Die Mehrheit der Europäer ist der Ansicht, die Flüchtlingskrise könne nur mit europäischen Maßnahmen gelöst werden. In Österreich waren es laut einer Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik vom September 54 Prozent. Ihre Ansicht teilt das offizielle Brüssel, vom EU-Parlament über die Kommission bis zum Ratspräsidenten. Im Rat selbst gehen die Meinungen weiterhin auseinander.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel machte bei ihrer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel vergangene Woche keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, dass aus Osteuropa in einer zentralen Frage keine Unterstützung kommt: bei der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Die beschlossene Umverteilung von 160.000 Menschen kann nur ein erster Schritt sein. Es reicht nicht, um der Krise gerecht zu werden. Die Osteuropäer, zuoberst Tschechien, die Slowakei und Ungarn, sperren sich aber gegen den fixen Verteilungsschlüssel.
Österreich, Deutschland und Schweden hatten die Diskussion wieder angestoßen. Allein der Vorstoß habe gereicht, die Stimmung am Verhandlungstisch zu verschlechtern, berichtete ein Diplomat. Merkel sagte danach, sie verstehe die harte Position der Osteuropäer nicht. Merkel hat zuletzt jede Möglichkeit genutzt, an deren Solidarität zu appellieren. Derzeit reicht der Konsens aber nur für gemeinsame Abschottung, wie Rückführungsabkommen oder Zusammenarbeit bei der Sicherung der Außengrenzen. Merkel hält aber auch die Verteilung von Flüchtlingen für notwendig.
Das resultiert aus zwei Grundprinzipien, mit denen sie ihre Linie abgesteckt hat: Abschottung funktioniert nicht; es gibt keine Obergrenze für Asyl.
Die Osteuropäer halten bei beidem dagegen. Tschechien und die Slowakei schicken Hilfe nach Ungarn, um die Abschottung an der EU-Außengrenze gemeinsam zu sichern. Dass Europa dem Menschenrecht auf Asyl verpflichtet ist und Flüchtlinge nicht einfach ablehnen kann, diese Ansicht teilen sie offenbar nur bedingt. Siehe Viktor Orbán, der Flüchtlinge an der ungarischen Grenze mit der Begründung ablehnen will, sie hätten bereits sichere Länder durchquert, wo sie hätten bleiben können.
Die Enttäuschung über die Osteuropäer liegt in dieser grundlegend unterschiedlichen Haltung. Die Osteuropäer hätten doch gesehen, dass Isolation nicht weiterführe, so wurde Merkel aus einer Sitzung der Europäischen Volkspartei zitiert. Festung Europa oder geordnete Flüchtlingsströme und geteilte Lasten? In dieser Frage sind die Gräben unverändert tief. Das zeigt deutlich: Geht es um Werte, Solidarität und das grundsätzliche Verständnis von Europa, sind die EU-Länder längst noch nicht zusammengewachsen.