Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) im SN-Interview über Integration, schlechte Deutschkenntnisse von Schulkindern, den Lehrermangel und seine eigene Zukunft.
Herr Minister, wann machen Sie diesen Sommer Ferien? Martin Polaschek: Ich werde weitestgehend durcharbeiten und nur im August ein paar Tage bei meiner Familie in Graz verbringen. Es gibt viel zu tun.
Zum Lehrermangel, der drängend ist: Werden im Herbst alle Stellen besetzt sein? Wir werden alle Stunden abhalten. Wir haben 12.000 Bewerber für die 7000 ausgeschriebenen Stellen. Wir haben aber natürlich regional und auf bestimmte Schultypen bezogen offene Stellen. Aber wir haben das ganze Verfahren digitalisiert und sind viel schneller in der Lage zu reagieren. Ziel muss sein, in Zukunft genügend engagierte Lehrerinnen und Lehrer zu finden. Dafür haben wir Entlastungspakete erarbeitet und das Studium attraktiviert, um dem Mangel entgegenzuwirken. Allein im letzten Studienjahr hatten wir eine Steigerung von 17 Prozent bei den Studienanfängern.
Die verpflichtende vorwissenschaftliche Arbeit wurde abgeschafft und durch eine Abschlussarbeit ersetzt. Was sagen Sie zur Kritik, die Matura werde so weiter verwässert? Das ist keine Verwässerung, sondern es werden mehr Möglichkeiten geschaffen. Warum müssen alle eine VWA schreiben? Auch jene, die nicht auf die Uni gehen? Schülerinnen und Schüler haben viele Begabungen - warum kann man also nicht auch auf andere Dinge setzen? Aber klar ist: Die Leistung muss bleiben. Das stellen die Lehrerinnen und Lehrer sicher. - Natürlich war der Vormarsch der KI ein Grund für das Aus der verpflichtenden VWA. Aber natürlich ist KI ein großes Thema für uns: Mehr als 100 KI-Pilotschulen werden sich ab kommendem Schuljahr damit auseinandersetzen.
Ist es für das Schulsystem nicht ein niederschmetternder Befund, dass jeder zweite Schüler Nachhilfe braucht? Man muss das differenzierter betrachten: Ja, es wird viel Nachhilfe in Anspruch genommen. Es ist aber nicht so, dass dies alle Kinder und Jugendlichen brauchen, um positiv abschließen zu können. Und es gibt viel Unterstützung vonseiten des Bundes: Wir haben etwa mit weiterlernen.at eine eigene Plattform geschaffen, durch die Unterstützungsangebote kostenfrei in Anspruch genommen werden können.
Trotzdem basiert unser Schulsystem stark auf der Mithilfe der Eltern. Wenn sie das nicht leisten können oder wollen - Stichwort Integration: Warum werden die Ganztagsschulen nicht endlich massiv ausgebaut? Wir müssen ganztägige Angebote deutlich erweitern. Aber auf freiwilliger Basis. Warum sollen wir Familien zu einer Ganztagsschule zwingen, wenn sie das nicht wollen? Mir ist Wahlfreiheit wichtig.
Genau das ist aber oft das Problem: Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, haben ihre Kinder in Ganztagsschulen, bei jenen, wo das nicht so ist - oft Zuwandererfamilien -, sind die Kinder ab Mittag daheim, wo wieder nicht Deutsch geredet wird. Mein Zugang ist deshalb, das Ganztagsangebot - auch in der nicht verschränkten Form - gratis anzubieten. Dazu braucht es auch ein neues Berufsbild in der Freizeitpädagogik. Da sind wir leider noch zu keinem Abschluss gekommen. Das wird ein zentrales Thema für die künftige Regierung: Wir brauchen mehr pädagogisches Unterstützungspersonal, Personen mit anderen Kompetenzen, um das Lehrpersonal entlasten und Schülerinnen und Schüler besser unterstützen zu können.
Die größte religiöse Gruppe an Wiener Volksschulen sind Muslime. Ist das ein Problem? Das ist eine Frage der Einstellung zu Hause. Und da sind wir bei der Integration. Wir sind ein Land, in dem demokratische Werte wie Toleranz, Respekt und Gleichberechtigung gelten. An diese Werte hat man sich zu halten. Da müssen wir mehr Kante zeigen, auch in Schulen.
Aber wie, wenn Burschen die Lehrerin nicht akzeptieren, weil sie eine Frau ist, oder wenn Antisemitismus grassiert - vor allem seit dem 7. Oktober? Das ist eine große Herausforderung, gesamtgesellschaftlich, allen voran der Antisemitismus. Diese Debatte wurde bisher noch zu wenig geführt, da wurde man rasch ins rechte Eck gedrängt. Das ist nun vorbei. Das ist auch links der Mitte angekommen.
Zurück zu den mangelnden Deutschkenntnissen von Zuwandererkindern. Über den Sommer verlernen sie mitunter das schon Erlernte wieder. Warum nicht eine verpflichtende Sommerschule am Ferienende für jene, die es brauchen? Wer definiert, wer in eine Sommerschule muss? Dass die Sommerschule freiwillig ist, ist gut. Da können die Eltern entscheiden. Und die Lehrer vermitteln ihnen sehr wohl, wenn ihr Kind das braucht.
Die FPÖ will nur Kinder, die schon Deutsch können, in die Schule gehen lassen. Das sagt alles über die Bildungskompetenz der FPÖ aus. Sollen die Kinder dann daheimbleiben und nicht Deutsch lernen? Wenn wir wollen, dass Kinder Deutsch lernen, müssen wir sie ins Bildungssystem holen, in die eigens dafür geschaffenen Deutschförderklassen.
Trotzdem kann ein Fünftel der Schüler mit 15 nicht sinnerfassend lesen. Darüber klagt auch die Wirtschaft ... Für mich ist essenziell, dass kein Kind die Schule verlässt, das nicht über entsprechende Kompetenzen in Deutsch und Mathematik verfügt. Ich habe zuletzt dafür gesorgt, dass mehr gelesen wird. Das vergangene Schuljahr hatte den Schwerpunkt Lesen. Wir haben viel dafür getan, um die Kompetenz und die Motivation zu steigern.
Wo liegt denn Ihre persönliche Zukunft? Ich bin gern Minister und wäre bereit, das zu bleiben. Aber das hängt vom politischen Rahmen im Herbst ab. Für eine Regierung mit Kickl bin ich jedenfalls nicht zu haben.