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Lehrkräfte in Österreich dringend gesucht: "Da wird aggressiv geworben"

In zehn Jahren wird die Hälfte der 120.000 Lehrerinnen und Lehrer in Pension sein. Ersatz zu finden ist schwierig. Die Konkurrenz schläft nicht - weder innerhalb noch außerhalb von Österreichs Grenzen.

Es werden immer mehr Lehrkräfte gesucht.
Es werden immer mehr Lehrkräfte gesucht.

Der Lehrermangel im Land beflügelt mancherorts die Kreativität. "Lust zu unterrichten?", steht auf den Plakaten, die seit Kurzem im Burgenland hängen. Die Botschaft richtet sich dezidiert an Lehrerinnen und Lehrer, die sich vorstellen können, vom östlichsten Bundesland in das westlichste zu übersiedeln. Das Land Vorarlberg verspricht dafür sogar eine Prämie von 6500 Euro, die unter anderem das Klimaticket (für zwei Jahre) oder Mietbeihilfe enthält.

Vorarlberg hat es besonders schwer

Vorarlberg tut sich traditionell schwer, alle offenen Stellen zu besetzen. Grund ist die Nähe zur Schweiz und zu Liechtenstein, wo das Gehaltsniveau auch für Lehrkräfte wesentlich höher ist. "Mit der Schweiz können wir nicht konkurrieren", sagt Elisabeth Mettauer-Stubler von der Vorarlberger Bildungsdirektion. Schweizer Kantone würden unterdessen auch aktiv um Lehrkräfte werben, etwa via Inserate in Medien. Dass Vorarlberg nur im Burgenland aktiv werbe, liege daran, dass dort alle Stellen für den Herbst bereits besetzt seien. "Unser Angebot richtet sich also in erster Linie an jene, die sich um eine Stelle beworben haben und diese nicht gekriegt haben. Wir wollen niemanden abwerben." Außerdem: Dass man andernorts um Lehrerinnen und Lehrer werbe, sei nicht neu, betont sie. Schon in den vergangenen Jahren habe man sich in Briefen an Pädagogische Hochschulen und Bildungsdirektionen, etwa in Kärnten, gewandt oder sich über soziale Medien um neue Lehrkräfte bemüht.

Bayern lockt mit hohen Einstiegsgehältern

Das Buhlen um Lehrer hat längst ein Karussell in Gang gesetzt. Innerhalb Österreichs und über Österreichs Grenzen hinaus. Denn der Lehrermangel beschäftigt auch die Nachbarländer. Siehe Schweiz. Oder Bayern. Dort ist Ministerpräsident Markus Söder dieses Jahr in die Offensive gegangen: Das Land bietet nicht nur ein großzügiges Einstiegsgehalt - rund 4800 Euro brutto plus diverse Zulagen. Darüber hinaus werde die Übersiedelung gefördert, die Vertragsabschlussgebühr übernommen und mitunter sogar angeboten, "nach vier Wochen bereits beamtet zu werden. Das gibt es bei uns gar nicht mehr", sagt Pflichtschulgewerkschafter Paul Kimberger im SN-Gespräch. "Da wird aggressiv geworben", betont er und verweist darauf, dass das vor allem für Oberösterreich und Salzburg, wo der Mangel - neben Wien - besonders groß ist, ein Problem werden könnte. Derzeit sind 212 Stellen noch unbesetzt, davon 83 in Oberösterreich und 55 in Salzburg - wobei im Vorjahr zur selben Zeit noch wesentlich mehr Stellen offen waren. Kimberger sagt, er kenne etliche Junglehrer, die meinten: "Ich probier das." Wer sich bereit erklärt, in einer Mangelregion zu unterrichten, erhält überdies eine 3000-Euro-Prämie.

Enorme Herausforderung steht bevor

Zum Vergleich: Das Einstiegsgehalt in Österreich liegt bei rund 3100 Euro. Im Ministerium verweist man aber darauf, dass es das 14 Mal pro Jahr gebe statt wie in Bayern nur 12,5 Mal, dass die Lehrverpflichtung in Bayern höher sei und es auch weniger Ferien gebe. Der Lehrermangel sei aber natürlich eine enorme Herausforderung, heißt es: In den kommenden fünf Jahren seien 20.000 Vollzeitbeschäftigungsäquivalente neu zu besetzen - angesichts der vielen Teilzeitstellen sind das wesentlich mehr Personen. Bei der Gewerkschaft heißt es, dass in den kommenden zehn Jahren jeder zweite der insgesamt 120.000 Lehrerinnen und Lehrer im Land, also insgesamt 60.000 Beschäftigte, in den Ruhestand wechselt. Laut Kimberger wird der Höhepunkt im Jahr 2027 erwartet. "Das Problem wird sich also nicht so schnell lösen", sagt er.

