Eine Wissenschaftspädagogin, die Mathematik unterrichtet. Eine Pharmazeutin, die eine zweite Karriere als Chemielehrerin einschlägt. Ein Physiotherapeut, der als Sportlehrer durchstarten will: Die vom Bildungsministerium groß angelegte Werbekampagne "Klasse Job", eine Art Rekrutierungssystem für Quereinsteiger, hat Früchte getragen. 600 Neueinsteiger werden heuer erstmals unterrichten, laut Ministerium sind das doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Neuzugänge werden dringend benötigt. Bis zuletzt war unklar, ob es genügend Lehrpersonal gibt, um in dem Schuljahr jede Unterrichtsstunde abhalten zu können.
Bessere Bedingungen für Quereinsteiger
Zusätzlich zu Lehramtsstudierenden, die ebenfalls ohne pädagogischen Abschluss in der Klasse stehen, sollen also Quereinsteiger dem Lehrermangel entgegenwirken. Die gab es an den Schulen zwar schon bisher - neu ist, dass sie aufgrund einer Dienstrechtsnovelle bessere Bedingungen vorfinden und statt eines Sondervertrags wie ausgebildete Pädagogen gleich einen Regelvertrag erhalten. Die Neueinsteiger müssen aber den neu geschaffenen Hochschullehrgang Quereinstieg innerhalb von acht Jahren nachholen und zusätzlich im Sommer einen zweiwöchigen Vorbereitungskurs absolvieren - eine Woche online, eine Woche in Präsenz - und bekommen einen Buddy zur Seite gestellt.
"Die Kinder testen mich natürlich aus"
Wie ist es, mit so wenig Vorerfahrung im Klassenzimmer zu stehen? "Man wird absolut ins kalte Wasser gestoßen. Es fühlt sich jeden Tag so an, als würde ich eine Watsche voller neuer Informationen und Eindrücke bekommen", sagt eine Quereinsteigerin im SN-Gespräch, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Seit knapp zwei Wochen unterrichtet sie in einer Neuen Mittelschule in Niederösterreich Deutsch und Digitale Grundbildung - wobei bei den Hauptfächern immer auch mindestens eine weitere Lehrperson im Klassenzimmer steht, wie sie sagt. Lehrerin zu werden war immer schon ihr Traum, berichtet die 30-Jährige, die zuvor im Marketing in der Kommunikationsbranche tätig war. Wie erlebt sie nun die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern? "Die Kinder testen mich natürlich aus und ich weiß oft nicht, welches Strafregister ich ziehen kann." Die Pausen nutzt sie daher dafür, erfahrene Kolleginnen und Kollegen um Rat zu fragen: "Ich habe großes Glück, alle sind sehr lieb und versuchen mich, soweit es geht, zu unterstützen." Den Akkreditierungsprozess und den Vorbereitungskurs nahm sie als "chaotisch" wahr: Eine Woche vor Schulbeginn, als sie den Dienstvertrag längst unterschrieben hatte, sei sie mehrmals telefonisch kontaktiert und gefragt worden, ob sie den Job wirklich antreten werde.
"Es ist kein leichter Weg"
Ganz anders die Wahrnehmung einer weiteren Quereinsteigerin, die ab Oktober an einer AHS in Tirol Deutsch unterrichten wird. Beim zweiwöchigen Vorbereitungskurs hat die ehemalige Erwachsenenbildnerin gute Erfahrungen gemacht: "Natürlich merkt man, dass das Ganze noch neu ist. Aber grundsätzlich war alles gut organisiert." Die Kritik mancher, dass nun Menschen mit "irgendeinem" Studienabschluss Lehrerin oder Lehrer werden können, kann sie nicht nachvollziehen: "Das ist eine neue Möglichkeit, in den Beruf einzusteigen, aber es ist kein leichter Weg."
Die Mutter dreier Kinder hat den "zeitlich intensiven und durchaus ernst zu nehmenden" Quereinsteiger-Studienlehrgang bereits begonnen und will diesen so schnell wie möglich abschließen. Der berufsbegleitende Lehrgang umfasst 60 ECTS-Punkte - das entspricht dem Arbeitsumfang eines einjährigen Vollzeitstudiums. "Die vielen Blockveranstaltungen am Abend und an den Wochenenden verlangen einem viel ab. Ich hoffe aber, dass wir Quereinsteiger dem System Schule guttun werden.
Daten und Fakten zum Quereinstieg
30 Prozent gehen
30 Prozent der Leherinnen und Lehrer gehen bis 2030 in Pension. In den kommenden fünf Jahren müssen laut Bildungsministerium 20.000 Stellen nachbesetzt werden.
