Von den Maya zu Gerda Rogers: Wenn Menschen auf die Sterne blicken
Der Blick nach oben. Seit jeher sucht die Menschheit in den Sternen Sicherheit, Orientierung und Lebenshilfe. Und das nicht nur in Europa. Ein Blick auf die anderen Himmels-Suchenden ist spannend und horizonterweiternd. Übrigens: Auch Kepler erstellte Horoskope.
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Komplex und wunderschön: Die Himmelsscheibe der Maya.
Wir schreiben den Tag 13 Oc 13 Kankin 13.0.12.3.10. Oder anders gesagt, den 28. Dezember 2024. Kompliziert? Vielleicht für uns, aber ein Kinderspiel für ein Mitglied des Maya-Volkes. Der alte Kalender dieser mittelamerikanischen Kultur besteht eigentlich aus zwei Kalendern, Haab und Tzolkin, der eine für die Zählung der Tage, der andere als ritueller Kalender für die Festtage. Die beiden laufen wie Zahnräder ineinander, 52 Jahre dauert eine solche "Kalenderrunde". In der "langen Zählung" für längere Zeiträume werden zusätzlich die Tage seit der Schöpfung durchgezählt. Das ergibt eine Zahlenwurst. Und die muss man erst einmal aufdröseln, um das genaue Datum zu erhalten. Übrigens: Der von Esoterikern befürchtete Weltuntergang im Jahre 2012, als der Maya-Kalender "ausgelaufen" schien, war nichts anderes als das Ende eines 144.000 Tage währenden Zyklus, Baktun genannt, und der Beginn eines neuen.
Seit Jahrtausenden orientiert sich die Menschheit an der Bewegung der Himmelskörper - und macht daraus Kalender. Diese Maßsysteme setzen - mit Ausnahme eben des Maya-Kalenders - auf zwei Protagonisten: Sonne und Mond. Reine Mondkalender sind etwa der jüdische und der islamische, bei Letzterem zeigt sich das durch die Verschiebung des Fastenmonats Ramadan in jedem Jahr.
Das lunisolare System, also die Kombination aus Sonne und Mond, war schon in Mesopotamien gebräuchlich, hierzulande diente es im Mittelalter vornehmlich zur Berechnung des Ostertermins - immerhin das höchste Fest im Kirchenjahr. Erst 1582 ist der von den Römern überlieferte julianische Kalender unter Papst Gregor XIII. in Sachen Schaltjahr korrigiert und von den katholischen Habsburgern auch sofort übernommen worden. Als gregorianischer Kalender hat er sich seither weltweit durchgesetzt.
Wir schauen gerne nach oben, bewundern am Nachthimmel die scheinbar unzähligen kleinen und größeren Lichtpunkte - aus romantischen, aber auch ganz praktischen Gründen. Denn neben Sonne und Mond stehen auch seit jeher die Sterne und Planeten unter steter Beobachtung. Schon lange vor Bethlehem sind Sterne Wegweiser. Im alten Ägypten spielte der Blick zum Himmel sogar eine existenzielle Rolle. "Der Sirius etwa zeigt die Nilflut an, gibt an, wann und wie viel Wasser zu erwarten ist", sagt Joachim Eckl. Das sei essenziell gewesen für alles Leben entlang des großen Flusses.
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Künstler und Ägypten-Experte: Joachim Eckl.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Mühlviertler Künstler mit Wasser, Flüssen, Philosophie und - Ägypten. Wer mit ihm durch die ägyptische Sammlung im Kunsthistorischen Museum spaziert, entdeckt allerorts "himmlische" Hinweise. "In allen Grabanlagen sind immer Sterne an der Decke." Auf dem Deckel eines ptolemäischen Sarkophags prangt die Göttin Nut. In ihr sah man das Himmelsgewölbe. "Sie verschluckt am Abend die Sonne, diese reist durch ihren Körper und wird am Morgen dann gestärkt und verjüngt wieder geboren." - Der Sonnenaufgang als ergreifender Moment und auch Richtpunkt für Architektur.
Joachim Eckl vergleicht das durch Beobachtung und Mathematik entstandene naturwissenschaftliche Verständnis mit der emotionalen Ergriffenheit zu bestimmten Augenblicken wie Sonnenuntergängen und bei der Betrachtung von mythischen Bildern. "Das war und ist noch immer viel wichtiger für den Menschen als das, was rational im Kopf passiert", sagt der 62-Jährige, der immer wieder Kunstprojekte und Reisen in Ägypten leitet. Auch bei einem Holzsarkophag aus dem Mittleren Reich prangen Sterne auf dem Deckel, darunter der Stierschenkel als Symbol für den Großen Wagen. 720 Gottheiten gibt es, jede wird mit einem Stern verbunden.
Die Beobachtung der Himmelskörper ist zur eigenen Wissenschaft geworden - und gibt trotz aller Erkenntnisse den Menschen immer noch Rätsel auf. Planeten haben eine Eigenbewegung vor dem Sternenhintergrund, sie machen Schleifenbewegungen: Das zu erklären und zu berechnen sei seit den Babyloniern ein Hauptproblem, sagt Doris Vickers. Die Altphilologin an der Uni Wien hat sich auf Astronomie, genauer gesagt Kulturastronomie spezialisiert. Sie erkundet, wie unterschiedliche Kulturen sich die Astronomie "einverleiben", von Deutungen bis hin zur bewusst an den Sternen orientierten Ausrichtung von Bauwerken, von Stonehenge bis zum Stephansdom.
