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Studie zeigt hohen Stress der Lehrkräfte in Österreich

Insgesamt sind Lehrpersonen in Österreich zufrieden mit ihrem Beruf. Dennoch beklagt die Hälfte zunehmenden Stress, unter anderem durch ständige Erreichbarkeit. Auch fehlendes Unterstützungspersonal beschäftigt Schulen. Die SN haben in Salzburg nachgefragt.

Die aktuelle OECD-Studie 'Talis 2024' beleuchtet die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Österreich und zeigt interessante Diskrepanzen.
Die aktuelle OECD-Studie 'Talis 2024' beleuchtet die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Österreich und zeigt interessante Diskrepanzen.

Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse der OECD-Studie "Talis 2024" - diese untersucht die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften - erfreulich für Österreich. Demnach sind 93 Prozent der heimischen Lehrkräfte mit ihrem Beruf zufrieden, was knapp über dem OECD-Schnitt von 89 Prozent liegt. 82 Prozent finden ihre Arbeitsbedingungen gut - hier liegt der Schnitt bei 68 Prozent - und 72 Prozent zeigen sich mit ihrem Gehalt zufrieden, was deutlich über dem OECD-Schnitt von 39 Prozent liegt.

Lehrer kämpfen mit steigenden Belastungen

"Ich bin ein bisschen enttäuscht von den Ergebnissen."
Matteo Carmignola
PH Salzburg

Allerdings werden Rückgänge der Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 deutlich. Der Vizerektor für Lehre an der Pädagogischen Hochschule (PH) Salzburg, Matteo Carmignola, hätte sich mehr erwartet: "Ich bin ein bisschen enttäuscht von den Ergebnissen. Aber ja, wenn man in die Schulen hineinhört, wird deutlich, dass das Belastungserleben groß ist", sagt er im SN-Gespräch. Die Studie bestätige, wie herausfordernd die beiden vergangenen Jahre für das Schulsystem gewesen seien. Eine zentrale Rolle habe die Coronapandemie gespielt, meint der Pädagoge. In Folge hätten gesundheitliche und mentale Probleme unter Schülern sowie Verhaltensauffälligkeiten und Gewalt an Schulen deutlich zugenommen. Diese Beobachtung spiegelt sich in den Ergebnissen wider: Lag das Stressempfinden von Lehrkräften im Zuge der Erhebung von 2018 mit 42 Prozent noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt, gab 2024 mehr als die Hälfte der Lehrer (54 Prozent) an, dass sie sich durch ihre Arbeit ziemlich oder sehr gestresst fühlte. In der Studie gingen administrative Tätigkeiten und das Verhalten der Schülerinnen und Schüler - insbesondere die Aufrechterhaltung der Klassendisziplin - als größte Belastungsfaktoren hervor. Letztere empfindet knapp die Hälfte der Lehrkräfte in Österreich als ziemlich oder sehr belastend - 2018 lag der Anteil noch bei 36 Prozent.

Bildungsministerium arbeitet an Reduzierung des Bürokratieaufwands

In Hinsicht auf die administrative Belastung sagt Carmignola: "Tätigkeiten wie Diagnoseförderung und Leistungsmonitoring werden von vielen Lehrpersonen als Verwaltungsaufgaben aufgefasst, obwohl diese zum pädagogischen Teil zählen." Dennoch gebe es viele Verwaltungsabläufe, die vereinfacht werden könnten. Das Bildungsministerium arbeite im Rahmen der Initiative "Freiraum Schule" am Bürokratieabbau.

Lehrerinnen beklagen Kommunikationsdruck wachsen

Die SN haben zwei Lehrerinnen nach ihren größten Stressfaktoren gefragt. Beide sind sich einig, dass sich das Schulsystem insgesamt auf einem guten Weg befinde.

"Auf Nachrichtenum 22 Uhr wird eine Antwort erwartet."
Julia Maria Hronek
Volksschullehrerin

Einige Dinge belasteten aber zunehmend: "Viele Eltern gehen davon aus, dass man immer erreichbar ist. Es kommen Nachrichten um 22 Uhr herein und dann wird eine Antwort erwartet", erzählt Julia Maria Hronek, Volksschullehrerin im Flachgau seit 2020. Während Corona sei das Mitteilen der Hausaufgaben gang und gäbe gewesen, aber viele wollten an diesem Vorgehen festhalten. Ebenso solle die Schule immer mehr Aufgaben abdecken. Dies übersteige oft den pädagogischen Auftrag der Lehrkräfte, gibt Hronek zu bedenken.

