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Innovative Lernformen: Warum das klassische Lernen überholt ist

Das "alte" Lernen funktioniere nicht mehr, sagt die Salzburger Pädagogikprofessorin Ingrid Geier. Die Wissenschafterin befasst sich mit innovativen Lernformen, die sie bei einem Fulbright-Aufenthalt in den USA weitergab. Sonja Wenger

Die Salzburger Wissenschafterin Ingrid Geier vor der Kulisse New Yorks: „Mein Schwerpunkt war transformatives Lernen.“
Die Salzburger Wissenschafterin Ingrid Geier vor der Kulisse New Yorks: „Mein Schwerpunkt war transformatives Lernen.“

Lernen sei ein aktiver Prozess, sagt Geier. Man reflektiere Denkmuster, hinterfrage Routinen, entwickle neue Sichtweisen.

Frau Professorin Geier, Sie befassen sich mit innovativen Lernformen. Wie unterscheiden sich diese vom traditionellen Unterricht? Ingrid Geier: Klassischer Unterricht - frontal, lehrkraftzentriert, stofforientiert - geht von einem einheitlichen Lernprozess aus. Inzwischen wissen wir längst, dass Lernen ein individueller, aktiver Prozess ist. Statt reiner Wissensvermittlung geht es heute darum, Lernräume zu schaffen, die differenziert, flexibel und responsiv sind. Ich spreche gerne von einem didaktischen Werkzeugkasten, der unterschiedliche Zugänge anbietet - angepasst an die Diversität der Lernenden.

Können Sie das ein wenig erläutern? Ich habe ein Forschungsprojekt an einer Mittelschule geleitet, wo ich früher selbst unterrichtet habe. Es ist die Praxisschule der pädagogischen Hochschule, dort wird selbst organisiertes Lernen umgesetzt. Die Grundidee: Schülerinnen und Schüler übernehmen stärker Verantwortung für ihren Lernprozess. Sie arbeiten mit Lernjobs, die ein Basiswissen voraussetzen, aber auch Raum für vertiefendes Expertenwissen bieten. Wer will, kann eigene Schwerpunkte setzen, wer mehr Begleitung braucht, bekommt sie. Lernen findet kontinuierlich statt, aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zugängen. Die Rolle der Lehrperson verschiebt sich dabei: von der Vermittlung zur Lernbegleitung.

Sie haben bereits zwei Mal ein Fulbright-Stipendium für die USA erhalten. Erzählen Sie ein wenig davon. Ich war 2019 Gastprofessorin an der University of Hawai'i at Mānoa, heuer an der City University of New York - Kingsborough Community College. Diese Universität hat über 25 Standorte in New York. Zusätzlich wurde ich von Universitäten in Florida und Massachusetts eingeladen, um Vorträge und Workshops zu halten. Mein Schwerpunkt dort war transformatives Lernen. Es geht dabei um eine tiefgreifende Form der Bildung: Menschen reflektieren eigene Denkmuster, hinterfragen Routinen, entwickeln neue Sichtweisen - etwa durch Konfrontation mit realen gesellschaftlichen Problemen.

Ein Beispiel: Statt nur über Umweltschutz zu sprechen, analysieren Lernende ihren eigenen Konsum und leiten konkrete Verhaltensänderungen ab - etwa beim Thema Plastikmüll tauchen Fragen auf wie: Muss ich wirklich eine Plastikflasche kaufen oder geht das auch anders, nachhaltiger?

Man kann jetzt sogar in Salzburg sehen, dass alte Menschen mit einer Müllgreifzange in Containern nach Plastikpfandflaschen angeln … Ja, das kenne ich auch aus den USA und anderen Ländern, dass beispielsweise ärmere Menschen die Plastikflaschen anderer Leute sammeln, um zu ein bisschen Geld zu kommen. Solche Erfahrungen berühren emotional und können Ausgangspunkt für sogenanntes Service Learning oder Active-Citizenship Learning sein. Das ist ein Lernen durch gesellschaftliches Engagement.

