SN.AT / Leben / Gesundheit

"Nur heute trinke ich nichts": Bettys Weg aus der Alkoholsucht

Der Griff zur Flasche ist in unserer Gesellschaft allzu einfach. Für Betty führte er in eine Alkoholabhängigkeit. Wie sie dort hineingeriet - und sich wieder herausgekämpft hat.

Der Griff zur Flasche war für Betty ein einfacher Ausweg aus dem hektischen Alltag.
Der Griff zur Flasche war für Betty ein einfacher Ausweg aus dem hektischen Alltag.

Betty hat einen langen und anstrengenden Arbeitstag hinter sich. Sie ist für die Betreuung mehrerer Lehrlinge zuständig, eine Tätigkeit, die sie mag, die sie aber auch fordert. Ihren Sohn hat sie bereits ins Bett gebracht, der Ehemann ist zu seiner Nachtschicht aufgebrochen. Jetzt ist es endlich so weit: Betty hat ihre Zeit ganz für sich. Sie holt die Amaretto-Flasche aus dem Küchenregal, öffnet sie und schenkt sich ein. Ein starkes Glücksgefühl macht sich in ihr breit, das hat sie sich jetzt wirklich verdient. Seit sie mit 20 schwanger wurde und kurz darauf geheiratet hat, im Berufs- wie auch im Familienleben seither immer hundert Prozent gibt, scheint ihr nichts mehr ganz allein zu gehören. Aber diese Zeit mit der Amaretto-Flasche, die schon. Ihre "nächtlichen Eskapaden" wird Betty diese Momente später nennen.

Erkennen und Bekämpfen von Alkoholsucht

Sieht man Betty heute, ahnt man nichts von ihrer Geschichte. Schlank, jung, sportlich gekleidet, wirkt sie wie jemand, der sämtliche Alltagswege mit dem Fahrrad bestreitet und zusätzlich noch laufen geht, sich gesund ernährt. Dass die heute etwa 50 Kilogramm schwere Frau vor wenigen Jahren noch das Doppelte auf die Waage gebracht hat, scheint unvorstellbar. Der Herzinfarkt, den sie im ersten Covid-19-Lockdown 2020 erlitt, sollte den ersten Schritt auf der Wende hin zu einem gesunden Lebensstil für sie bedeuten. Wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass Betty alkoholabhängig wurde, lässt sich nicht leicht rekonstruieren. "Mir wurde immer gesagt, dass mein Vater Alkoholiker war und dass ich deswegen aufpassen muss", erzählt sie. Diesen Zusammenhang bestätigt auch Gabriele Fischer, Psychiaterin und Suchtexpertin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wien. "Wenn Vater oder Mutter alkoholkrank sind, ist das Risiko für deren Kinder doppelt so hoch wie normal. Suchterkrankungen sind häufig auch genetisch bedingt. Wenn die Kinder von Betroffenen also regelmäßig viel trinken, sollten bereits die Alarmglocken läuten, das wird häufig unterschätzt."

"Die Anonymen Alkoholiger werten nicht, sie hören nur zur."
Betty
Betroffene

Alkohol ist omnipräsent. Er wird auf Werbeflächen angepriesen, in jedem Supermarkt in mannigfaltiger Ausführung vertrieben und fehlt bei kaum einem Treffen unter Freunden. Das macht es auch so leicht, ihn in den Alltag zu integrieren. Und so schwer, ihn wieder loszuwerden. "Es ist sehr üblich und gesellschaftlich absolut anerkannt, Alkohol zu trinken. Der Bieranstich beim ,Jedermann', das Oktoberfest in Bayern: Alkohol ist Teil der Brauchtumspflege", sagt Fischer. Gelegentlicher Alkoholkonsum bei gesellschaftlichen Anlässen ist noch keine Alkoholkonsumstörung. 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher weisen jedoch ein problematisches Trinkverhalten auf, schätzen Expertinnen und Experten. "Häufig sind sie sich dessen nicht einmal bewusst, weil Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft so stark bagatellisiert wird. Wenn jemand über die Stränge schlägt und dann seinen Rausch ausschläft, sich übergeben muss wegen übermäßigen Trinkens - das ist alles scheinbar normal."

