diese Errungenschaften erst ermöglicht hat, infrage zu stellen. Wie gesagt, diesen Einwand könnte man den befragten Demokratie-Zweiflern entgegenhalten, doch er wird der Sachlage nicht gerecht. Denn allein mit Argumenten der Vernunft ist weder eine Wahl zu gewinnen noch eine Demokratie dauerhaft abzusichern, wenn die Menschen die Sorge quält, dass sie ihren Kindern keine gesicherte Zukunft bieten können; dass die Null-Zinsen-Politik ihr Erspartes und die Steuer ihre Arbeitseinkünfte frisst; dass die europäischen Staaten, man denke
an die unkontrollierte Migration nach Europa, einen Teil ihrer Schutzfunktion aufgegeben haben. All diese Sorgen werden noch aufgebauscht durch Verschwörungstheorien, wie man sie im Internet und in Boulevardmedien zuhauf findet. Und wer in der Regierungspolitik nach Halt und Stütze sucht, wird enttäuscht, denn die beiden Regierungsparteien sind damit beschäftigt, einander täglich das Vertrauen zu entziehen, wodurch auch die Menschen das Vertrauen verlieren. Kein Wunder, dass sich immer weniger vor dem starken Mann fürchten.