Johannes versucht, den Text zu lesen. Die ersten Wörter ergeben Sinn, er versteht den Inhalt. Doch dann reihen sich weitere Wörter aneinander, Buchstabe für Buchstabe. Johannes liest sie zwar, schweift jedoch schon nach kurzer Zeit ab. Wieder und wieder versucht er, den Sätzen auf dem Blatt Papier vor ihm Inhalt zu verleihen und ein Bild davon in seinen Kopf zu bekommen, doch es will ihm einfach nicht gelingen. Frustriert gibt der 14-Jährige schließlich auf - und greift wieder zu seinem Smartphone.
Handysucht bekämpfen: Hilfe bei Konzentrationsstörungen und FOMO
Aufmerksam bei der Sache zu bleiben, ist nicht leicht - schon gar nicht, wenn das Handy auf dem Tisch liegt. Was tun gegen die weitverbreitete Sucht?

"Müssen Umgang mit Smartphone noch lernen."
Handysucht: Selbst ausgeschaltet ein Problem
Die mobilen Geräte haben sich längst im Alltag von Menschen fast jeden Alters etabliert. Sie stellen ein großes Problem für die Konzentrationsleistung dar - vor allem für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Das zeigt auch eine Studie des Psychologen Sven Lindberg und der Psychologin Jeanette Skowronek vom Fachbereich Klinische Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn. Dass das Smartphone die Konzentration stört, wenn es auf dem Tisch liegt und immer wieder aufleuchtet und Klingeltöne von sich gibt, zeigten zuvor bereits zahlreiche Studien. Lindberg und Skowronek konnten jedoch nachweisen, dass das Handy selbst dann einen Bremsklotz für die Aufmerksamkeit darstellt, wenn es ausgeschaltet ist. "Wir konnten das anhand der benötigten Bearbeitungszeit feststellen. Wenn das Handy auf dem Tisch lag, war diese signifikant schlechter, als wenn es fern vom Arbeitsplatz lag", erklärt Lindberg.
FOMO: Die ständige Angst, etwas zu verpassen
Es ist kein Zufall, dass das Smartphone eine solche Bedeutung für den Menschen gewonnen hat. "In einem Seminar haben wir einmal hundert unterschiedliche Gegenstände, vom Fotoapparat über eine Waage bis hin zu einer Landkarte, auf den Tisch gelegt und gefragt, was sie alle gemein haben", erzählt Lindberg, "die Antwort lautete: Sie alle sind in unserem Handy mit diversen Apps und Zusatzfunktionen integriert." Die wichtigste und mit Abstand suchterregendste Funktion des Handys stellt Studien zufolge allerdings die Kommunikation mit Mitmenschen dar - entweder per direkte Nachrichten oder über geteilte Bilder, Videos und Eindrücke aus dem eigenen Leben.
"Der Hauptgrund, weshalb wir ständig zum Handy greifen, ist eine Mischung aus Verpflichtung und Vergnügen. Wir haben schnell das Gefühl: Jedes Mal, wenn ich es nicht in der Hand habe, könnte etwas passiert sein, von dem ich erfahren möchte. So beispielsweise bei Eltern, die sich ständig um ihre Kinder sorgen und auf keinen Fall verpassen möchten, wenn diese ihnen schreiben oder anrufen." Auch beruflich könne rasch der Eindruck entstehen, immer erreichbar sein zu müssen. "Gleichzeitig ist es auch ein Bedürfnis, mitzubekommen, was um einen herum passiert - es entsteht FOMO, Fear of Missing Out: die Angst, etwas zu verpassen."
Aufmerksamkeitsstörungen durch den Handygebrauch
Hier kommt ein etwa seit dem 18. Jahrhundert bekanntes gesundheitliches Problem ins Spiel, das heute unter dem Namen Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom bekannt ist, kurz ADHS. Diese Schwierigkeit, seine Aufmerksamkeit durchgehend auf etwas zu richten und dabei Inhalte zu erfassen, scheint, so legen es Studien nahe, deutlich mit dem Gebrauch des Smartphones zusammenzuhängen. "Konzentrationsprobleme kennen wir alle, und wenn diese stark erhöht sind, spricht man von einem Syndrom. Das gibt es eben auch nicht erst seit der Erfindung des Smartphones, doch die Geräte verstärken das Problem zunehmend", erklärt Lindberg, "das iPhone, das erste Gerät mit so weitreichenden Funktionen, kam 2007 raus. Facebook ist erst seit 10, 15 Jahren in Europa verbreitet, andere soziale Medien noch kürzer. Wir müssen als Gesellschaft erst lernen, mit diesen Möglichkeiten richtig umzugehen, sodass nicht andere Lebensbereiche unter dem ständigen Smartphonegebrauch leiden."
Wer sich ohnehin schon schwertut, sich zu konzentrieren, für den wird es mit einem unkontrollierten Smartphonegebrauch noch schwerer. Ebendas möchte Lindberg Eltern von Kindern und Jugendlichen besonders nahebringen, aber auch Kinderlosen. Denn immer häufiger wird auch bei Erwachsenen ein Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom festgestellt. Auch die Diagnose von ADS, also einem reinen Aufmerksamkeitsproblem ohne Hyperaktivität, hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Während ADHS tendenziell eher bei Buben und Männern festgestellt wird, sind Mädchen und Frauen eher von ADS betroffen. "ADS fällt häufig nicht so sehr auf, weil die Betroffenen nicht herumspringen. Man denkt dann eher: Die Melina träumt halt mal wieder." Der Leidensdruck für Menschen mit ADS ist jedoch ähnlich wie bei ADHS - es gelingt ihnen nicht oder nur mit sehr viel Mühe, bei der Sache zu bleiben.
Lernen, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren
"Bei einer solchen Aufmerksamkeitsstörung schaffen es die Betroffenen nicht, ihre Sinne auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren, sondern nehmen viele andere Reize aus der Umgebung zusätzlich wahr, die quasi um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Bei einer gelingenden Konzentration würden diese ausgeblendet werden", erklärt Lindberg. Sich nur auf eine Sache konzentrieren und alles andere ausblenden, das ist es also, was in der Therapie mit ADHS- und ADS-Patientinnen und -Patienten geübt wird - sehr häufig erfolgreich. In eigenen Schulen für Kinder und Jugendliche mit AD(H)S werden gar nur eine weiße Wand, ein Smartboard und möglichst wenige Gegenstände verwendet, um das Ablenkungspotenzial zu reduzieren. Ein ständig klingelndes Smartphone wäre dabei nicht hilfreich.
Doch auch Menschen außerhalb des pathologischen Bereichs einer Aufmerksamkeitsstörung leiden durch die häufige Verwendung des Smartphones zunehmend an Konzentrationsschwierigkeiten. Ihnen hilft ein ähnliches Training wie für AD(H)S-Betroffene: das Handy ausschalten und zu Hause lassen oder in einem anderen Zimmer verräumen. Sich ganz auf etwas fokussieren, so beispielsweise eine Tasse Tee. Oder ganz ohne Ziel hinausgehen, langsam spazieren und bewusst wahrnehmen, was sich rings um einen wie auch im eigenen Körper tut: im Hier und Jetzt.