SN.AT / Panorama / Wissen

"Hörgeräte beugen Demenz vor": Warum gutes Hören so wichtig ist

Ein HNO-Arzt erklärt den Unterschied zwischen "gutem" und "schlechtem" Lärm - und warum Hören unser sozialer Sinn ist.

Hörgeräte sind eine medizinische Therapie, die auch helfen kann, Demenzerkrankungen hintanzuhalten.
Hörgeräte sind eine medizinische Therapie, die auch helfen kann, Demenzerkrankungen hintanzuhalten.
Clemens Huber, Primar der Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde im Kardinal Schwarzenberg Klinikum in Schwarzach, referiert beim „Meine Gesundheit“-Abend am 19. März ab 19 Uhr im SN-Saal.
Clemens Huber, Primar der Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde im Kardinal Schwarzenberg Klinikum in Schwarzach, referiert beim „Meine Gesundheit“-Abend am 19. März ab 19 Uhr im SN-Saal.

Clemens Huber ist Vorstand der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) im Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum in Schwarzach - und betont im SN-Interview, dass Hören auch für die Lebensqualität und die geistige Fitness im Alter wichtig ist.

Sie sagen: "Für die menschliche Beziehung ist keine andere Sinneswahrnehmung so wichtig wie das Hören", und berufen sich dabei auf ein Zitat des Philosophen Immanuel Kant. Gilt diese Behauptung auch medizinisch - oder würde das zum Beispiel eine Augenärztin anders beurteilen? Clemens Huber: Ja, Kant hat damals schon erkannt, dass das Hören sozusagen unser sozialer Sinn ist, dass das Hören wichtig ist für die zwischenmenschliche Beziehung. Es ist auch meine Erfahrung, nicht nur als HNO-Spezialist, sondern auch als Arzt überhaupt. Ich habe als junger Zivildiener ein Jahr in einem Seniorenheim gearbeitet. Da ist mir oft aufgefallen, und das war traurig, dass ältere Patienten, die schlecht hören, sehr dazu neigen, sich zurückzuziehen. Es war umgekehrt aber auch so, wenn man diesen Menschen geholfen hat, dass sie wieder besser hören, dann hat das einen enormen Zuwachs an Kommunikation und an Beziehung bewirkt. Daher glaube ich, dass das auch eine Augenärztin so sehen würde (lacht).

Experten schätzen die Zahl der Schwerhörigen in Österreich auf 1,6 Millionen, das sind 17,5 Prozent der Bevölkerung bzw. jede/r Sechste. War dieser Anteil immer schon so hoch? Das klingt sehr plausibel. Auch Untersuchungen aus anderen Ländern wie Deutschland und den USA zeigen hier Größenordnungen zwischen 15 und 20 Prozent. Der Großteil der Schlechthörenden befindet sich aber im höheren Lebensalter; und wir haben, demografisch bedingt, eine Zunahme von älteren und sehr alten Patienten. Daher glaube ich, dass vor 30, 40 oder 50 Jahren der Anteil der Schwerhörigen geringer war als heutzutage. Denn bei den über 90-Jährigen haben wir einen Anteil von 96 Prozent, die eine hörgerätepflichtige Schwerhörigkeit haben.

Was sind denn, außer dem Alter, die häufigsten Ursachen für Schwerhörigkeit? Welche Rolle spielen hier Lärm im Beruf oder zu laute Musik in der Freizeit? Der Hauptrisikofaktor für Schwerhörigkeit ist eindeutig das Alter. Je älter wir werden, desto höher ist das Risiko für Schwerhörigkeit. Natürlich spielen auch Entzündungen und andere Erkrankungen eine Rolle. Die berufsbedingten Schwerhörigkeiten sind eindeutig am Abnehmen. Aber was zunimmt, sind die freizeitbedingten Hörstörungen, die durch Musik oder Ähnliches verursacht werden. Früher war es der Walkman, heute ist es das Handy mit zu lauter Musik in den Ohrstöpseln; aber auch die Musik, die man sonst hört oder ausübt - sei es durch Musizieren in der Blasmusik, in Bands oder auch im Orchester. Denn es ist die zu hohe Lautstärke, die das Problem verursacht.

