VW ID.1: So gelingt der Spagat zwischen preiswert und hoher Qualität im Elektro-Segment
Mit dem kommenden ID.1 versucht VW einen schwierigen Spagat. Der Elektro-Kleinwagen soll günstig sein, aber nicht billig wirken.


Kai Grünitz ist nicht zu beneiden. Der VW-Entwicklungschef ist aktuell für gleich zwei Zukunftshoffnungen verantwortlich, die maßgeblich über den Erfolg von Europas größtem Autobauer entscheiden könnten. Während das elektrische Polo-Pendant VW ID.2 bei der diesjährigen IAA kommenden Herbst in München Premiere feiern wird, heißt es auf den elektrischen Kleinwagen ID.1 - den programmierten Nachfolger des VW up! - noch bis zum Jahr 2027 warten.
VW startet Kulturrevolution am Automarkt
In der Automobilbranche von heute sind zwei Jahre eine lange Zeit. Vor allem weil die Konkurrenz aus Fernost, aber auch der eine oder andere europäische Mitbewerber zwischenzeitlich längst die ersten elektrischen Einstiegsmodelle auf die Straße gebracht hat. Doch einerseits ist man es bei VW fast schon gewohnt, Trends zunächst ein wenig zu verschlafen, dann aber das Feld von hinten aufzurollen - siehe die Bestseller Touran und Tiguan. Und andererseits hat Kai Grünitz in seinen knapp drei Jahren als Markenvorstand für den Bereich Technische Entwicklung von Volkswagen Pkw bereits eine kleine Kulturrevolution losgetreten. Deren Ziel ist es nicht nur, die Fehler aus der Ära von Ex-VW-Chef Herbert Diess zu korrigieren. Sondern vor allem auch, binnen kürzester Zeit ein vollelektrisches Einstiegsmodell auf die Räder zu stellen, das zu einem Kampfpreis von 20.000 Euro nicht nur die gewohnte VW-Qualität à la Golf bietet, sondern der zuletzt wirtschaftlich arg gebeutelten Marke keine zusätzlichen finanziellen Verluste beschert. Eine echte Mammutaufgabe, zumal man sich mit der Fabrik in Palmela in Portugal bereits auf einen Produktionsstandort in Europa festgelegt hat.
VW spart durch Design-Optimierung
Einen wichtigen Hebel stellt dabei das Außendesign dar. Die kürzlich in Düsseldorf präsentierte Konzeptstudie VW ID. Every1 zitiert nicht nur die knuffig-sympathische Optik des früheren up!, sondern verzichtet darüber hinaus konsequent auf jegliche Art von aufwendigen Anbauteilen, Gittern oder Einsätzen. Das sieht nicht nur modern aus, sondern spart vor allem in der Produktion der Karosserie-Komponenten jede Menge Geld. Auch unterm Blech wurde die Kostenschraube massiv angezogen. Während der Vorderwagen des 3,88 Meter kurzen Kleinwagens weitestgehend vom größeren Bruder ID. 2all übernommen wurde, ist die Hinterachse mittels vieler Bestandteile aus dem Konzernregal kostenoptimiert. Der mit dem ID.1 gestartete, modulare Produktionsprozess nutzt laut Kai Grünitz Kostenpotenziale, die künftig auch in höheren Fahrzeugklassen Anwendung finden werden - vor allem in Hinblick auf die nächste Generation des dann auch vollelektrisch verfügbaren Golf.
Lithium-Eisenphosphat-Akkus senken Kosten
Beim Energiespeicher setzt man auf preiswerte Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP) mit einer programmierten Reichweite von 250 Kilometern. Für spezifische Kundenbedürfnisse - etwa für Pflegedienste oder Pizzaboten - sind später auch kleinere Batterie-Packs denkbar, wodurch sich der Fahrzeugpreis noch etwas drücken lassen würde. In Sachen Innenraum stellt Kai Grünitz klar, dass man sich vom zukünftigen Elektro-Einstiegsmodell des A00-Segments nicht die Wertigkeit wie in den höheren Klassen erwarten dürfe. Hartplastik wird es zweifelsohne geben, allerdings an Stellen, wo es den Kundinnen und Kunden nicht negativ auffällt.
ID.1: erstes Modell mit innovativer Fahrzeug-Software
Die mit Abstand wichtigste Innovation findet allerdings bei der Fahrzeug-Software statt. So wird der ID.1 das erste Modell mit der neuen Elektronikplattform aus dem Joint Venture mit Rivian sein. Dieses "Leuchtturmprojekt" hat zwar fast sechs Milliarden Euro gekostet, mittelfristig verspricht es jedoch enormes Einsparungspotenzial. So soll es der modulare Aufbau der Software-Architektur anders als bisher möglich machen, ein und dieselbe Software in unterschiedlichen Fahrzeugen zu verwenden und die Leistung von Hard- und Software je nach Bedarf zu skalieren. Am revolutionärsten sei allerdings die Arbeitsweise der US-amerikanischen Partner gewesen: Nach zwei, maximal drei Meetings seien Entscheidungen getroffen und danach auch nicht mehr hinterfragt worden. Aus Sicht der Konzernzentrale in Wolfsburg tatsächlich eine Revolution.