NS-Euthanasie
Der NS-Euthanasie fielen mehr als 500 aus dem Bundesland Salzburg stammende oder in Salzburger Einrichtungen betreute Menschen zum Opfer.
Einführung
Der Begriff "Euthanasie", der heute untrennbar mit den Verbrechen der NS-Zeit verbunden ist, hatte vorher die Bedeutung "Sterbe-Hilfe". Lange vor der NS-Vernichtungsaktion von sog. "unwertem Leben" wurden jene Postulate entwickelt, die als Legitimation für die später begangenen Verbrechen dienten. Philosophen, Physiologen, Zoologen und Ärzte, ja selbst Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Bereich formulierten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert aus unterschiedlichen Beweggründen Theorien, die in ihrer Konsequenz das Töten bestimmter Menschen und Menschengruppen unter bestimmten Umständen straffrei ermöglichen sollte. Man berief sich dabei auf Darwin und auf Nietsche. Grundgedanken waren die Einstufung und Bewertung von Menschen nach ihrer Produktivität, der Glaube an die Möglichkeit künstlicher Auslese und Rassenhygiene und die Legitimierung der Staatsmacht, zugunsten des "Volkskörpers" nicht "zweckentsprechende" Menschen "auszumärzen".
Waren es bis 1920 kleine, eher sektiererische Gruppen, die Sterilisierung und Tötung für richtig hielten, sind es der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred E. Hoche, die mit ihren Vorstellungen den Durchbruch herbeiführen. Auf sie gehen der nun auf Menschen angewandte Rentabilitätsgedanke, der später von den Nationalsozialisten aufgegriffen wird, und auch der Begriff "lebensunwert" zurück.
Nationalsozialismus - "Eine neue Zeit mit neuen Menschen"
Kategorisierung
Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 in Deutschland begann die Verfolgung aller Missliebigen, die von Heinrich Himmler als "verwahrloste Individuen" und "Untermenschen" bezeichnet wurden. Hitler hatte bald gesetzgebende und ausführende Gewalt, auch gegen die Verfassung. Gemäß seinen Vorstellungen, die er bereits in "Mein Kampf" veröffentlicht hatte, dass er die Erhaltung der "Minderwertigen" für eine Verhöhnung der Natur hielt, wurde bereits am 14. Juli 1933 das " Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" verabschiedet. Neben diesem Sterilisierungsgesetz wurde in gleicher Sitzung ein "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" beschlossen. Zwischen beiden Gesetzen und auch bei ihrer Durchführung wurde nicht zufällig ein enger Zusammenhang gesehen, da man davon ausging, dass sowohl "Schwachsinn" als auch die Anlagen zum Verbrecher erblich bedingt sind.
Zwangssterilisierung
Das Sterilisierungsgesetz sah vor, dass "Schwachsinnige" (zwangsweise) zu sterilisieren sind. "Wer selbständig einen Beruf ausfüllen kann, ist nicht schwachsinnig. Wer aber nicht fähig ist >in einem geordneten Berufsleben seinen eigenen Unterhalt zu verdienen, noch sonst sich sozial einzufügen< ist es mit großer Wahrscheinlichkeit." Hilfsschüler fielen unter Generalverdacht, Schizophrene, Manisch-Depressive, Epileptiker, erblich Blinde und Taube, Missgebildete und schwere Alkoholiker waren zu sterilisieren. Dieser Aktion sollten letztlich 200.000 bis 350.000 Menschen zum Opfer fallen. Die Anträge zur (Zwangs-)Sterilisierung der dafür ins Auge gefassten Personen stellten die Amtsärzte der staatlichen Gesundheitsämter an das zuständige Erbgesundheitsgericht, im Bundesland Salzburg das Erbgesundheitsgericht Salzburg.
Internierung
Bald wurde die (Zwangs-)Sterilisation als zu gelindes Mittel im Kampf um die Gesundheit des Volkskörpers angesehen. Die Begriffe kriminell und asozial vermischten sich zusehends. Der Ruf nach Internierung der "Minderwertigen" ertönte. Besonders gegen sog. Arbeitsscheue wurde massiv vorgegangen. Der diesbezügliche Erlass lautete: "Arbeitsscheue im Sinne dieses Erlasses sind Männer im arbeitsfähigen Lebensalter …… die nachweislich in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben." Unzählige Menschen wurden in Zwangsarbeitsanstalten (Arbeitshäusern) und in Konzentrationslagern festgesetzt. Viele von ihnen starben.