Alkoholsucht muss unbedingt erstgenommen werden

Doch wie damit umgehen, wenn der Verdacht besteht, dass jemand im Umfeld zu viel trinkt, die Kontrolle über sein Konsumverhalten verliert? Die Psychiaterin appelliert an alle, aufmerksam gegenüber Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen zu sein. "Es ist nicht einfach, doch im Zweifelsfall sollte man die Person darauf aufmerksam machen: Ich glaube, du trinkst zu viel. Man sollte dieses Problem unbedingt ernst nehmen." Handelt es sich tatsächlich um eine Alkoholsucht, sei es für die Betroffenen jedoch ohne professionelle Hilfe nicht möglich, mit dem Trinken aufzuhören. "Das ist so, wie wenn man bei einem Krebskranken erwartet, durch Zureden bilden sich keine Metastasen. Eine Sucht ist eine Krankheit, die psychiatrisch behandelt werden muss." Politisch gäbe es Möglichkeiten, das Problem anzugehen, führt Fischer an, beispielsweise mit einer höheren Besteuerung und einem Werbungsverbot für Alkohol. Gesellschaftlich wiederum sei es enorm wichtig, zu akzeptieren, wenn jemand nichts trinken möchte, "ohne Nachfragen, wieso".

"Das Problem wird in unserer Gesellschaft häufig bagatellisiert."
Gabriele Fischer
Psychiaterin

Betty überwindet Alkoholsucht erfolgreich

Für Betty war der Alkohol ein jahrelanger Begleiter. "Es war eine On-off-Beziehung. Es gab Phasen, in denen habe ich nichts getrunken. Aber ich wusste, er ist da für mich, wenn ich ihn brauche", erzählt sie. Abends unterwegs mit Freundinnen blieb sie häufig enthaltsam, erzählte davon, wie schlecht der Alkohol für die Haut, die Figur sei. Nur um, kaum zu Hause angekommen, in aller Privatheit die nächste Flasche zu köpfen. Das dumpfe Gefühl, dass es sich dabei nicht um ein gesundes Trinkverhalten handeln konnte, verdrängte sie. Heute hat es Betty geschafft. Sie ist trocken. Als Mitglied der Anonymen Alkoholiker, kurz AA, in Salzburg bekennt sie sich dazu, Alkoholikerin zu sein, und möchte sowohl selbst nüchtern bleiben als auch anderen Menschen dabei helfen, das ebenfalls zu erreichen. Es war nicht ein Zusammenbruch, der sie schließlich den Weg hinaus schaffen ließ, sondern mehrere.

Der Herzinfarkt, ein schwerer Sturz, ein aus dem Ruder gelaufener Streit mit dem Ehemann. Im Interview spricht sie offen über ihre Erlebnisse. Sie wirkt fröhlich, scheint viel über ihr Leben nachgedacht zu haben und mit sich selbst im Reinen zu sein. "Endlich, nachdem ich so lange unzufrieden war mit mir", sagt sie. Neben der ärztlichen und psychotherapeutischen Begleitung hilft Betty der regelmäßige Besuch der AA. "Jeder wird so genommen, wie er ist, und darf erzählen, ohne dass jemand wertet." Von dort habe sie auch gelernt, nicht zu weit in die Zukunft zu denken. "Wenn man sagt: ,Ich darf nie wieder trinken', macht das Angst. Aber es geht immer um das Heute. Heute trinke ich nichts."


Kontakt:
Anonyme Alkoholiker Salzburg
Tel.: +43 699 11131680
www.anonyme-alkoholiker.at/salzburg