Pensionierungswelle rollt über Österreich

Die Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge (Babyboomer) trifft die Schulen ebenso wie alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Besonders dramatisch zeigt sich das im Pflege- und Gesundheitswesen, wo sich An- und Abwerbeaktionen in noch größerer Dimension abspielen. Da wird von Fernost bis Südamerika gesucht.

Laut Bildungsministerium gibt es keine Zahlen zur Abwanderung von Lehrkräften. Auch gibt es keine Zahl, wie viele fertig ausgebildete Lehrkräfte sich doch für einen anderen Beruf entscheiden. Die Schwierigkeit sei, dass sich viele nach der Ausbildung eine Auszeit nehmen oder viele nur Teilzeit arbeiten würden. Zumindest das weiß man: 2023 dürften 5500 Lehramtsstudenten ihr Studium abschließen. Auf das drohende demografische Problem habe man erstmals bereits im Jahr 2008 hingewiesen, sagt Kimberger. Das Ganze sei zu lange ignoriert worden. Nun seien die Herausforderungen riesig. Und: Durch die krisenhaften Bedingungen der vergangenen Jahre - allen voran durch Corona oder die Aufnahme Tausender ukrainischer Kinder in den Schulbetrieb - habe sich die Situation verschärft, sagt er.

Überstunden und Quereinsteiger halten aktuell dagegen

Der Mangel müsse unter anderem durch Mehr- und Überstunden ausgeglichen werden. Das führe dazu, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen ausgebrannt seien. Zu schaffen mache den Lehrkräften auch die enorme Bürokratie. Die bisherigen Maßnahmen des Ministeriums, Quereinsteiger ins Boot zu holen, helfen, aber zu wenig. Kimberger: "Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, angefangen bei der Ausbildung, die praxisnaher werden muss, bis hin zu Entlastungen und finanziellen Komponenten, um wieder konkurrenzfähig zu werden." Das Bildungsministerium verweist darauf, dass man im Vorjahr bei Schulpsychologen wie auch Sozialarbeitern aufgestockt habe. Derzeit laufen Gespräche über weitere Schritte. Bringen sie keine Lösung, könnte laut Gewerkschaft ein heißer Herbst bevorstehen.

Quereinsteiger-Initiative: Bisher großes Interesse

Was zuletzt für Kritik sorgte, ist nur ein kleiner Teil der Quereinsteiger-Initiative des Bildungsministeriums: Das will künftig auch etwa in Kasernen bei Milizsoldaten für einen Umstieg in den Lehrberuf werben. Zudem sollen die Themen Neutralität und Landesverteidigung im Unterricht präsenter sein.

Die bisherige Bilanz der Quereinsteiger-Initiative "Klasse Job" ist sehr positiv: Insgesamt haben sich 3000 Personen beworben, 1000 davon wurden bereits zertifiziert und 600 haben sich für eine Stelle beworben. Infrage kommt, wer ein passendes Studium hat (etwa BWL für Mathematik) und Berufserfahrung. Parallel zum Unterricht findet, sofern man die Voraussetzungen erfüllt, ein Quereinsteiger-Studium statt. Statt schlechter bezahlter Sonderverträge wie bisher gibt es nun eine Anstellung im normalen Lehrer-Gehaltsschema. Nicht möglich ist derzeit der Quereinstieg in die Volksschule.

Das große Interesse hat den Lehrermangel zwar etwas gemildert, aber längst nicht beseitigt. Weiterhin müssen Studentinnen und Studenten aushelfen und aktive Lehrkräfte Mehr- und Überstunden leisten. Obwohl sich insgesamt 11.400 Personen für die 6846 offenen Stellen beworben haben, sind rund 200 noch unbesetzt. Der Grund: Für manche gab es viel zu viele Bewerber, für manche keine. Das variiert je nach Region, Schultyp und Unterrichtsfach. Mathematiklehrer oder Volksschullehrerinnen werden händeringend gesucht.