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Ziemlich beste Feinde

Wählen, bitte! Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass SPÖ und ÖVP, die einander täglich hingebungsvoll befetzen, gemeinsam in einer Regierung sitzen.

Andreas Koller
Koalition der Unwilligen: Christian Kern, Reinhold Mitterlehner.
Koalition der Unwilligen: Christian Kern, Reinhold Mitterlehner.

Ein ganz normales Wochenende in Österreich: Der Bundeskanzler unterstellt dem Außenminister (nur indirekt zwar, aber unmissverständlich), er wolle Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Der ÖVP-Klubchef wirft dem Bundeskanzler vor, einen Zickzackkurs zu fahren. Der SPÖ-Klubchef wirft dem ÖVP-Klubchef vor, in seiner Giftküche Fake News aufzukochen. Der Innenminister richtet dem Bundeskanzler aus, er könne sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Und so weiter. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass diese beiden Parteien, die einander da so hingebungsvoll befetzen, gemeinsam in einer Regierung sitzen. ÖVP und SPÖ mögen in der Regierungsarbeit schwächeln - die Arbeit der Opposition, die ja hauptsächlich darin besteht, die Regierungsparteien ganz übel zu finden, beherrschen sie mittlerweile aus dem Stand.

Dazu passt recht gut eine Studie, die das Markt- und Medienbeobachtungsinstitut media affairs jüngst publiziert hat. Bei einer Analyse des polit-medialen Grundrauschens, das über diesem Land liegt wie ein Tinnitus, kamen
die Medienbeobachter zu folgenden Schlüssen:
78 Prozent der Kritik, die öffentlich an der SPÖ geübt wird, kommt nicht etwa von FPÖ, Grünen oder Neos, sondern - von der ÖVP. Andersrum ist es nicht viel besser: 68 Prozent der Kritik, die an der ÖVP geübt wird, kommt von der SPÖ. Wobei die ÖVP der deutlich aktivere, um nicht zu sagen: aggressivere Part ist. Das Volumen der ÖVP-Kritik an der SPÖ sei um beinahe zwei Drittel höher als umgekehrt, schreiben die Medienbeobachter von media affairs.

Noch etwas fällt auf. Wir zitieren: "Bundeskanzler Kern wird deutlich stärker kritisiert als alle ÖVP-Regierungsmitglieder zusammen." Und: "ÖVP-Chef Mitterlehner wird von der SPÖ praktisch nicht kritisiert." Im Zentrum der roten Kritik stehen vielmehr der Innenminister und der Außenminister.

Die Sache ist klar: Die ÖVP mäkelt mit Hingabe am Bundeskanzler herum, um sein Strahlemann-Image zu beschädigen. Die SPÖ hingegen fasst Vizekanzler Mitterlehner mit Samthandschuhen an, weil sie sich nichts inständiger wünscht, als dass Mitterlehner anstelle von Sebastian Kurz als schwarzer Spitzenkandidat in die Nationalratswahl zieht. Weshalb die SPÖ den populären Kurz zur Zielscheibe ihrer Kritik auserkoren hat. Wie gesagt, all das ist völlig klar und parteitaktisch gut begründet. Es ist nur keine Basis für eine Regierungsarbeit.

Es liegt auf der Hand, dass diese Schein-Koalition ihren Schein nicht bis zum terminmäßigen Ende der Legislaturperiode im Herbst 2018 aufrechterhalten kann. Wahlen im heurigen Herbst - genannt wird der 26. November - sind wahrscheinlich, auch wenn sämtliche Regierungspolitiker vom Kanzler abwärts das Gegenteil sagen, zumindest solange die Mikros an sind. Gründe für vorzeitige Nationalratswahlen gibt es - abgesehen davon, dass die Regierung das Streiten zu ihrer Daseinsform erklärt hat - zuhauf: Die Serie an Landtagswahlen im kommenden Frühjahr, die nicht im Schatten der kriselnden Bundespolitik stattfinden sollen. Die EU-Präsidentschaft inklusive schwieriger Brexit-Verhandlungen, die Österreich ausgerechnet im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt - also am Höhepunkt des Wahlkampfs, sollten die Wahlen termingemäß im Herbst 2018 stattfinden. Der U-Ausschuss, der für SPÖ und ÖVP peinliche Ergebnisse liefern könnte - desto peinlicher, je länger sich die Legislaturperiode dahinschleppt.

Alles spricht also für baldige Wahlen. Was erstens zur Frage führt, warum jemand bei diesen Wahlen SPÖ oder ÖVP wählen soll. Also jene beiden Parteien, die einander seit Jahren wechselweise ausrichten, dass sie unfähig zum Regieren sind. Die zweite Frage lautet, wer nach den Wahlen regieren soll. Eine Fortsetzung der rot-schwarzen oder schwarz-roten Zusammenarbeit ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre weder wahrscheinlich noch erstrebenswert. Es scheint auch ausgeschlossen, dass sich der wahrscheinlich nächste ÖVP-Chef Sebastian Kurz freiwillig in eine Koalition mit der SPÖ begibt.

Bleiben als wahrscheinlichste Varianten Rot-Blau und Schwarz-Blau. Mit der Verheißung, dass Persönlichkeiten wie Harald Vilimsky, Johann Gudenus oder Heinz-Christian Strache während der EU-Präsidentschaft Österreich repräsentieren. Die Verantwortung dafür tragen die heutigen Regierungsparteien mit ihrem ausgeklügelten Wählervertreibungsprogramm.