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Uniqa-Chef über Hochwasseropfer als Bittsteller: "Ein unwürdiges Schauspiel, für das ich null Verständnis habe"

Uniqa-Chef Andreas Brandstetter hält es für unerträglich, dass Hochwasseropfer zu Bittstellern gemacht werden. Er arbeitet daran, das zu ändern.

Uniqa-Chef Andreas Brandstetter im SN-Interview.
Uniqa-Chef Andreas Brandstetter im SN-Interview.

Das Nein der Politik zu einer Versicherung gegen Naturkatastrophen sei nur ein Beispiel für die Unwilligkeit, nötige Reformen anzugehen.

Es ist das bekannte Spiel nach einer Hochwasserkatastrophe. Die Politik stellt über den Katastrophenfonds Hilfe in Aussicht - der aber nur Teile der Schäden abdeckt. Ärgert Sie das, zumal die Versicherer seit vielen Jahren sagen, es ginge auch anders? Andreas Brandstetter: Als jemand, der aus der betroffenen Region im Kamptal stammt und das Leid der Menschen dort mitbekommt, ist es schwer, die Emotionen unter Kontrolle zu bekommen. Aber wir sehen hier nur ein Symptom der Reformunwilligkeit der Politik - wir könnten auch über Bildung, Migration, die alternde Gesellschaft, das Gesundheitssystem sprechen, oder so wie jetzt eben über die Vorsorge vor Naturkatastrophen.

Was wäre da zu tun? Seit Jahrzehnten warnt die Versicherungswirtschaft vor der Zunahme solcher Ereignisse, die werden, wo auch immer in Österreich, häufiger werden. Laut Swiss Re liegt unser Land bei den Schäden aus Naturkatastrophen gemessen am Bruttoinlandsprodukt weltweit an vierter Stelle. Vor 20 Jahren machten die Schäden aus Naturkatastrophen in Österreich 300 bis 400 Mill. Euro im Jahr aus, wir sind jetzt bei deutlich über 1 Mrd. Euro - heuer noch nicht mitgerechnet. Wir schlagen der Politik seit Jahrzehnten ein Modell vor, das sich in anderen Ländern, etwa in Belgien, bewährt hat. Damit könnten wir Menschen aus der Position von Almosenempfängern zu Partnern eines rechtsgültigen Vertrags mit einem automatischen Anspruch machen. Sie wären nicht mehr auf die Gnade eines Landeshauptmanns oder einer Landeshauptfrau angewiesen, die ihnen aus dem Katastrophenfonds 20 bis 30 Prozent des Schadens ersetzen. Das ist ein unwürdiges Schauspiel, für das ich null Verständnis habe. Um sieben, acht, neun Euro im Monat inkludiert in die Feuerversicherung gäbe es einen Rechtsanspruch auf 100 Prozent des Neuwerts.

Wieso geht die Politik darauf nicht ein? Ich denke viel darüber nach, wieso das so ist. Ich halte allen Politikern zugute, dass sie sich bemühen, und habe Respekt für alle, die sich politisch engagieren. Und die genannten Probleme sind komplex. Aber man kann sie lösen, wenn man will.

Wie also mit Risiken von Naturkatastrophen umgehen? Es geht wegen der Dimension nur über die große Zahl von Versicherten, daher unser Vorschlag mit der Feuerversicherung. Österreich wird auch künftig stark vom Klimawandel betroffen sein. Alle Modelle, die wir haben, zeigen das ganz klar. Und wir sagen der Politik seit Jahren, was auf uns zukommt, aber es wird negiert, und das macht zornig.

Wenn die Politik nicht einlenkt, werden die Risiken dann nicht mehr versicherbar? Ja, das ist so. Zumal wir auch steigende Preise an die Rückversicherer zu zahlen haben. Die beobachten ja, was in Österreich vorgeht. Wir werden die bevorstehenden Regierungsverhandlungen dafür nutzen, um noch einmal unsere Vorschläge auf den Tisch zu legen. Vielleicht ist das, was wir gerade erleben, der Weckruf, der nötig war, um die politisch Verantwortlichen aus ihrer Komfortzone zu locken.

Sie betonen, dass Versicherer bereit sind, viel Geld in den Kampf gegen den Klimawandel zu stecken. Wie ist die Resonanz? Wir haben das mit der Regierung diskutiert. 100 Mrd. Euro verwalten allein die Versicherer in Österreich, in ganz Europa sind es 11 Billionen Euro. Es ist entscheidend, wo wir investieren, und es wird auch in Europa darüber entscheiden, ob die grüne Transformation gelingt. Man könnte das mit der privaten Altersvorsorge verknüpfen. Österreichs Haushalte verfügen über 850 Mrd. Euro Geldvermögen. Wir haben angeboten, im Gegenzug für eine Befreiung von der Versicherungssteuer, die jene, die privat vorsorgen, entlasten würde, verpflichtend einen Gutteil in grüne Assets zu investieren. Wir sind damit gescheitert. Es scheitert aber auch daran, dass die Genehmigungsverfahren für den Ausbau alternativer Energien in Österreich und Europa zu lange dauern. Das wäre eine Win-win-Situation, weil man nicht nur etwas für das Klima tun könnte, sondern auch gegen die Altersarmut.