600 kommen
Keine pädagogische Vorerfahrung ist nötig, um sich als Quereinsteiger akkreditieren zu lassen. Voraussetzung sind ein Bachelorstudium und drei Jahre Berufserfahrung sowie das Durchlaufen eines Zulassungsverfahrens "Klasse Job". Heuer gibt es österreichweit etwa 600 Quereinsteiger. Bisher lag die Zahl bei zirka 300 pro Jahr.
"Kindergarten Job"
In der Elementarpädagogik soll, in Anlehnung an "Klasse Job", auf Quereinsteiger gesetzt werden. Damit will Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) sicherstellen, dass auch die Kindergärten über genügend pädagogisches Personal verfügen.
Verkürzung
Eine Verkürzung der Ausbildung plant das Bildungsministerium ab dem Studienjahr 2024/25. Das Bachelorstudium soll dann drei statt vier, das Masterstudium zwei Jahre dauern. Angehende Mittelschul- oder AHS-Lehrer studieren dann ein Jahr weniger als jetzt. Zudem setzt man vermehrt auf berufsbegleitende Masterstudien und mehr Praxis. Entsprechende Gesetzesentwürfe befinden sich laut Bildungsministerium derzeit in Abstimmung.
"Das System ist absolut am Anschlag"
Bildungsexperte über die Gefahren und Potenziale von Quereinsteigern an den Schulen.
Verstehen Sie, dass Quereinsteiger bei manchen Pädagogen für Unmut sorgen? Marko Lüftenegger: Absolut. Lehrerinnen und Lehrer genießen in der Gesellschaft kein hohes Ansehen, und viele nehmen das als weitere Entwertung wahr. Lehrpersonen sind hoch belastet und es wäre wichtig, die Arbeitsbedingungen nicht nur für Quereinsteiger attraktiver zu machen, sondern den Fokus auf jene, die bereits im System sind, zu legen - sonst verlieren wir auch sie.
Auch Sie sehen den Quereinstieg kritisch. Wieso? Die Werbekampagne "Klasse Job" klingt, als müsste man keine pädagogische Eignung mitbringen. Ich glaube nicht, dass man von Medizinstudenten operiert werden wollen würde. In der Schule wird das aber akzeptiert.
Welche Gefahr bringen Quereinsteiger mit sich? Bevor man unterrichtet, muss man verstehen, wie Lernen passiert. Ich nehme zwar an, dass das viele Quereinsteiger schaffen werden, aber es fehlt die Qualitätssicherung. Wenn es blöd hergeht, unterrichten Quereinsteiger acht Jahre, und bei den Schülerinnen und Schülern bleibt wenig hängen. Es wäre daher wichtig, den Prozess wissenschaftlich zu begleiten und sicherzustellen, dass Wissen und zentrale Kompetenzen vermittelt werden.
Können Quereinsteiger dasselbe leisten wie Pädagogen? Es gibt Studien, die nahelegen, dass sich das Wissen zwischen Quereinsteigern und Pädagogen kaum unterscheidet, die Qualität ihres Unterrichts aber schon: Das Management der Klasse und die kognitive Aktivierung gelang bei ausgebildeten Pädagogen besser und es war eher sichergestellt, dass qualitätsvolles Lernen stattfindet. Es zeigten sich aber keine dramatischen Unterschiede und die aktuelle Datenlage ist nicht gut, daher ist dieser Befund mit Vorsicht zu genießen.
Wie heftig ist der Einstieg, wenn man ohne pädagogische Vorbildung in der Klasse steht? Das erste Jahr ist immer sehr stressig, auch für jene mit pädagogischer Ausbildung. Unsere Evaluation der Induktionsphase hat gezeigt, dass einige innerhalb der ersten Wochen wieder aufhören. Gibt es aber ein gutes Unterstützungssystem, kann der Stress gut abgefangen werden. Was hilft, ist fachnahes Mentoring an der eigenen Schule, kein anderes Fach als sein eigenes und nicht an mehreren Schulen unterrichten zu müssen. Aber all das kann man derzeit nicht voraussetzen. Das System ist absolut am Anschlag und die Leute werden überall eingesetzt, wo es notwendig ist.
Was fehlt im "Hochschullehrgang Quereinstieg"? Das Curriculum deckt die psychologische Perspektive der Entwicklung junger Menschen nicht ab. Die Pubertät ist für viele junge Menschen jedoch eine große Herausforderung und die Lehrperson muss wissen, wie Jugendliche ticken.
Können Schulen von Quereinsteigern auch profitieren? Ja, wenn es darum geht, auf das Leben vorzubereiten, kann es sinnvoll sein, Erfahrungen, die woanders gesammelt wurden, weiterzugeben. Etwa indem gezeigt wird, wie das, was in der Schule gelehrt wird, im Beruf angewandt werden kann.
Marko Lüfteneggerleitet den Arbeitsbereich Entwicklungs- und Bildungspsychologie am Zentrum für LehrerInnenbildung der Uni Wien.