"Teamteaching ist schwierig umzusetzen."
Corinna Groder
Mittelschullehrerin

Auch Corinna Groder, die seit 2021 an einer Mittelschule in Salzburg-Maxglan unterrichtet, spricht ähnliche Probleme an: "Gerade als Klassenvorständin bekomme ich auch am Sonntagabend Nachrichten, die wichtige Dinge am Montag betreffen, obwohl diese kommuniziert wurden." Die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, sei seit der Pandemie in allen Branchen gegenwärtig, wirft Carmignola ein. Ebenso spricht die MS-Lehrerin die geballte Ladung an Aufgaben an. "Teamteaching ist schwierig umzusetzen, jede Lehrperson hat einen anderen Stundenplan, zusätzlich fallen Aufgaben wie Elterntelefonate oder Konfliktlösungen an."

Schulen haben hohen Bedarf an psychosozialer Unterstützung

Weiters melden 61 Prozent der Schulleitungen einen hohen ungedeckten Bedarf an psychosozialer Unterstützung, weitere 60 Prozent der Lehrpersonen unterrichten an Schulen mit mehr als zehn Prozent Migrationsanteil. Groder ist aktuell Klassenvorständin einer Integrationsklasse. An der Schule gebe es eine Integrationslehrerin, die in den Klassen unterstütze. "Da sind wir recht gut abgedeckt. Wir haben ein tolles psychosoziales Team, das von Montag bis Donnerstag anwesend ist", erzählt die Lehrerin. Dennoch stoße man in gewissen Situationen an seine Grenzen. Viel Unterstützung gebe es auch an Hroneks Volksschule, etwa in Form einer Beratungslehrerin und der Schulsozialarbeiter. "Kinder, die mehr Unterstützung brauchen, arbeiten einige Stunden mit einer Assistenzkraft, dann kommt die Klasse wieder zusammen", schildert sie. Carmignola verweist darauf, dass von der Salzburger Landesregierung und der zuständigen Landesrätin Daniela Gutschi bereits viele Maßnahmen gesetzt worden seien. Beide Lehrerinnen haben auch Erfahrung mit Schülern, die kaum Deutsch sprechen. Groder hatte schon mehrere Fälle, die durchaus herausfordernd gewesen seien. Generell ist die Mittelschullehrerin der Meinung, dass es zu wenig Deutschförderstunden gibt; gleichzeitig verpassten die betroffenen Schüler den Stoff in anderen Fächern. "Wir haben Kinder bekommen, die aus der Ukraine geflohen sind, aus Syrien und Afghanistan, die so viel Erlebtes mitnehmen, das sie verbal nicht ausdrücken können", schildert Hronek ihre Erfahrungen aus der Volksschule. Die Deutschförderung am Standort schätzt sie als äußerst gut ein, die Kinder freuten sich auch immer darauf. Die Schule könne zwar einen Teil zum Erlernen der Sprache beitragen, aber auch die Erziehungsberechtigten müssten in die Pflicht genommen werden, betont sie. Auch das Bildungsministerium hat bereits auf diese Ergebnisse reagiert: "Wir haben mit dem großen Deutschförderpaket auf mehr als 1300 Stellen verdoppelt, gleichzeitig werden wir die Zahl der Schulpsychologinnen und -psychologen mehr als verdoppeln", betonte Bildungsminister Wiederkehr.

Lehrerausbildung folgt Bologna-Modell

In der Lehrerausbildung ändert sich generell einiges: Mit der Anpassung an das Bologna-Modell wird das Bachelorstudium künftig drei, der anschließende Master zwei Jahre dauern. Für angehende Lehrer der Sekundarstufe wird das Studium so um ein Jahr verkürzt. Für die Primarstufe gilt das neue Curriculum bereits seit diesem Wintersemester. Darin gebe es etwa einen Schwerpunkt, der die Sprachbildung in den Fokus rücke, erklärt Carmignola. Auch in der Sekundarstufe könne "Deutsch als Zweitsprache" als Spezialisierung gewählt werden. Diversität in der Schule und inklusive Bildung seien schon immer Themen in der Lehrerausbildung gewesen, wozu auch der Umgang mit sprachlicher Diversität zähle, betont Michaela Rückl, Vizerektorin für Lehre und Studierende der Universität Salzburg.

Im künftigen Curriculum - startend mit Herbst 2026 - gebe es im Bachelor- und Masterstudium Lehrveranstaltungen, die sich explizit mit sprachlicher Bildung und Deutsch als Zweitsprache beschäftigten.

Talis
Die OECD-Studie Talis (Teaching and Learning International Survey) befragt international Lehrer:innen und Schulleitungen zu deren Lernumfeld. Österreich beteiligte sich in der Sekundarstufe I (Mittelschulen, AHS, Schulen mit eigenem Statut) im Jahr 2024 zum dritten Mal.