Mit 27 wurde Julia Hoffmann Teil der Biogena-Geschäftsführung. Heute ist sie unter anderem Vorstandsmitglied in der 2020 gegründeten AG. Im SN-Interview erklärt die 35-Jährige unter anderem, warum Sparringspartner im Berufsleben so wichtig sind und warum sie kein Fan der Work-Life-Balance ist.
Ist es Ihnen je passiert, dass Ihre Autorität als weibliche Führungskraft infrage gestellt wurde? Julia Hoffmann: Ja. Zum Beispiel, als ich Bonusmama wurde. Passiert ist das nicht direkt in der Firma, aber in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern. Manche haben damals gemeint, eine Position, die 60 bis 100 Stunden Arbeit pro Woche erfordert, wie soll das eine Stiefmama schaffen? Diese Einstellung hat mich erschreckt. Ich arbeite dadurch, dass ich für Kinder verantwortlich bin, ja nicht weniger oder mache meinen Job schlechter, sondern priorisiere mein Zeitmanagement umso mehr. Ich frage mich, was Menschen durch den Kopf geht, die familiäre Verantwortung als Hindernis für beruflichen Erfolg sehen.
Nur 12,2 Prozent der Geschäftsführungspositionen in den heimischen Top-200-Unternehmen waren Anfang 2023 von Frauen besetzt. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen dafür? Das ist sicherlich historisch gewachsen durch die unterschiedlichen Rollen, die man Männern und Frauen zugeschrieben hat. Es ist immer noch oft so, dass man Frauen Führungskompetenz nicht zutraut, wobei sich ein ganz anderes Bild zeigt, wenn man auf die Studienlage schaut: Schlüsselfähigkeiten wie Kommunikation, Klarheit und Innovationskraft, die es für die Führung braucht, sind bei Frauen oft sogar eine Spur besser ausgeprägt. Es ist außerdem belegt, dass mit einem weiblichen Führungsstil und generell hoher Diversität ein höherer wirtschaftlicher Erfolg einhergeht.
Bei Biogena liegen die Führungsagenden großteils - nämlich zu 80 Prozent - in weiblichen Händen. Was macht das Unternehmen anders? Wir haben einen visionären Eigentümer, Albert Schmidbauer. Für ihn ist es selbstverständlich, dass allen, egal welches Alter, welche Herkunft, welches Geschlecht, die gleichen Chancen offenstehen. Bei uns zählen Leistung, Zielorientierung und das Prinzip, dass Führungskräfte ihren Leuten 10 Prozent mehr zutrauen, als sie sich selbst. Das hilft, Potenziale zu entfalten und persönliche Kompetenzen zu schleifen. Außerdem gibt es eine klare Feedbackkultur und Teamwork. Dieser sichere Rahmen ist der Schlüssel für einen modernen Führungsstil und eine starke Umsetzungsorientierung.
Was ist für Ihren eigenen Führungsstil charakteristisch? Ich möchte vorangehen, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch mein Handeln ermutigen, inspirieren. Das heißt, dass ich jede Aufgabe schon einmal selbst umgesetzt habe. Wichtig ist auch der Chancenblick: Ich bin positiv, lösungsorientiert, übernehme sehr gerne Verantwortung. Und auch wenn ein Tag voller Meetings ist, darf man nie die mündliche Kommunikation unterschätzen. Bereits zwei, drei Minuten zwischendurch reichen zum Nachhaken, für einen Informationsaustausch und zum verbindlichen, aktiven Zuhören.
Biogena gilt als besonders familienfreundlich. Auch in anderen Bereichen wird das Unternehmen regelmäßig als Arbeitgeber ausgezeichnet. Was ist das Erfolgsrezept? Wir sind sehr modern eingestellt, wenn es darum geht, wann und wo unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten - wir haben einmal durchgezählt: Da hatten wir mehr als 100 Arbeitszeitmodelle. Viele haben Verantwortung für Kinder oder ältere Menschen. Flexibilität ist da das Wichtigste, auch aus meiner eigenen Erfahrung heraus. Eltern von Kindern im Volksschulalter zahlen wir im August einen Betreuungsbonus von 800 Euro aus, weil wir wissen, dass da in der Regel keine Ferienbetreuung zur Verfügung steht. Außerdem sind Kinder bei uns am Arbeitsplatz willkommen. Da ist es ganz normal, wenn der Kindergarten oder die Betreuung ausfällt, dass das Kind stundenweise mit dabei ist. So signalisieren wir den Kindern auch, dass Arbeit etwas Normales ist, keine Belastung. Das stört nicht, sondern fördert die Leistung und Performance, weil Druck herausgenommen wird.
Als Health-Company, die Gesundheit auf allen Ebenen forciert: Wie leben Sie das im eigenen Unternehmen? Betriebliche Gesundheitsförderung beginnt bei uns mit einem gesunden Mittagessen, oft vegan oder vegetarisch. Was übrig bleibt, können die Mitarbeitenden mitnehmen. Das ist auch ein Zeichen für mehr Familienvereinbarkeit. Alle Angebote, die wir für unsere Kunden haben, stehen auch unseren Mitarbeitern offen, immer kommuniziert mit einem Reason Why, ob das jetzt die Diagnostik ist, Befundbesprechungen oder Präparate. Außerdem hat jeder Zugang zur Biogena-Academy: Je mehr man weiß, desto mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit kann man übernehmen.
Sie sind kein Fan von Work-Life-Balance, setzen vielmehr auf Work-Life-Integration. Wie funktioniert das konkret - immerhin jonglieren Sie auch eine Patchworkfamilie? Work-Life-Balance klingt fast, als würde man zwei unterschiedliche Leben führen. Mir persönlich nimmt es den Druck, wenn die Grenzen nicht ganz so hart verlaufen. Arbeit gehört für mich eindeutig zum Leben dazu; ich arbeite sehr gerne. Wenn der Alltag es erfordert, sitze ich auch einmal am Abend an Projekten. An anderen bin ich um 19 Uhr zu Hause und koche für meine Familie. Ich entscheide selbst, wann ich welchen Fokus setze.
Was empfehlen Sie Frauen, die eine Führungsposition anstreben? Man muss bereit sein, Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen. Wenn ich meine Entwicklungsziele nicht artikuliert und dafür hart gearbeitet hätte, wäre ich wahrscheinlich heute nicht da, wo ich bin. Ich bin immer sehr diszipliniert meinen eigenen Weg gegangen, habe meine Entwicklung eingefordert und meine Ziele aktiv kommuniziert. Außerdem empfehlen sich ein Sparringspartner, Disziplin, Fokus, gleichzeitig aber auch genug Flexibilität. Was mir zugutekommt, ist meine Begeisterungsfähigkeit für Dinge, die ich als Quereinsteigerin kennenlerne. Ich habe etwa die Führung der wissenschaftlichen Agenden bei Biogena ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund übernommen. Da haben meine Begeisterungsfähigkeit, mein Engagement und mein Leistungsanspruch sicherlich nicht geschadet.
Welche Rolle spielen Mentorinnen oder Vorbilder in Ihrer eigenen Karriere? Mit unserem CEO Albert Schmidbauer hatte ich immer einen starken Mentor und Sparringspartner an meiner Seite. Vorbilder, egal ob männlich oder weiblich, sind nach wie vor wahnsinnig wichtig für mich. Ich schaue mir zum Beispiel gerne Literatur von Frauen an, die viel aus ihrem Leben gemacht, dabei aber nicht auf das Leben vergessen haben, wie Gwyneth Paltrow oder Oprah Winfrey.