Was spricht dagegen? Uns Versicherern wirft man vor, wir wollten nur Geld verdienen. Ja, wir sind keine NGOs. Wir müssen Geld verdienen, um Aktionäre, die uns ihr Kapital anvertraut haben, von denen die meisten in Österreich und Europa sitzen, eine faire Rendite zu zahlen. Die Uniqa hat 15.000 Mitarbeitende, wir haben in den vergangenen Jahren jedes Jahr 2000 neu eingestellt, wir sind auch ein sicherer Arbeitgeber und wir betreuen 17 Millionen Kunden.

Entsteht damit nicht ein Zwei-Klassen-System von Pensionisten, weil sich nicht alle eine private Vorsorge leisten können? Wir stellen nicht die Relevanz des staatlichen Pensionssystems infrage. Aber wir werden alle älter, daher muss man das Pensionsalter erhöhen. Aber das ist eine heilige Kuh in diesem Land, die niemand angreift. 1950 kamen auf einen Pensionisten sechs Erwerbstätige, jetzt sind wir bei eins zu drei, 2040 werden es nur noch zwei sein. Das wird schwer zu finanzieren sein. Wir wollen nur, dass Private die Möglichkeit haben sollen, zusätzlich vorzusorgen, da geht es für junge Menschen um 20 bis 30 Euro im Monat.

Kann man Junge dafür gewinnen? Die Gegenthese ist ja, dass viele von der Zukunft wenig erwarten, daher nicht vorsorgen, sondern ihr Leben jetzt genießen - mit weniger Arbeit und weniger Geld. Ich bin und bleibe ein Optimist, ich glaube auch an eine gute Zukunft in Österreich und Europa. Aber es geht auch um Leistungsbereitschaft, wir haben völlig verlernt, das anzusprechen, ich vermisse auch in der Politik den Mut dazu. Die Unternehmen müssen sich auf dem freien Markt behaupten, gegen weltweite Konkurrenz. Wir sind für jede Form des flexiblen Arbeitens offen, viele arbeiten bei uns am Montag, Freitag oder anderen Tagen im Homeoffice, die Produktivität sinkt dadurch nicht. Jeder und jede soll die Work-Life-Balance für sich festlegen können. Aber wird klar kommuniziert, was das später für die Pension heißt? Wird gefragt, wer Verantwortung für dieses Land trägt? Das fehlt mir in der Politik.

Noch lauter ist der Vorwurf des Zwei-Klassen-Systems bei der privaten Krankenversicherung. Was sagen Sie? Österreich gab im Vorjahr 52 Mrd. Euro für Gesundheit aus, öffentliche Hand und Private zusammen. Zwei Prozent gingen in die Prävention, 98 Prozent in Reparatur. Laut OECD gibt Österreich für Prävention und Primärversorgung deutlich weniger aus als der Durchschnitt der OECD-Länder, aber die Relation zwischen Ausgaben und Gesundheit der Bevölkerung ist besonders schlecht. Die private Krankenversicherung - die Uniqa hat 44 Prozent Marktanteil - versteht sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum öffentlichen System.

Inwiefern? Ein Beispiel. Wir haben in der Pandemie Eingriffe in unseren Spitälern übernommen, weil öffentliche Krankenhäuser die Betten für Coronafälle frei halten wollten. Da gab es den Schulterschluss zwischen dem öffentlichen System und den Privatversicherern.

Was auch übersehen wird: Jeder Patient, der in unseren Spitälern liegt, hilft der öffentlichen Hand zu sparen, weil die Sozialversicherung den privaten Krankenhäusern geringere Kostensätze zahlt als den öffentlichen. Wir erhalten auch keine Steuermittel. Auch der Vorwurf, das könnten sich nur Reiche und Millionäre leisten, ist falsch. Denn in Österreich gibt es gut 3,5 Millionen privat Krankenversicherte - und die Nachfrage steigt weiter. Uniqa wird daher auch weiter in medizinische Infrastruktur und in das Angebot für Betreuung zu Hause investieren.

Wie passt das dazu, dass gleichzeitig seit der Pandemie und der hohen Inflation viele erwarten, dass der Staat für jede erlittene Unbill aufkommt? Diese Vollkaskomentalität bereitet mir Kopfzerbrechen. Meine These ist, dass die Menschen die Wahrheit vertragen, das sage ich als Manager und Familienvater. Diese Ehrlichkeit fehlt bei uns - und leider auch in vielen Ländern Europas, das schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit.

Uniqa ist in vielen Ländern Osteuropas tätig. Gibt es diese Einstellung dort auch? Nein, aufgrund der Geschichte sind dort die Resilienz und auch die Leistungsbereitschaft höher. Da ist der Westen eindeutig im Nachteil.

Sie haben Ihre Karriere in der Politik begonnen. War das Zufall, dass Sie in der Wirtschaft gelandet sind, oder eine bewusste Entscheidung? Damals war es zufällig, weil mein damaliger Chef Erhard Busek als ÖVP-Obmann abgelöst wurde. Ich war von ihm als Person fasziniert und daher habe ich das Angebot, in die Wirtschaft zu gehen, angenommen. Heute bin ich dankbar dafür.

Was vermissen Sie in der Politik am meisten? Mir fehlt der Gestaltungswille, der Mut und auch die Vision für dieses Land. Und mir fehlt in der Politik die Leidenschaft, dieses Land, das so viel zu bieten hat, dahin bringen zu wollen, wo es hingehört.

Andreas Brandstetter (55):Der studierte Politikwissenschafter ist seit 1997 in der Uniqa tätig und seit Juli 2011 Vorstandschef der Uniqa Group.

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