Aufregung herrschte im November vergangenen Jahres vor allem außerhalb der EU, als Präsident Jean-Claude Juncker seine Ankündigung machte: Während der fünfjährigen Amtszeit seiner Kommission werde es keine neuen EU-Beitritte geben. Gemeint war, dass keiner der Kandidaten in den kommenden Jahren die Beitrittsverhandlungen abschließen werde, die Verhandlungen gehen trotzdem weiter.
Um Beitritte muss sich Juncker mittlerweile freilich weniger Sorgen machen als um mögliche Austritte. Zum einen sind da die Griechen und die Spekulationen über ihr Ausscheiden aus dem Euro. Das will man, so versichert die Kommission, in jedem Fall verhindern. Gut so, denn der Euro-Austritt ist weder politisch oder wirtschaftlich wünschenswert, noch vertraglich vorgesehen. Anders als der Austritt aus der gesamten EU, mit dem die Briten liebäugeln. Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es offiziell die Möglichkeit zum EU-Austritt. Jeder Mitgliedsstaat kann ihn "im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen", wie es in Artikel 50 heißt.
Mit den Wahlen in dieser Woche stellen die Briten die Weichen, ob es tatsächlich zu einer Abstimmung darüber kommen wird. Premier David Cameron hat sein Versprechen erneuert, im Herbst 2017 ein Referendum über den Verbleib in der EU abzuhalten, sollte er auch künftig in der Regierung sein.
Brüssel blickt also nach dem schottischen Referendum 2014 ein weiteres Mal mit Sorge auf die Insel. Niemand in der EU-Hauptstadt hat ein Interesse am Brexit. Und selbst wenn die Briten oft als Querulanten auftreten - auch die anderen Staaten wollen sie in der Union halten. Ein Austritt hätte negative wirtschaftliche Folgen für beide Seiten. Europas Wettbewerbsfähigkeit würde darunter ebenso leiden wie das ohnehin bescheidene außenpolitische Gewicht der Union. Nicht zuletzt wäre es eine Bankrotterklärung für die europäische Integration, sollte ein bedeutendes Land austreten.
Argumente, die nicht alle Briten überzeugen. Rund ein Drittel ist derzeit laut Umfragen für einen Austritt aus der EU. Die Debatte über ihre Zukunft in Europa werden die Briten daher zwangsläufig führen müssen, unabhängig vom Wahlausgang. Auch die proeuropäischen Parteien können es sich nicht leisten, langfristig Skeptikern und Populisten wie Nigel Farages Ukip das Feld zu überlassen. Ansonsten wird die Option des Austritts im Raum bleiben. Ob mit einem Referendum als Druckmittel, wie es Cameron plant, oder nicht: Die nächste Regierung wird wohl mit der EU über Reformen sprechen. Davon können alle profitieren. Denn viele Anliegen teilen die Briten mit anderen EU-Bürgern, etwa wenn es um weniger Bürokratie und mehr Transparenz geht.