Vernichtung
Erste Ermordungen im Rahmen der NS-Euthanasie fanden unmittelbar nach der Machtergreifung heimlich in Irrenhäusern statt. Darüber sind Aussagen, aber keine Aufzeichnungen erhalten. Bereits vor dem Anlaufen der reichsweiten Euthanasieaktion erfolgten zwischen 1936 und 1939 Verlegungen von Patienten aus privaten in staatliche Einrichtungen. Es wurden Exkursionen in Irrenhäuser veranstaltet und Kranke vorgeführt, um die Massen auf das Kommende vorzubereiten. 1939 wurde von einem Beraterstab die Kinder-Euthanasie vorbereitet, im Februar die Kinder-Pflegeanstalt in Schloss Hartheim bei Linz enteignet. Bei Kriegsbeginn stoppte man die Sterilisierungsaktion. Diese endete aber nur offiziell, tatsächlich wurde bis 1945 weiter sterilisiert. Im September 1939 waren die organisatorischen Vorbereitungen für die reichsweite Euthanasieaktion abgeschlossen. Im Oktober wurde in Pommern und Westpreußen mit Massenerschießungen von Kranken durch die SS unter dem Befehl von Sturmbannführer Kurt Eimann begonnen. Die Opfer stammten aus den pommerschen Anstalten Stralsund, Treptow an der Rega, Ueckermünde, Lauenburg und Meseritz-Obrawalde. Die erste Exekution erfolgte im Wald von Piasznicz, Kreis Neustadt. Die Ermordung der Kranken mittels Genickschuss dauert pro Transport mehrere Stunden. Die Erschießungen hielten mehrere Wochen an. Ein polnisches Grabkommando musste die Leichen mit Sand bedecken und wurde wegen der Zeugenschaft zuletzt selbst getötet. Im Oktober 1939 erteilte Hitler schriftlich die Ermächtigung zur Gewährung des "Gnadentodes" durch die Erweiterung der Befugnis bestimmter Ärzte. Nun wurde Personal rekrutiert und mehrere Anstalten zur Massentötung umgerüstet.
NS-Euthanasie in der "Ostmark"
In der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz begannen im Rahmen der "Aktion T4" im Mai 1940 die Vergasungen gemäß dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das am 1. Jänner 1940 in der "Ostmark" eingeführt wurde. Im Juni 1940 fand der erste Abtransport auf Salzburger Boden aus der Caritas-Anstalt St. Anton in Bruck an der Großglocknerstraße, heute Caritas Dorf St. Anton, statt. Im Juli 1940 wurde die "Kinderfachabteilung" Am Spiegelgrund in Wien errichtet, wo bis zum Kriegsende (Anm.: auch aus Salzburg stammende) Kinder und Jugendliche im Zuge der NS-Kindereuthanasie getötet wurden. Im Jänner 1941 wurden 67 Pfleglinge aus der Diakonie Gallneukirchen, darunter vier aus Salzburg, nach Hartheim gebracht. Am 16., 17. und 18. April 1941 wurden drei Transporte mit Patienten und Patientinnen aus der Landesheilanstalt Salzburg nach Hartheim überstellt. Am 21. April 1941 erfolgte der Abtransport von über 100 Männern und Frauen aus der Pflegeanstalt Schloss Schernberg bei Schwarzach im Pongau. Im Mai folgte eine weitere Gruppe aus Schernberg und am darauffolgenden Tag, es war der 21. Mai 1941, ein vierter Transport aus der Landesheilanstalt Salzburg. Zu dieser Zeit war Dr. Leo Wolfer Direktor der Landesheilanstalt Lehen und sein Sohn Dr. Heinrich Wolfer war dort als Psychiater und >Erbarzt< tätig. Am 25. Mai wurde ein Transport aus der Pflegeanstalt im Kloster Mariathal bei Kramsach/Tirol durchgeführt. Unter den Pfleglingen befanden sich viele, vor allem Kinder, die früher im Konradinum und in der Caritas-Anstalt St. Anton in Bruck an der Großglocknerstraße untergebracht waren.
