Im Moment werden in den Betrieben die Personalkosten gedrückt, doch die Nachfrage nach Arbeitskräften bleibt hoch - und wird weiter wachsen. Es brauche deshalb alle Kräfte, um Ältere länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten, betont Arbeitsminister Martin Kocher im SN-Gespräch. Und man müsse sich noch besser auf weibliche Arbeitskräfte einstellen, "es werden viele länger bleiben".
Der bisher stabile Arbeitsmarkt scheint zu bröckeln, Betriebe beginnen, Personal abzubauen. Wie schlimm wird es noch? Martin Kocher: Wir haben derzeit leicht über 19.000 Menschen mehr in der Arbeitslosigkeit als vor einem Jahr und eine Arbeitslosenquote von 6,3 statt 6 Prozent im Vorjahr. Das ist immer noch die geringste seit 2012. Aber ja, wir haben eine Phase, in der sich die Unternehmen aufgrund der Kostenstruktur schwertun, und es gibt einen Nachholeffekt bei Insolvenzen aus der Coronapandemie. Wir haben Betriebe, die es über diese schwierige Phase geschafft haben, aber jetzt nicht erfolgreich sind und schließen.
Wie lange wird die schwierige Phase andauern? Im Moment ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit relativ gering. Es gibt immer noch viele offene Stellen und wenn Menschen ihren Job verlieren, finden sie doch meistens sehr rasch eine neue Stelle. Wir haben immer noch mehr offene Stellen beim AMS gemeldet als 2019, als die Konjunktur sehr gut war. Der Arbeitsmarkt ist noch aufnahmefähig, aber nächstes Jahr muss Dynamik in die Wirtschaft kommen, sonst wird es auch größere Effekte auf dem Arbeitsmarkt geben. Wenn es keinen Aufschwung gibt - der uns aber vorhergesagt wird -, dann wird es schwieriger.
Eine AMS-Studie hat gezeigt, dass ältere Jobsuchende nach wie vor kaum zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden. Offenbar kann man auf sie verzichten. Ganz und gar nicht. Wir müssen angesichts des hohen Bedarfs an Arbeitskräften alle Hebel in Bewegung setzen, um Ältere länger am Arbeitsmarkt zu halten. Das am Dienstag präsentierte Paket ist ein wichtiger erster Schritt. Es gibt auch eine AMS-Kampagne, um Betriebe zu unterstützen, die richtigen Maßnahmen zu setzen. Im Moment sehen wir, dass die Arbeitslosigkeit bei Älteren im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist. Aber es braucht noch mehr insgesamt noch mehr Anstrengung, um Ältere am Arbeitsmarkt zu halten.
Sind Sie für eine Anhebung des Pensionsalters auf 67? Nein, im Moment muss unser Ziel sein, dass alle gesund bis zum Pensionsantrittsalter arbeiten können - und wenn sie wollen auch darüber hinaus. Wir haben in den nächsten Jahren mit der schrittweisen Anhebung des Frauenpensionsalters von 60 auf 65 eine nicht so leichte Aufgabe zu erfüllen. Das ist eine Anpassung, die man auf dem Arbeitsmarkt stark spüren wird. Es werden viele Frauen länger auf dem Arbeitsmarkt bleiben. Das AMS bereitet sich mit Qualifizierungsmöglichkeiten vor.
Apropos Frauen: Wie sieht es aus mit Ihrer Forderung nach mehr Voll- statt Teilzeit? Bewegt sich da etwas? Der Beschluss des Finanzausgleichs und die Ankündigung der Bundesregierung haben 4,5 Mrd. Euro für österreichweit 50.000 zusätzliche Kindergartenplätze gebracht. Notwendig wäre aber auch noch die weitere Entlastung des Faktors Arbeit, wo wir bereits erste Schritte gesetzt haben, um den Umstieg von Teil- auf Vollzeit attraktiver zu machen. Wenn in gewissen Bereichen bei 100 Euro mehr nur 30 bis 40 Euro netto rauskommen, sagen viele, das mache ich nicht. Es ist dann aber auch die Pension um vieles geringer.
Gerade Junge sagen: Eine Pension bekomme ich ohnehin nicht mehr. Das höre ich oft, aber es ist eine etwas kurzsichtige Herangehensweise. Irgendwann wird man doch älter und gerade die Frauenpensionen sind dann oft kleiner. Da der Hauptfaktor dafür Teilzeitarbeit ist, versuche ich das Bewusstsein dafür zu schaffen.
Wie wäre es mit einer Ganztagsschule, da wäre man doch alle Probleme los - Betreuung für die Kinder und Ansporn zur Vollzeitarbeit? Ziel muss aus Arbeitsmarktsicht sein, dass es aus öffentlicher Hand die Möglichkeit von Kinderbetreuung über den Arbeitstag hinweg gibt. Auch dann gibt es immer noch Randzeiten, die schwierig abzudecken sind.
Wie groß ist aktuell noch der Mangel an Fachkräften? Im Moment etwas weniger als noch vor einem Jahr, aber wir dürfen nicht den Fehler machen, daraus auf die Zukunft zu schließen. Die Demografie zeigt, dass es mittelfristig in den kommenden Jahren mehr Pensionierungen als Zutritte auf den Arbeitsmarkt geben wird. 1963 war der geburtenstärkste Jahrgang, die Jahrgänge, aktuell auf den Arbeitsmarkt kommen, sind 30.000 bis 40.000 Menschen kleiner als damals.
Zuletzt hat Österreich mit den Philippinen ein Abkommen für ein leichteres Anwerben von Fachkräften unterschrieben. Wo streckt man noch seine Fühler aus? Wir haben sechs Staaten für den Fachkräftezuzug definiert: Albanien, Brasilien, Indonesien, Kosovo, Nordmazedonien und die Philippinen. Mit Indien gibt es einen Migrationsvertrag. Es geht darum, in diesen Ländern Strukturen zu schaffen, um relativ rasch und einfach einen Arbeitsplatz in Österreich antreten zu können. Im Moment ist im Pflegebereich der Bedarf an Beschäftigten extrem hoch, es gibt in diesem Bereich keine konjunkturellen Auswirkungen. Was die allgemeine Beschäftigung betrifft, gibt es auch im Inland noch Luft nach oben. Österreich hat eine Erwerbsquote von 77,5 Prozent, das ist im EU-Vergleich relativ hoch. Aber andere Länder, etwa im Norden, haben über 80 Prozent - die schaffen es noch besser, Ältere im Erwerbsleben zu halten oder Jugendliche rasch auszubilden.
Welchen Berufsweg würde Martin Kocher jetzt einschlagen, wäre er noch jung? Ich bin mit meiner Berufswahl als Wirtschaftswissenschafter sehr zufrieden, aber ich habe mich als Jugendlicher auch sehr für Technik interessiert. Also, wenn was anderes, dann Physik.
Martin Kocher (50) studierte Volkswirtschaftslehre, von 2016 bis 2021 war er Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien, seit 2022 ist er Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft. Aufgewachsen ist er in Altenmarkt.