Sich von Insekten ernähren? Auf den ersten Blick mag die Idee befremdlich anmuten. Zumindest in unseren Breiten grenzt das Verzehren von Insekten an ein Tabu. Das heißt aber keineswegs, dass es nicht in den menschlichen Ernährungsplan passen würde.
Die Zurückhaltung beim Appetit auf Insekten gilt vor allem für unsere mitteleuropäische Gegenwart. In anderen Teilen der Welt ist das nichts Ungewöhnliches. Insgesamt stehen Insekten für zwei bis drei Milliarden Menschen auf dem Speisezettel, auch als Delikatesse. In Südamerika, Asien, Afrika und Australien landen Insekten auf dem Teller, meist gebraten oder gegrillt.
Man muss aber gar nicht in die Ferne schweifen. "Auch bei uns hat man früher Maikäfersuppe gemacht", sagt Professor Simon Berner, der am Grazer Joanneum zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen und Proteingewinnung forscht. Ein Arbeitsschwerpunkt ist Entomophagie - der Fachbegriff für den Verzehr von Insekten.
Maikäfer und andere 1900 Insektensorten zum Essen
Maikäfersuppe erinnert an Krebssuppe, weiß Berner. Sie wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich gegessen. Rezepte dafür finden sich heute im Internet. "Man nehme 40 Stück Maikäfer, befreie sie von Flügeln und Beinen und zerstoße sie im Mörser", lautet die erste Anweisung. Sonst braucht es nicht viel, einen Liter Suppenbrühe, etwas Butter, Mehl, Salz und Pfeffer - fertig.
Aber es muss nicht immer Maikäfer sein. Mehrere Hundert Arten von Insekten eignen sich zum Essen, Wissenschafter listen an die 1900 Sorten auf. Als am besten geeignet haben sich für Pionier-Unternehmen wie Zirp in Wien oder Snack-Insects aus Norddeutschland bisher Heuschrecken, Mehl- und Buffalowürmer sowie Grillen erwiesen. Sie sind auch von der EU als Lebensmittel zugelassen.
Die Argumente für eine Ernährung mit Insekten sind bestechend. Sie sind reich an Proteinen und enthalten ungesättigte Fettsäuren, Ballast- und Mineralstoffe. Dieses tierische Eiweiß lasse sich wesentlich effizienter herstellen als Fleisch von Kuh, Schwein oder Geflügel, sagt Lebensmittelforscher Henry Jäger von der Universität für Bodenkultur in Wien. "Insekten haben einen viel geringeren Platzanspruch und sind beim Futter robuster und effizienter als andere Nutztiere."
Auch beim Tierwohl schneiden Insekten klar besser ab. Die Haltung auf engem Raum scheint für Schwarmtiere kein Problem - man denke an Ameisenhaufen und die biblische Plage Heuschreckenschwärme. Die Tötung gestaltet sich vergleichsweise einfach und unblutig. Mit kühleren Außentemperaturen nehmen die Körperfunktionen ab, ab etwa minus 18 Grad erlöschen auch die übrigen Lebensgeister.
Nachhaltigkeit: "Insekten können wichtiger Puzzlestein sein"
Durch Ernährung mit Insekten ließe sich die Protein-Lücke füllen, also die Versorgung einer stets wachsenden Weltbevölkerung mit Eiweiß. "Insekten könnten in einer nachhaltigen künftigen Welt ein wichtiger Puzzlestein sein", sagt Experte Berner. Nicht als Einzelmaßnahme, aber als wesentlicher Teil eines optimierten Gesamtsystems.
Was dem verstärkten Einsatz von Insekten als Lebensmittel im Wege steht, ist der Ekel. Ambitionierte Jungunternehmer bewerben ihre Produkte genau damit. Snack-Insects bietet "tierischen Genuss für mutige Zungen" an, darunter "Insektenlutscher" und "Dschungelade", Vollmilchschokolade mit gerösteten Mehlwürmern. Ein Kochbuch wurde erarbeitet, angeboten werden auch Kochkurse und Anleitungen über Onlinevideos.
Seit 2017 leistet Zirp in Österreich Pionierarbeit, angeboten werden unterschiedliche Lebensmittel mit Insekten, vor allem online, im Lebensmitteleinzelhandel und ausgewählten Geschäften. Ziel sei es, "Insekten in ganz unterschiedlichen, gesunden und schmackhaften Lebensmitteln in den alltäglichen Speiseplan zu integrieren", sagt Gründer Christoph Thomann. Einen Beitrag dazu leisten soll der "Eat for Future Burger". Dessen Fleischeinlage - das faschierte Patty - besteht aus vegetarischen Zutaten und zu 38 Prozent aus verarbeitetem Mehlwürmermehl.
Aber trotz guter Argumente und großen Engagements der Anbieter scheint das neue Segment nicht so recht in Fahrt zu kommen. Zumindest nicht, was den direkten Verzehr von Insekten betrifft. Während es bei der Beimischung als Mehl oder als Tierfutter gute Akzeptanz gibt, lässt der Verkauf gegrillter Heuschrecken oder Mehlwürmer durch die Kunden zu wünschen übrig.
Nachfrage nach Mehlwürmern zu gering
Nach ersten Versuchen wurden Angebote in österreichischen Merkur-Märkten wieder aus dem Regal genommen. Offenbar war die Nachfrage zu gering, auch der Hunger nach Neuem hielt sich bei den Kunden in Grenzen. Andere haben diesen Schritt gar nicht erst riskiert. Bei Spar etwa heißt es, man habe sich nach ersten Verkostungen mit Insekten gegen ein Angebot im Sortiment entschieden. "Das ist nicht massenfähig, zumindest derzeit noch nicht", heißt es dazu.
Auch bei der weltweit aktiven Fast-Food-Kette McDonald's, die für aktuelle Ernährungstrends junger Menschen ein offenes Ohr hat, steht man dem Thema reserviert gegenüber. Aktuell würden keine Produkte aus Insekten angeboten, heißt es. Auch der berühmte "Insektenburger" sei kein Thema.
Dabei zählt gerade dieses Produkt zum Hoffnungsgebiet für die Anbieter von Lebensmitteln auf Insektenbasis. Denn technisch ist es kein Problem, das Fleischstück in einem Burger statt aus Rindfleisch aus Insekten herzustellen. Dabei ist McDonald's sehr wohl bereit, in Sachen nachhaltiger Ernährung neue Wege zu gehen. So konzentriert man sich auf einen "McPlant Patty", einen Fleischersatz auf Erbsenbasis. Nach Insektenprodukten orte man derzeit aber keine Nachfrage.
"Um ein Insekten-Patty anzubieten, müsste die Akzeptanz bei den Österreicher:innen für diese Art von Fleischersatz noch deutlich steigen", heißt es. Auch ein kurzzeitiger Gag sei auszuschließen, "dafür würde zu viel Aufwand bzw. Entwicklungsarbeit im Hintergrund stecken".
Wer jetzt möglicherweise auf den Geschmack gekommen ist, sei aber gewarnt. Man sollte nur Insekten verspeisen, die unter geeigneten hygienischen Bedingungen für diesen Zweck gezüchtet wurden. Tiere aus freier Wildbahn könnten sich aus zweifelhaften Quellen ernähren und von Parasiten befallen sein. Außerdem wäre es nicht nachhaltig, durch ihren Verzehr das Insektensterben weiter zu beschleunigen.