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Seit einem Jahr ist es in Europa Zeit zum Handeln

Jean-Claude Juncker spricht morgen zur Flüchtlingskrise. Den Kern kann er aus einer Rede vom vergangenen Jahr übernehmen.

Stephanie Pack-Homolka

Elizabeth II tut es, Barack Obama tut es und in dieser Woche auch Jean-Claude Juncker. Der Präsident der EU-Kommission hält morgen, Mittwoch, seine erste "Rede zur Lage der Union". Es ist freilich keine Thronrede, wie jede der britischen Königin. Die jährliche Ansprache ist vielmehr an das US-amerikanische Beispiel angelehnt, was den Namen und das Publikum betrifft. Spricht der US-Präsident vor dem Kongress, hält Juncker seine Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Gefolgt von einer Debatte der Abgeordneten, in der die Worte des Kommissionspräsidenten in der Regel auf die Waagschale gelegt werden.

Das Format gibt es seit dem Jahr 2010. Die erste "Rede zur Lage der Union" wurde vom damaligen Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso gehalten. Sie soll die Arbeit der Kommission transparenter machen, dachten sich die dortigen Kommunikationsstrategen, die den neuen Fixpunkt im EU-Kalender seinerzeit ins Leben gerufen haben. Vor allem aber möge mit dem Auftritt die Bedeutung der Institution und jene ihres Präsidenten gestärkt und unterstrichen werden.

Wie beim US-amerikanischen Pendant ist die "Rede zur Lage der Union" einerseits ein Rückblick auf das vergangene politische Arbeitsjahr, andererseits ein Ausblick auf kommende Aufgaben. Sie steckt die wichtigsten Themen ab, die derzeit in Europa pressieren.

Auch wenn die Inhalte vorab nicht offiziell gemacht werden, es ist kein Geheimnis, worüber Jean-Claude Juncker am Mittwoch sprechen wird: die Flüchtlingspolitik. Die erste "Rede zur Lage der Union" des Luxemburgers wird daher mit Spannung erwartet. Das liegt nicht nur an der Brisanz und Aktualität des Themas. Die Kommission hat sich über den Sommer mit Kommentaren und Vorschlägen zur Migrationspolitik zurückgehalten - vorsichtig ausgedrückt. In mehreren EU-Hauptstädten sprach man schlicht von Untätigkeit. Ein Vorwurf, den man sich in Brüssel nicht gefallen lassen will, was nicht ganz unberechtigt ist.

Bereits im Mai hat die Kommission ihren Vorschlag zur neuen Migrationsstrategie präsentiert, inklusive dem Schlüssel für die Verteilung von Flüchtlingen, über den noch immer gestritten wird. Juncker wird diesen Vorschlag weiter forcieren und sogar noch einmal nachlegen - erwartet wird ein weiter reichender Entwurf für eine Quotenregelung.

Auch dass die EU-Länder die im Mai vorgelegte Strategie der Kommission bislang nahezu links liegen ließen, wird Juncker in seiner Rede nicht unerwähnt lassen. Vor fast einem Jahr begann er eine Rede vor dem EU-Parlament auch mit der Flüchtlingskrise. Und dem Satz: "In Europa ist jetzt die Zeit zum Handeln gekommen." Er gilt leider noch immer.