"Auch Dienst an der Gesellschaft ist Lernen"
Ingrid Geier
Pädagogikprofessoren

An der Pädagogischen Hochschule Salzburg überlegten beispielsweise Studierende, wie Obdachlose im Winter zu einem warmen Getränk kommen könnten. Sie entwickelten mit der Caritas und lokalen Kaffeehäusern ein Caffè-sospeso-System, bei dem Bedürftige einen vorausbezahlten Kaffee konsumieren können.

In einem anderen Fall gestalteten sie gemeinsam mit einer Gemeinde und Sponsoren einen verwahrlosten Spielplatz neu oder gestalteten gemeinsam mit einem Altersheim einen Garten. Solche Projekte verbinden Bildung mit Verantwortung - und fördern demokratische Haltung.

Etwa 15 Prozent der Schulabgänger in Österreich können nur mangelhaft schreiben, lesen und rechnen. Was können innovative Ansätze hier leisten? Wir scheitern oft daran, strukturell auf Heterogenität zu reagieren. Standardisierte Systeme erzeugen Ausschlüsse - gerade bei Kindern aus bildungsfernen oder sozioökonomisch prekären Familien. Innovative Ansätze setzen früher und individueller an: durch adaptive Lernformen, multiprofessionelle Teams, Sprachförderung, verbindliche Feedbacksysteme. Aber auch durch eine Haltung, die Defizite nicht als persönliches Versagen, sondern als Ergebnis struktureller Bedingungen versteht. Bildung darf nicht verwalten, sondern muss ermöglichen.

Eine Frage zur Schulkrise in Wien: Dort sitzen aufgrund der hohen Zuwanderung oftmals Kinder mit 15, 20 Nationalitäten und Sprachen in einer Klasse. Und selbst in Österreich geborene Kinder können oft nicht mehr Deutsch. Wie ist ein Unterricht unter so immens schwierigen Umständen überhaupt möglich? Diese Realität ist keine Ausnahme mehr - und sie darf nicht als Problem, sondern muss als Ausgangspunkt pädagogischen Handelns verstanden werden.

Culturally Responsive Teaching lautet ein international bewährter Ansatz. Das bedeutet, Lehrpersonen arbeiten nicht gegen die Unterschiede, sondern mit ihnen. Sie beziehen kulturelle Hintergründe, Mehrsprachigkeit, Lebensrealitäten in den Unterricht ein. Dabei findet über Reflexion auch transformatives Lernen statt. Gerade während meines Fulbright-Aufenthalts in New York City habe ich erlebt, wie viel Potenzial in inklusiven und kulturell diversen Lernumgebungen steckt - wenn Lehrpersonen gezielt auf die Ressourcen von Lernenden eingehen. An der Pädagogischen Hochschule Salzburg bieten wir ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsprogramm zur Sprachförderung und zur Arbeit in heterogenen Klassen an.

Dennoch: Wie soll eine Lehrerin praktisch konkret den Unterricht halten, wenn niemand sie versteht? Mit Selbstreflexion allein wird das nicht gehen. Natürlich braucht es da Strukturen. Eine Lehrperson, die da auf sich allein gestellt ist, wird verzweifeln. Und nur mit Warten kommt gar nichts. Da entsteht nur Frust auf beiden Seiten. Es helfen keine Appelle, sondern klare Strukturen. Es braucht Teamteaching, Sprachförderpersonal, Assistenzkräfte - und Konzepte, die die Erstsprachen der Kinder anerkennen.

Denn Sprache ist nie neutral, sondern identitätsstiftend. Gleichzeitig braucht es eine Haltung, die Kindern mit Respekt, nicht mit Defizitblick, begegnet.

Wertschätzung - ich würde sagen: Zuwendung - ist keine pädagogische Nebensache. Sie ist Voraussetzung für jeden nachhaltigen Lernprozess.