Das Wetter in Lemberg ist trüb - und so ist meine Stimmung. Ich nehme ein leichtes Beruhigungsmittel ein. Erst jetzt merke ich, wie traurig ich bin. Ich bin in einer fremden Stadt weit weg von meiner Familie. Die Arbeit, die ich mache, ist interessant, aber mir fehlt der Kontakt zu anderen. Ich muss in Lemberg Freunde finden.
Doch wie geht das, wenn immer wieder die Sirene heult? Lernen Menschen sich in Kellern sitzend kennen? Macht man neue Freunde in Freiwilligengruppen oder Schlangen vor Blutspendezentren? Ich bin mir sicher, das sowas auch vorkommt. Doch ich fange mit einem Post in einer Facebook-Gruppe an. Vielleicht gibt es dort Mädels aus Lemberg.
Während ich meinen Post in einem Coworking-Space schreibe, spielt sich neben mir eine interessante Szene ab. Ein großer Mann in schwarzer Jacke kommt zu der Frau, die rechts von mir mit ihrem Laptop sitzt. Er gibt ihr eine weiße Tüte und sagt: "Verzeihen Sie mir bitte, ich habe Ihr Gespräch in der Küche ungewollt mitgehört. Hier ist etwas für Ihre Familie." Ohne auf ein Dankeschön zu warten, geht er weg.
Die Frau atmet tief ein und aus. Sie holt etwas aus der Tüte. Ich riskiere ein Auge auf ihr unerwartetes Geschenk. Es ist ein Kinderspielzeug, ein großes buntes Auto. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die Reaktion der Frau. Sie legt das Spielzeug in die Tüte zurück, begräbt ihr Gesicht in den Händen und zittert. Sie ist zu Tränen gerührt.
Ich treffe sie später in der Küche, während ich zu Mittag esse. Sie ist in den Essbereich gekommen, um einen Anruf zu machen, und spricht dabei ganz laut Russisch. Ich bitte sie höflich, ein kleines bisschen leiser zu sprechen. Sie sagt: "Hier darf man aber telefonieren!" - "Das darf man schon, aber geht es vielleicht ein wenig leiser? Danke." Sie verzieht ihr Gesicht und setzt ihr Telefonat fort, zumindest nicht so laut wie früher. Es geht ihr anscheinend nicht gut. Mir auch nicht.
Ich arbeite weiter an meinen Texten. Unter anderem übersetze ich jetzt Texte zum Thema "Psychologische Traumata und psychologische Unterstützung von Flüchtlingen". Zähle ich jetzt auch zu den Flüchtlingen? Wenn ich mich hier bei einer speziellen Behörde angemeldet hätte, würde ich wohl als intern vertriebene Person gelten. Für intern Vertriebene gibt es jetzt in der Ukraine Sozialhilfe von etwa 2000 Hrywnja (umgerechnet rund 60 Euro) pro Monat. Ich überlege, ob ich mir doch den Vertriebenenausweis holen will. "Man kann nie zu viel Geld haben", sagt ein ukrainische Sprichwort. Zu viel habe auch ich nicht. Aber ich habe genug. Manchmal komme ich mir gierig vor.
Manchmal ist es umgekehrt. Vor ein paar Tagen bekam ich mein Honorar für einen Übersetzungsauftrag, den ich noch vor dem Krieg gemacht hatte. Dann kontaktierte ich meine Familie und Freunde mit der Frage, ob sie finanzielle Unterstützung brauchen. Ich suchte jemanden, der diese paar Tausend Hrywnja vielleicht mehr braucht als ich. Lauter Absagen und Dankeschön. Ich könnte schwören, dass manche davon auch aus Stolz auf mein Angebot verzichteten.
Schließlich entscheide ich, das Geld an eine ukrainische NGO zu überweisen, die Tiere im Krieg schützt.Es gab zwei Kontonummern. Bei der Überweisung auf das erste Konto poppt in meiner Banking-App die Fehlermeldung auf: "Die Maximalsumme für eine Karte darf nicht 750 Transaktionen überschreiten". Ich lächelte und versuchte es mit dem zweiten Konto. Diesmal klappte es.
Mein Post in der Facebookgruppe ist nun veröffentlicht. Es gibt ein erstes Kommentar: "Wir sind all soziale Wesen und müssen unter Menschen sein. Ich wünsche dir, dass du gute Freunde findest, mit denen du auch nach dem Sieg befreundet bleiben wirst". Auch wenn meine Suche nach Freunden hier nicht klappen sollte, fühle ich schon jetzt sehr viel Dankbarkeit.
Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.