Aber was ist mit einem Bauarbeiter, der stundenlang mit dem Presslufthammer arbeiten muss? Es ist leider so, dass für manche Menschen das Tragen eines Gehörschutzes sehr uncool ist. Allerdings findet hier bereits ein Umdenken statt. Vor 30 oder 40 Jahren haben hingegen nur sehr wenige Menschen auf einer Baustelle einen Hörschutz getragen. Mittlerweile ist erstens der Hörschutz kleiner geworden und funktioniert auch besser. Und zweitens ist den Leuten auch sehr bewusst geworden, was es heißt, wenn man nicht mehr hören kann. Unterstützung kommt auch vonseiten der Unfallversicherung, die regelmäßige Kontrollen an den Arbeitsstätten durchführt.

Welche Art von Geräusch ist für Menschen am schädlichsten? Ist es eher der Drum-and-Bass-Sound oder auch die Blasmusik oder doch eher die Maschine in der Tischlerei? Es macht schon einen Unterschied. Positiv ist, dass Musik generell vom Ohr sehr gut vertragen wird. Denn sie ist ein kontinuierlicher an- und abschwellender Lärm und das Ohr hat Schutzmechanismen, mit denen es sich vor Lärm schützen kann. Im Vergleich dazu ist es wesentlich schlechter, wenn Lärm plötzlich entsteht - etwa wenn ein Hammer auf den Amboss schlägt oder ein Knallkörper explodiert: Dieser plötzliche Lärm trifft das ungeschützte Ohr und schädigt es besonders. Bei den Musikern sind daher wenn, dann am ehesten Schlagzeuger von Schwerhörigkeit betroffen, weil sie ja auch einen sehr plötzlichen Lärm erzeugen - auch etwa im Vergleich zu einem Gitarristen.

Was kann man tun, wenn bereits ein Hörschaden eingetreten ist? Kann man hier noch medikamentös oder auch mittels OP etwas verbessern? Oder hilft hier meist nur ein Hörgerät? Zunächst muss man abklären, welche Art von Hörstörung vorliegt: Ist es eine Erkrankung, die man behandeln kann? Oder ist es eine Hörstörung, die degenerativer Natur ist, bei der sich das Hörorgan abgenutzt hat? Wir konnten etwa einigen Patienten durch eine sogenannte Ohrtoilette, also die Entfernung des Cerumens (wie das Ohrenschmalz medizinisch heißt, Anm.), sehr gut helfen, um so ihr Hörvermögen wieder zu verbessern. Leider hat der Großteil der Menschen mit Hörproblemen ab dem Alter von 50 Jahren aber eine degenerative Erkrankung, bei der eine Versorgung mit einem Hörgerät am besten hilft. Es gibt aber auch in diesem Bereich andere Möglichkeiten, wie man durch Operationen, wie zum Beispiel das Einsetzen eines Cochlea-Implantats, das Hören verbessern kann. Es bedarf eines HNO-Arztes, der mit dem Patienten gemeinsam abklärt, welche Erkrankung vorliegt und wie man da am besten helfen kann. Und generell muss man wohl davon ausgehen, dass rund 60 bis 70 Prozent eines Jahrganges irgendwann im Lebensverlauf ein Hörgerät brauchen.

