"Hajde, hajde", ruft sie, "idemo, idemo!" Auch wenn viele nicht verstehen, was sie da genau sagt, so spricht sie doch eine recht eindeutige Sprache. Vor uns steht eine selbstbewusste Frau in hochhackigen gelben Stöckelschuhen. Sie deutet uns, wir folgen.
Eine eindringliche Performance über sichtbare und unsichtbare Arbeit
Die Dame entführt uns als Gruppe in ein Haus, an einen verlassenen Ort, unweit der Szene Salzburg. Wir sind im Ava-Hof, mitten in einer partizipativen Performance, einem Mitmachtheater, in dem das Publikum mehr als nur passiv beobachten darf. Rund um uns herum befinden sich klebrige Überreste einer vermeintlich amüsanten Party. Wir sehen leere Chipspackungen, Bierdosen, halb gefüllte Gläser, eine verklebte Couch. Und wir riechen die Party sogar: Mithilfe einer Dampfmaschine werden uns wechselweise der Duft von Schweiß, abgestandenem Gulasch und Putzmittel in die Nase getragen. Die schlagfertige junge Frau, die uns hierhergebracht hat, heißt im wahren Leben Susanne Lipinski. Für die Performance schlüpft sie in die Rolle einer Unternehmerin und Reinigungskraft. In der Mitte des Raumes klebt ein pechschwarzer Fleck, vielleicht eine Mischung aus Energydrink, Kaffee und Zigaretten. Sie will uns zeigen, dass sie das Chaos samt unputzbarem Fleck am Boden in etwas mehr als einer Stunde beseitigen kann. Das Theater entpuppt sich als Verkaufsveranstaltung ihrer fiktiven Reinigungsfirma We care. Was aber wirklich im Mittelpunkt dieser Performance steht, ist die Tatsache, dass die, die unseren Dreck wegmachen, vielfach unsichtbar bleiben. Sichtbar macht das nun die Performance der Künstlerinnengruppen von gold extra und dem Kollektiv Kollinski sozial gemeinsam mit Sebastian Frisch und der Szene Salzburg.
Unsichtbare Helfer und der Druck der Effizienz
Denn: Gereinigt wird dann, wenn in den Büros sonst niemand mehr arbeitet. Gepflegt und gewaschen wird hinter verschlossenen und privaten Türen. Wie von Zauberhand erledigt sich, was viele von uns nicht tun wollen. Selbst Anna, die digitale Assistentin der Facility-Managerin, bleibt körperlos (weil virtuell) und damit unsichtbar. Mit schlauen Sprüchen ("Das wahre Leben beginnt nach dem Aufräumen!"), einem rigiden Zeitmanagement und guten Ratschlägen steht sie ihrer Chefin zur Seite. Und treibt sie damit gleichsam in den Wahnsinn. Denn egal, wie schnell sie strampelt, fertig wird sie nie, das rechnet Anna ihr vor. Auf die Frage, wann sie denn heute ihre Kinder abholen könne, antwortet die virtuelle Assistentin prompt mit einem niederschmetternden "Niemals".
Fair statt prekär
Prekär ist Arbeit vor allem dann, wenn sie unsicher ist, wenig bis keine Aufstiegschancen und soziale Absicherung bietet und man vom Einkommen nicht wirklich gut leben kann. Leiharbeitende, Minijobber, Scheinselbstständige, aber auch Kunstschaffende finden sich oft in unsicheren Verhältnissen wieder. Ein gutes Drittel aller Erwerbstätigen soll in Österreich unter instabilen Bedingungen arbeiten. "Strukturell liegt da vieles im Argen", meint Susanne Lipinski, "wir zeigen hin, machen es spürbar." Neben dem inszenierten aussichtslosen Einzelschicksal der Hauptprotagonistin rücken in 80 Minuten Schauspiel noch drei weitere wahre Lebens- und Berufsgeschichten ins Rampenlicht: So erzählt auf einer Videoleinwand die Portugiesin Fatima, wie sie ihrer Familie nahezu alles an Geld schickt, das sie anderswo beim Putzen verdient. Dem philippinischen Haus- und Kindermädchen Rosalie gelingt während eines Salzburg-Aufenthalts die Flucht vor ihrem Arbeitgeber, der sie wie eine Sklavin hält. Und dann ist da noch Mara, die durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach Österreich kommt. Das Putzen war für sie der Einstieg ins neue Leben, gleichzeitig entpuppte sich das aber als eine Spirale nach unten, aus der sie kaum mehr einen Ausstieg findet.
Eine Stimme für Migrantinnen in der Reinigungsbranche
Es ist also kein Zufall, dass Lipinski vor allem Frauen mit Migrationshintergrund eine Stimme gibt. Mit ihrem energischen "Hajde, hajde" hat sie uns nicht nur mit in den Ava-Hof, sondern in eine andere Welt geführt. Eine Welt, über die wir uns sonst wenig Gedanken machen. Mehr als zwei Drittel der Reinigungskräfte in Österreich stammen aus dem Ausland. Migrantinnen und Migranten arbeiten deutlich öfter unter prekären Bedingungen. Was sich Lipinski wünscht, ist ein Neustart, das bedingungslose Grundeinkommen würde vieles verbessern. "Wir brauchen mehr Transparenz und Sichtbarkeit für eine gelebte Gleichberechtigung mit höheren Löhnen. In den Menschen steckt so viel mehr und es ist traurig, dass wir ihr Potenzial vielfach einfach nicht sehen." Aufgeräumt haben die Künstler und Künstlerinnen nach jeder der vier ausverkauften Vorstellungen übrigens selbst.