Liebe Leserinnen und Leser. Wir werden ja - nicht oft - aber doch hin und wieder dafür gescholten, dass wir Ihre Augen und vor allem Ihre Zurechnungsfähigkeit mit Belanglosigkeiten belästigen. Auch kleine Fehler schleichen sich hin und wieder ein. Nicht selten vertreten wir Meinungen, die nicht allen ins Konzept passen. Aber so ist das eben - in einem Meinungselement einer Tageszeitung. Was Sie vielleicht nicht wissen: Wir werden Tag für Tag mit Meinungen und PR-Aussendungen zugeschüttet, die häufig nicht die unseren sind. Sie müssen sich das so vorstellen: Vor mehr als 40 Jahren war noch Rudolf Bayr am journalistischen Werk, der via SN und ORF den Köchen und Wirten Tipps in ihre Stammbücher geschrieben hat, wie das Leben aussehen könnte, wenn man sich an gewisse Grundprinzipien der Genusserwirkung halten würde. Seine Gedanken fielen bei vielen auf fruchtbaren Boden. Ohne Bayr wären Johanna Maier und Walter Grüll nicht bekannt geworden. Er vermittelte, dass das Wort Lebensmittel einem Anspruch entsprechen muss. Nämlich dass es dem Leben dient und nicht nur dem Überleben. Der Münchner Sternekoch Mario Gamba geht einen Schritt weiter. Er meint, dass jeder Koch, der schlechtes Essen anbietet, wegen Körperverletzung verklagt werden müsste.
Kommen wir zurück zu Rudolf Bayr, also zu einem der Pioniere dieser Philosophie. Er verstarb leider viel zu früh 1990 im Alter von 69 Jahren. Viele Leser haben nach der Geschichte in der Wochenendausgabe ihre Erinnerungen mit uns geteilt. So habe Bayr etwa regelmäßig nach dem Essen einen Knicks vor dem Koch gemacht, wenn es ihm geschmeckt hat. Von wegen "Der Gast ist König." Letzterer steht in der Küche. Aber diesen Titel verdient er nur, wenn er sich als würdig erweist. Diese Erkenntnis gilt nicht exklusiv für Köche. Egal ob Kindergärtnerin, Lehrerin, Priester, Arbeiter, Angestellte, Mutter oder Vater: Man kann seine Aufgabe tun. Man kann sie aber auch veredeln - zu etwas Höherem, Größerem, Unangreifbaren. Die einen tun, was sie mögen, die anderen mögen was sie tun. Wenn der moralische Kompass richtig kalibriert ist, ist die zweite Variante vorzuziehen. Daraus resultieren Leistungen. "Bayr ist herabgestiegen, um Sophokles ins Französische zu übersetzen", schrieb uns ein Leser. Da macht ihr Teufelskoch ergriffen gerne einen Knicks.