Worauf kommt es beim Hörgerät an? Welches Gerät passt zu welcher Person? Bei den Hörgeräten gibt es verschiedene technische Möglichkeiten der Versorgung. Abgesehen von der Versorgung im Ohr oder hinter dem Ohr gibt es auch andere Varianten von Hörgeräten - etwa sogenannte Knochenleitungshörgeräte. Die Hörgeräteversorgung selbst ist eine Domäne der Hörgeräteakustiker und die wird auch sehr professionell durchgeführt. Die Art des geeigneten Hörgerätes wird in der Regel vom Arzt, dem Patienten und dem Hörgeräteakustiker gemeinsam entschieden. Der Preis des Gerätes ist nicht unbedingt das Kriterium für eine gute Versorgung; viel wesentlicher ist ein guter Hörgeräteakustiker: Mit dessen Kompetenz steht und fällt die Hörgeräteversorgung. Denn: Das beste Gerät stellt nicht zufrieden, wenn es nicht gut eingestellt ist. Gerade bei schwierigen Situationen muss der Patient mehrmals zum Akustiker kommen und mehrmals diese Prozeduren durchlaufen, damit das Hörgerät am Ende optimal eingestellt ist.

Wie oft sollte man eigentlich zum HNO-Arzt gehen? Es ist mir sehr wichtig, Menschen zu motivieren, dass sie ihr Gehör testen lassen und dann auch die notwendigen Schritte setzen. Denn ein Problem ist, dass Patienten, die von einem Hörgerät sehr profitieren würden, es ablehnen und sagen: Ich brauche keines. Und zum Thema Arztbesuch: Im Prinzip würde ich dann zum HNO gehen, wenn mich jemand darauf aufmerksam macht, dass ich möglicherweise ein Hörproblem habe. Ansonsten würde ich empfehlen, so im Alter von 65 oder 70 zum HNO-Arzt zu gehen und einfach prophylaktisch das Gehör überprüfen zu lassen.

Gibt es für die weiteren HNO-Arzt-Besuche dann ein empfohlenes Intervall? Nein, das gibt es nicht. Was ich empfehlen würde, wäre: Ein Patient, der mit 65 ein normales Gehör hat, für den reicht eine neuerliche Kontrolle in drei bis vier Jahren. Wenn ein Patient mit 65 aber eine beginnende Schwerhörigkeit hat, kontrolliert man die Ohren jährlich. Wenn bereits eine Indikation besteht, dass man eigentlich ein Hörgerät tragen sollte, dann muss man ohnehin intervenieren. Wer bereits ein Gerät hat, weiß, dass er ohnehin ein Mal im Jahr zur Kontrolle gehen sollte.

Hören ist ja auch wichtig, um das Hirn im Alltag geistig fit zu halten, und hilft, demenziellen Erkrankungen vorzubeugen, heißt es in vielen Studien. Können Sie das aus Ihrer alltäglichen Erfahrung mit Patienten im Spital bestätigen? Ja, Patienten, die wieder besser hören, bringen sich in den Alltag wieder besser ein. Auch die Stimmung und die Beweglichkeit der Patienten werden deutlich besser. Was wir sehen, ist, dass Patienten, die wirklich schlecht hören, dadurch auch in ihrer Lebensqualität sehr beeinträchtigt sind: Sie sind ängstlicher und neigen auch mehr zu Depressionen. Wenn der Patient die Möglichkeit eines Hörgerätes nutzt, kommt es meist auch zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität. Zum Thema Demenzerkrankungen: Mittlerweile ist wissenschaftlich bestätigt, dass Hörstörungen Demenzen mitverursachen. Ob das bei der Alzheimer-Erkrankung, die eine spezielle Form der Demenz ist, auch so ist, weiß man noch nicht; das wird noch beforscht. Bestätigt ist mittlerweile auch, dass eine Intervention mit Hörgeräten eine Demenzprophylaxe bewirkt; also dass ein Hörgerät eine aktive Vorsorge gegen Demenz ist. Und bei bereits Betroffenen kann durch ein Hörgerät oft das Fortschreiten der Demenz verzögert werden.

Vortrag im SN-Saal: Wieder besser hören

Im Zuge der Reihe "Meine Gesundheit" referierte Primar Dr. Clemens Huber am Mittwoch, 19. März, ab 19 Uhr im SN-Saal zum Thema: "Wie wir wieder besser hören - oder vermeiden, schlecht zu hören".

Das Video zum Nachsehen finden Sie hier.