Wie oft hören Sie in Ihrem Umfeld ein "Ich gehe leidenschaftlich gern arbeiten!"? Wohl eher selten. In einer Zeit der vermehrten Sinnsuche und Selbstverwirklichung sind häufiger Menschen mit ihren Jobs unzufrieden. Zu diesem Befund kommt auch der letzte Index des Gallup-Instituts, mit dem die emotionale Bindung der Arbeitnehmer an ihre Dienstgeber erhoben wird. Demnach empfinden nur noch neun Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland eine hohe Bindung zu ihrem Arbeitgeberbetrieb, 78 Prozent machen "Dienst nach Vorschrift". Laut Studie fühlt sich nur jeder zweite Mitarbeitende für die Qualität seiner Leistung verantwortlich, jeder achte hat bereits innerlich gekündigt. Die dadurch bedingten Produktivitätsverluste in Deutschland schätzt das Gallup-Institut auf über 113 Milliarden Euro.
Das drängt eine Frage in den Vordergrund: Warum können wir nahezu alle unsere Lebensbereiche mit Leidenschaft erfüllen, offenbar aber nicht unsere tägliche Arbeit? Also jene Lebenszeit, die neben dem Schlaf unser Leben ausfüllt wie keine andere Tätigkeit?
Hans Rusinek forscht an der Universität St. Gallen zum Wandel der Arbeitswelt. Er fragt, wie sich Unternehmen neu erfinden können, wie Mitarbeitende zu mobilisieren wären und wie das Wirtschaftsleben von morgen aussehen könnte. In seinem Buch "Work-Survive-Balance" geht er der Sinnfrage in der Arbeitswelt nach, für diesen Artikel machte sich der Arbeitsphilosoph darüber Gedanken, warum sich die Leidenschaft, die uns in anderen Bereichen des Lebens antreibt, in der Arbeitswelt so rarmacht.
Schauspieler verkörpern in ihrer Arbeit ja auch leidenschaftlich ihre Rollen, sogar bei manchen Politikern ortet man Leidenschaft bei Reden und Auftritten. Ist es idealistisch, das auch bei einem Nine-to-five-Job zu erwarten? Hans Rusinek: Ob es die Schauspielerin ist oder der Politiker: Diese Art von Leidenschaft birgt jeweils ihre eigenen Gefahren. Wer so ganz leidenschaftlich in seiner Arbeit aufgeht, steht vor dem Risiko, dass seine Arbeit entgrenzt wird und er nicht mehr zwischen Person und Rolle unterscheiden kann. Die Rollen aber, die wir in der Arbeit spielen - ob es die der Managerin oder des Grundschullehrers ist -, haben insofern eine Schutzfunktion, als wir sie nach Feierabend eben auch ablegen können. Nur so gewinnen wir Abstand von der Arbeit und können uns erholen. Wer hingegen diesen Abstand nicht hat, wie wir das in der Schauspielerei und in der Politik sehen, kann an der Arbeit schnell zugrunde gehen - oder braucht ein paar verdammt gute Therapeuten! Dennoch darf es schon ein bisschen mehr sein in der Arbeitswelt der Normalsterblichen.
Warum verortet man Leidenschaft in der Regel im zwischenmenschlichen Bereich, weniger aber in der Arbeit? Leidenschaft ist ein tolles Wort, weil es Leid in ein positives Licht setzt. "Ich kann dich leiden", diese Worte sage ich zu den allerbesten Freunden, weil ich es mit ihnen aushalten kann, auch wenn sie nicht immer einen Riesenspaß bringen. Das fehlt uns in der Arbeit tatsächlich. Diese ist dominiert von zwei Erzählungen, die uns die Leidenschaft rauben, wie der Philosoph Dieter Thomä weiß.
Die da wären? Da ist die immer etwas heuchlerisch anmutende Umarmungserzählung, wonach Arbeit ein Riesenspaß ist, wo man mit Caffè Latte im Hipster-Café ganz nebenbei und recht leidenschaftslos am Laptop den großen Wurf zustande bringt und man die ganze Sache eigentlich nur ironisch "Arbeit" nennen kann. Diese Erzählung nimmt Arbeit nicht ernst, hat wenig mit Leidenschaft zu tun und sagt obendrein allen, die nicht immer Freude an der Arbeit haben: "Es liegt wohl an deinem Mindset." Dann ist da noch die Totschlagerzählung, die mit dem Begriff der Work-Life-Balance daherkommt und damit die Arbeit - eben als Gegenteil zum "Life" - gewissermaßen schon ins Reich des Todes verfrachtet.
Also eher die Menschen, die innerlich bereits gekündigt haben? Ja, hier ist die Arbeit wie ein Zahnarzttermin: den Tag möglichst schnell hinter sich zu bringen. Zwischen beiden Erzählungen befinden wir uns in unserer daher äußerst leidenschaftslosen Arbeitswelt. Die einen verklären Arbeit zu einem Bällebad für Erwachsene. Die anderen geben der Arbeit den Todesstoß. Doch Leidenschaft kommt bei beiden Seiten nicht auf.
Und es gibt wirklich nichts zwischen der Umarmungserzählung und dem Arbeitsfrust? Doch, vielleicht hilft da eine dritte Erzählung, die der zuvor zitierte Philosoph Dieter Thomä vorschlägt. Er nennt es die doppelte Verwandlung durch Arbeit. Idealerweise erschaffen wir etwas in der Arbeit, also ein Produkt, eine Dienstleistung, und erfinden uns damit immer auch ein bisschen neu: nämlich indem wir uns gemeinsam einen Weltzugang erarbeiten. Durch Arbeit kommen wir in Kontakt mit der Welt, wir nutzen, was sie uns gibt, und geben ihr auch etwas zurück. Ich würde mir wünschen, dass wir in unserem Nine-to-five-Job auch die Möglichkeit bekämen, uns so produktiv an der Welt zu reiben, und von der Arbeit weitaus mehr haben als nur einen Scheck und den Feierabend. Allein: Die gegenwärtigen Organisationen sind da oft eher Hoffnungskiller. Mit ihren Strukturen bremsen sie, wenn man so will, Leidenschaft.