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HNO-Experte erklärt: Ursachen und Therapien von Tinnitus

Was tun, wenn der nervige hohe Ton irgendwo im Ohr oder im Kopf nicht weggehen will? Wolfgang Gstöttner, Facharzt für HNO-Krankheiten über Ursachen und Behandlungsmethoden eines Tinnitus.

Acht bis zwölf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben einen Tinnitus. Die Ursachen dafür können sehr unterschiedlich sein.
Acht bis zwölf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben einen Tinnitus. Die Ursachen dafür können sehr unterschiedlich sein.

Ein Pfeifen in den Ohren kennt wohl fast jeder nach einer erhöhten Lärmbelastung. Kommt ein solcher Ton - Betroffene beschreiben auch ein Summen, Rauschen, Zischen oder Brummen - einfach so, handelt es sich womöglich um einen Tinnitus. Wolfgang Gstöttner, Facharzt für HNO-Krankheiten an der Medizinischen Universität Wien und Vorstand der HNO an der Universitätsklinik Wien, berichtet über das Phänomen.

Was genau versteht man in der Medizin unter einem Tinnitus? Wolfgang Gstöttner: Der Tinnitus ist definiert als ein Geräusch, das ein Patient wahrnimmt, ohne dass es eine äußere, externe Schallquelle als Ursache gibt. Es gibt dabei ganz unterschiedliche Formen. Häufig beginnt der Tinnitus damit, dass Betroffene ihren eigenen Pulsschlag als Pochen vernehmen. Die Mittelohrschleimhaut ist dann stark durchblutet und das hört man, manchmal auch nur zu bestimmten Gegebenheiten. Klingeln und Zirpen sprechen für einen Innenohrschaden, tieferfrequentes Brummen oder Summen für eine Otosklerose, eine Verknöcherung der Gehörgänge.

Wie kommt es zu diesen Problemen?

Beschwerden in der Halswirbelsäule können der Auslöser für einen Tinnitus sein.
Beschwerden in der Halswirbelsäule können der Auslöser für einen Tinnitus sein.

Es gibt drei ganz wichtige Ursachen: Die meistunterschätzte hängt mit der Halswirbelsäule zusammen. Diese misst ähnlich wie ein Sinnesorgan die Stellung des Kopfes im Raum und auch die der Augen, um mit diesen ein sich bewegendes Objekt zu verfolgen. Muskelverspannungen sind der Auslöser Nummer eins für Probleme in der Halswirbelsäule, möglich ist beispielsweise auch ein Bandscheibenvorfall. Diese Ursache und ihre Behandlung werden immer noch total unterschätzt. Manche bekommen ihren Tinnitus tatsächlich durch Rückenaufbautraining in der Physiotherapie in den Griff. Zweitens kann das Gehör selbst Schaden nehmen. Eigentlich hört man bei einem solchen Schaden im Innenohr weniger, doch paradoxerweise entsteht parallel ein Hörsignal im Ohr selbst. Die dritte typische Ursache ist eine neurodegenerative Erkrankung, hier ist der Tinnitus manchmal eine Begleiterscheinung.

Wie viele Menschen in Österreich leiden unter einem Tinnitus? Das ist schwer zu verallgemeinern. Es gibt einige Patientinnen und Patienten, die kurzzeitig einen Tinnitus haben, der dann aber wieder weggeht. In ärztlicher Behandlung aufgrund eines Tinnitus sind in etwa acht bis zwölf Prozent der Österreicher. Die Dunkelziffer ist aber sicherlich höher.

Sind Frauen und Männer gleich häufig betroffen? Es ist bei den Männern statistisch ein bisschen häufiger und damit wohl auch tatsächlich deutlich häufiger, da Männer ja auch seltener zum Arzt gehen als Frauen. Das hat vielleicht mit Berufen unter Lärmbelastung zu tun, die Männer häufiger ausüben als Frauen, aber auch mit der Einstellung vieler Männer, man brauche nur bei ganz schlimmen Dingen zum Arzt zu gehen.

Was sind Risikofaktoren für einen Tinnitus? Alle Risikofaktoren für die Gesundheit allgemein sind auch Risikofaktoren für einen Hörschaden und damit auch für den Tinnitus. Der schlimmste Faktor ist es, wenn man häufig und über längere Zeit Lärm ausgesetzt ist. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, in Berufen, die mit einer Lärmbelästigung einhergehen, guten Gehörschutz zu tragen. Auch die Psyche des Patienten spielt eine große Rolle. Psychischer Stress kann einen Tinnitus mitverursachen. Unser Gehirn kann Geräusche, die nicht notwendig für uns sind, grundsätzlich wegschalten. Wir haben in der Nähe des Ohres große Blutgefäße - wenn wir die immer pochen hören würden, wäre das die ganze Zeit ein irrsinniger Lärm. Bei psychischer Labilität kann diese Funktionsweise schlechter funktionieren. Da kann es passieren, dass sich jemand nur noch mit dem Tinnitus beschäftigt, ständig Informationen darüber googelt, richtiggehende Angst davor entwickelt, dass es wiederkommen könnte, und damit seine Angst konditioniert. Daher ist es so wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen und mit einer geeigneten Therapie ein sogenanntes Retraining anzugehen, bei dem dieses Wegschalten von unnötigen Geräuschen wieder eingeübt wird. Es ist wichtig, dem Geräusch keine Bedeutung beizumessen, sondern sich anderen akustischen Signalen zu widmen, ob Gesprächen, Musik oder dem Fernseher.

"Wichtig, rasch eine geeignete Behandlung zu finden."
Wolfgang Gstöttner
HNO

Gibt es weitere Behandlungsmöglichkeiten? Grundsätzlich versucht man, mit einer Applikation von Medikamenten, meist Cortison, das Ohr zu erreichen, beispielsweise bei einem Hörsturz. Bei Hörschäden ist ein Hörgerät oder ein Cochlea-Implantat möglich, das bewirkt echte Wunder. Gerade fast taube Patienten vernehmen oft einen ganz lauten Tinnitus, vergleichbar mit einem Phantomschmerz, und leiden furchtbar darunter. Sie haben das Implantat oft nur 20 Minuten eingeschaltet, und dann ist der Tinnitus praktisch weg. Ansonsten geht es darum, welches Problem die Ursache für den Tinnitus ist. Blutdruckschwankungen, ein Bandscheibenvorfall, eine Otosklerose und so weiter müssen entsprechend behandelt werden. Bei psychischen Leiden sind auch Psychopharmaka eine Möglichkeit. Zusätzlich helfen Entspannungstechniken, so beispielsweise autogenes Training oder Meditation. Echte Heilung und Regeneration im Körper ist nur mit einer tiefen Entspannung möglich. Da hilft es auch schon, mindestens 20 Minuten zu versuchen, die Gedanken abzuschalten.