Lernen sei ein aktiver Prozess, sagt Geier. Man reflektiere Denkmuster, hinterfrage Routinen, entwickle neue Sichtweisen.
Frau Professorin Geier, Sie befassen sich mit innovativen Lernformen. Wie unterscheiden sich diese vom traditionellen Unterricht? Ingrid Geier: Klassischer Unterricht - frontal, lehrkraftzentriert, stofforientiert - geht von einem einheitlichen Lernprozess aus. Inzwischen wissen wir längst, dass Lernen ein individueller, aktiver Prozess ist. Statt reiner Wissensvermittlung geht es heute darum, Lernräume zu schaffen, die differenziert, flexibel und responsiv sind. Ich spreche gerne von einem didaktischen Werkzeugkasten, der unterschiedliche Zugänge anbietet - angepasst an die Diversität der Lernenden.
Können Sie das ein wenig erläutern? Ich habe ein Forschungsprojekt an einer Mittelschule geleitet, wo ich früher selbst unterrichtet habe. Es ist die Praxisschule der pädagogischen Hochschule, dort wird selbst organisiertes Lernen umgesetzt. Die Grundidee: Schülerinnen und Schüler übernehmen stärker Verantwortung für ihren Lernprozess. Sie arbeiten mit Lernjobs, die ein Basiswissen voraussetzen, aber auch Raum für vertiefendes Expertenwissen bieten. Wer will, kann eigene Schwerpunkte setzen, wer mehr Begleitung braucht, bekommt sie. Lernen findet kontinuierlich statt, aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zugängen. Die Rolle der Lehrperson verschiebt sich dabei: von der Vermittlung zur Lernbegleitung.
Sie haben bereits zwei Mal ein Fulbright-Stipendium für die USA erhalten. Erzählen Sie ein wenig davon. Ich war 2019 Gastprofessorin an der University of Hawai'i at Mānoa, heuer an der City University of New York - Kingsborough Community College. Diese Universität hat über 25 Standorte in New York. Zusätzlich wurde ich von Universitäten in Florida und Massachusetts eingeladen, um Vorträge und Workshops zu halten. Mein Schwerpunkt dort war transformatives Lernen. Es geht dabei um eine tiefgreifende Form der Bildung: Menschen reflektieren eigene Denkmuster, hinterfragen Routinen, entwickeln neue Sichtweisen - etwa durch Konfrontation mit realen gesellschaftlichen Problemen.
Ein Beispiel: Statt nur über Umweltschutz zu sprechen, analysieren Lernende ihren eigenen Konsum und leiten konkrete Verhaltensänderungen ab - etwa beim Thema Plastikmüll tauchen Fragen auf wie: Muss ich wirklich eine Plastikflasche kaufen oder geht das auch anders, nachhaltiger?
Man kann jetzt sogar in Salzburg sehen, dass alte Menschen mit einer Müllgreifzange in Containern nach Plastikpfandflaschen angeln … Ja, das kenne ich auch aus den USA und anderen Ländern, dass beispielsweise ärmere Menschen die Plastikflaschen anderer Leute sammeln, um zu ein bisschen Geld zu kommen. Solche Erfahrungen berühren emotional und können Ausgangspunkt für sogenanntes Service Learning oder Active-Citizenship Learning sein. Das ist ein Lernen durch gesellschaftliches Engagement.
