Sollten Schülerinnen und Schüler in Sachen Unterricht mitbestimmen? Wenn ja - ab wann und in welchem Ausmaß? Die meisten Lehrkräfte erachten Partizipation vonseiten der Lernenden als sinnvoll. Und das bereits ab der Volksschule.
So heißt es zumindest im jüngst veröffentlichten Leitfaden des Österreichischen Bundesverlags (öbv) mit dem Titel "Partizipation in der Schule - Demokratie lernt man durchs Erleben". Befragt wurden dafür österreichweit 233 Lehrkräfte aller Schulformen.
Dabei finden es 87 Prozent des Lehrpersonals grundlegend wichtig, dass Schülerinnen und Schüler in der Schule mitbestimmen können. Etwa ein Drittel ist der Meinung, dass diese Mitbestimmung bereits ab der Volksschule Usus sein sollte: "Jugendpartizipation sollte von der Volksschule an ein fixer Bestandteil sein! Wie sonst lernt man Demokratie?", meint etwa eine der befragten Personen. Für 29 Prozent ist Partizipation ab der Sekundarstufe I essenziell, für 35 Prozent ab der Sekundarstufe II.
Zu den positiven Effekten, die auftreten (würden), wenn Schülerinnen und Schüler mitbestimmen, gehören eine erhöhte Identifikation mit der Schule (78 Prozent), mehr Verständnis für demokratische Prozesse und ein vertrauensvolles Miteinander (68 Prozent). Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und positive Erlebnisse mit der Demokratie werden von je 55 Prozent genannt. Ein Fünftel der Lehrkräfte meint, dass durch die Mitbestimmung der Lernenden bessere schulische Entscheidungen getroffen werden.
Kein Platz für Mitbestimmung in der Schule?
"Schule in der derzeit gelebten Form ist kein Ort der Demokratie. Die Macht geht nicht von den Schülerinnen und Schülern aus, sondern von einer höheren Hierarchieebene", sagt eine weitere Lehrkraft. "In einem solchen, zutiefst undemokratischen, System müssen Jugendliche Demokratiebildung geradezu als Hohn empfinden." Die Lösung? "Die beste Art, junge Menschen für Demokratie zu begeistern, wäre, sie tatsächlich mitbestimmen zu lassen."
Dennoch sehen nicht alle Lehrkräfte die Partizipation des Nachwuchses positiv: "Kinder sind nicht in der Position, zu viel mitbestimmen zu dürfen. Die Erwachsenen, die eine Mitbestimmung fördern, sollten sich bezüglich Entwicklungspsychologie bilden", heißt es hier beispielsweise.
Viele der Interviewten nennen auch Hindernisse, wenn es um die Mitbestimmung im Unterricht geht: Für eine umfassende Partizipation der Lernenden fehle die Zeit (63 Prozent), rund die Hälfte meint, Jugendliche würden unrealistische Vorschläge machen, und 36 Prozent der Lehrkräfte sind außerdem davon überzeugt, dass es bei Schülerinnen und Schülern an Reflexionsfähigkeit mangle. "Auch das Wissen über eine effiziente und alltagstaugliche Umsetzung partizipativer Unterrichtsformate ist oft nicht ausreichend vorhanden", heißt es in der Umfrage. Und: Zwei Drittel des Lehrpersonals meinen zudem, dass es bereits genügend Möglichkeiten zur Partizipation an ihrer Schule gibt.
Fest steht allerdings ebenso: 95 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich mitverantwortlich, wenn es um die Demokratiebildung ihrer Schülerinnen und Schüler geht. Dennoch sind sich die Lehrenden einig, dass dies nicht allein Aufgabe der Schule sein kann.
Partizipation in der Schule: Drei Methoden
Mitbestimmung im Schulalltag ist machbar, wie ein Part der befragten Lehrkräfte bestätigt: "Ich entscheide mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam, welche Themen im Unterricht behandelt werden." Oder: "Im Turnunterricht werden Regeln für Spiele gemeinsam erarbeitet, ausprobiert und dann wird abgestimmt, welche Regeln übernommen und welche verworfen werden, weil sie sich nicht bewährt haben." Um nur zwei Beispiele im Kleinen zu nennen.
Des Weiteren werden drei konkrete Methoden aufgeführt, die die Partizipation der Lernenden möglich machen:
Klassenrat: Schülerinnen und Schüler diskutieren wöchentlich in einem demokratischen Forum über selbst gewählte Themen rund um ihr Zusammenleben in der Klasse. Geeignet ist diese Methode ab acht Jahren. Dauer: 30 Minuten, im Sesselkreis. "Lehrkräfte haben im Klassenrat eine ungewohnte Rolle: Sie leiten den Klassenrat nicht, sondern unterstützen die Klasse nur bei der Gestaltung", erklärt Freizeit- und Theaterpädagoge Gregor Ruttner-Vicht.
Veto-Prinzip: Eine Abwandlung des Veto-Prinzips umfasst, dass sich Lernende im Unterricht eine Auszeit oder Raum für eigenständiges Arbeiten nehmen dürfen. Von der Lehrperson wird hier Klarheit, Verantwortung oder ein anderes Tempo eingefordert. Dabei soll es um Unterricht auf Augenhöhe gehen, um Einüben von Selbstverantwortung und einem Lernen nach eigenen Bedürfnissen.
Möglich ist das abgewandelte Veto-Prinzip ab der Volksschule - es kann per Veto-Kärtchen in den normalen Unterricht integriert werden. Maria Lodjn, seit 30 Jahren als Lehrerin an einer Mittelschule tätig, dazu: "Dass alle Kinder auf einmal die Erklärung verstehen, ist sehr unwahrscheinlich. Es braucht die Möglichkeit, zu signalisieren: ‚Das ist mir noch nicht klar', ohne sich dabei zu exponieren."
Soziokratische Klassensprecherwahl: Bei diesem Modell wird die Klassensprecherin, der Klassensprecher nicht durch simple Mehrheitsbestimmung, sondern "durch eine transparente und wertschätzende Wahl" bestimmt. Geeignet ab etwa 14 Jahren. Dauer: circa vier Mal je zwei Unterrichtseinheiten, individuelle Zeitanpassung möglich.
Bei der soziokratischen Klassensprecherwahl wird gemeinsam eine Rollenbeschreibung für das Klassensprecherteam erarbeitet. Zu klären gilt: Welche Aufgaben gibt es? Welche Fähigkeiten braucht es dafür? Es folgen zwei Nominierungsrunden, in denen jeweils Namen und Argumente, die für eine Person sprechen, für alle sichtbar notiert werden. Als Nächstes kommt ein Wahlvorschlag, basierend auf den genannten Argumenten und der Rollenbeschreibung. Im Anschluss wird die Klasse befragt, ob es Gegenstimmen gibt - falls Einwände auftauchen, werden diese miteinbezogen und gemeinsam eine bessere Lösung entwickelt.
Soziale und kommunikative Kompetenzen sollen so gestärkt werden, ebenso wie die Übernahme von Verantwortung und die praktische Demokratiebildung.