Am 24. August 1941 verfügte Adolf Hitler aufgrund des Unmutes der Bevölkerung die offizielle Einstellung der Massenmordaktion. Inoffiziell wurde in vielen Anstalten – wie z. B. am Wiener Spiegelgrund, wo auch Kinder aus Salzburg ermordet wurden – weiter getötet. Anna Bertha Gräfin Königsegg (* 1883; † 1948), Visitatorin der Salzburger Ordensprovinz der Barmherzigen Schwestern des Hl. Vinzent von Paul, stellte sich bereits im Jahr 1940 mutig gegen die Sterilisierungs- und Euthanasiemaßnahmen und wurde dafür zweimal verhaftet und in der Folge des Gaues verwiesen.
Insgesamt fielen den NS-Euthanasieaktion "Aktion T4" und "Kinder-Euthanasie", sowie den dezentralen Anstaltstötungen über 500 Kranke und Menschen mit Beeinträchtigung aus dem Bundesland Salzburg, bzw. Menschen, die in Salzburger Einrichtungen betreut wurden, zum Opfer. Mindestens 14 Salzburger Kinder kamen durch die NS-Kindereuthanasie in der Wiener Städtischen Fürsorgeanstalt Am Spiegelgrund um ihr Leben. Weitere Kinder aus Salzburg starben in der bayrischen Anstalt Eglfing-Haar.
Zeichen der Erinnerung
Die Geschichte des Salzburger "Euthanasie"-Mahnmals wird im Salzburgwiki-Artikel NS-Euthanasie-Mahnmal erläutert. Der Salzburger Opfer wurde in der von der Laube GmbH gestalteten Ausstellung LEBENS(UN)WERT – "NS-Euthanasie im Land Salzburg", die in allen Bezirken gezeigt wurde, in würdiger Form gedacht. Zudem wurden für mehrere Euthanasieopfer aus der Stadt Salzburg, Hallein und St. Johann im Pongau Stolpersteine verlegt.
Quellen
- Ernst Klee, "Euthanasie" im NS-Staat, Die "Vernichtung lebensunwerten Lebens", Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Dezember 1991
- Walter Reschreiter, LEBENS(UN)WERT, "NS-Euthanasie im Land Salzburg", Begleitpublikation zur Ausstellung der Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH, Hallein 2006.
Literatur Zum Thema NS-Euthanasie, das Bundesland Salzburg betreffend
Die hier angeführte Literatur zum Thema Maßnahmen der NS-Euthanasie in Salzburg, sowie Salzburger Opfer und Opfer, die aus Salzburg abtransportiert wurden betreffend, ist selektiv und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Inghwio aus der Schmitten, Schwachsinnig in Salzburg. Zur Geschichte einer Aussonderung. Eigenverlag, Salzburg 1985.
- Inghwio aus der Schmitten/Walter Reschreiter, "Euthanasie" und Zwangssterilisierung. In: Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945. Eine Dokumentation. Band II, S. 565-600. HG Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1991.
- Walter Reschreiter, LEBENS(UN)WERT, "NS-Euthanasie im Land Salzburg", Begleitpublikation zur Ausstellung der Laube sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH, Hallein 2006.
- Johannes Hofinger, "Euthanasie" – Die Ermordung "lebensunwerten Lebens". In: Leben im Terror. Verfolgung und Widerstand, S. 182–222. HG Thomas Weidenholzer und Albert Lichtblau, Salzburg 2012.
- Johannes Hofinger, Nationalsozialismus in Salzburg. Opfer . Täter . Gegner. Studienverlag, Innsbruck-Wien-Bozen, 2016.
- Christina Nöbauer, "Opfer der Zeit". Über das Schicksal ehemaliger BewohnerInnen der Caritas-Anstalt St. Anton in der Zeit des Nationalsozialismus. Studienverlag Innsbruck-Wien–Bozen 2016.