Alles dreht sich rund um die Sonne
Wie aber Ordnung in diese Fülle bringen, wie ein System entwerfen? Um mit den Planeten zurechtzukommen, half erst einmal die Geozentrik - die Erde als angenommener Mittelpunkt des ganzen himmlischen Treibens. Damit behalf sich erfolgreich der griechische Astronom Ptolemäus in Alexandria, und es dauerte viele Jahrhunderte, bis Astronomen wie Nikolaus Kopernikus und dann Johannes Kepler durch die Erkenntnis der Ellipsenbahnen die Erde - und andere Planeten - um die Sonne kreisen ließen.
Nicht dass man den Herren Wissenschaftern das gleich geglaubt hätte, wie soll denn das gehen, die schwere Erde tanzt durchs Weltall, also bitte. Rund 150 Jahre habe das gedauert, sagt Doris Vickers, bis sich das heliozentrische Weltbild durchgesetzt habe. Und auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
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Erstellte gelegentlich Horoskope: Johannes Kepler.
Was heute übrigens strikt getrennt wird, war bis zum 17. Jahrhundert eins: Astronomie und Astrologie. Vickers spricht hier lieber von Astromantik - der Fertigkeit, aus Planetenkonstellationen die Zukunft für König und Land vorauszusagen. "In der Zeit war Astrologie völlig normal, so wie auch Alchemie." Diese Prognosen waren riskant, man wollte sich's ja nicht mit den Geldgebern verscherzen. Dennoch erstellten auch renommierte Forscher wie Kepler gelegentlich Horoskope, um das karge Lehrergehalt aufzubessern. Verbrieft ist etwa Keplers Horoskop für den Feldherrn Wallenstein. Um auf Nummer sicher zu gehen, hielt er sich an den Rat seines Lehrers Michael Maestlin: Er solle stets ein Unheil voraussagen - irgendeines werde schon eintreffen. Ende des 19. Jahrhunderts dann kam die Alltagsastrologie für Individuen in Mode, wie wir sie heute noch kennen.
Sternbilder wie Stier und Wassermann, Planeten wie Jupiter und Venus, Sterne wie Sirius und Antares - wer gab eigentlich den Himmelskörpern und Konstellationen ihre Namen? Doris Vickers lächelt. Hier sind wir bei ihrer Herzensangelegenheit angelangt, dem "Ancient Sky Project" der Internationalen Astronomischen Union. "Unser Himmel ist sehr eurozentristisch." Der Nordhimmel ebenso wie der Südhimmel, der von den Seefahrern "bevölkert" wurde. Dabei erinnert die Entstehung der Sternnamen oft an das Spiel "stille Post".
Übersetzt, übersetzt und nochmal übersetzt
Die babylonischen Bezeichnungen werden von den Griechen übersetzt und teils neu erfunden, gelangen dann über Arabien - wo die griechischen Kataloge einfach übernommen und transkribiert wurden - mit einigen Ergänzungen nach Europa, direkt in die Schreibstuben der Mönche. Doch: Die können meist nicht Arabisch. Dort wird also fehlerhaft gelesen, falsch verstanden, man verschreibt sich … Vickers schmunzelt. "Jetzt versuchen wir, die Sternnamen zu rekonstruieren und auch teils die europäischen Sternnamen zu überlagern." Eine faszinierende Aufgabe, findet sie, und führt ein Beispiel an, das jetzt im Winter besonders schön zu sehen ist: "Beteigeuze ist der hellste Stern im Orion, der an dessen Schulter sitzt. Der Name aber ist eine Verballhornung von 'Bat al Jauze', das heißt 'Schulter des Riesen' auf Arabisch."
Die Navigation nach den Sternen wird heute noch in der Marine und wurde bis in die 1980er-Jahre in der Luftfahrt unterrichtet. Voraussetzung ist: eine runde Erde. Deren Existenz hatte schon Aristoteles im antiken Hellas anhand des Schattens der Mondfinsternis schlüssig bewiesen. Auch im Mittelalter war dies sonnenklar, die großen Seefahrer und Entdecker wie Christoph Kolumbus hatten nie daran gezweifelt. Kolumbus wähnte sich nach der ersten Überfahrt bereits in Indien, denn er war zwar den Sternen richtig gefolgt, hatte sich aber in der Größe der Erdkugel verschätzt.
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Altphilologin und Kulturastronomin Doris Vickers.
Die Mär von der Erde als Scheibe ist das Werk eines späteren Kolumbus-Biografen, der so seinen Protagonisten noch deutlicher feiern wollte. Diese frühe Form von "Fake News" findet interessanterweise bis heute Anhänger.
Dass noch so viel Wissenswertes im Dunkel der Geschichte und des Weltalls liegt, ist der 45-jährigen Kulturastronomin freudig bewusst. Etwa die rätselhafte Himmelsscheibe von Nebra, die älteste uns bekannte Darstellung des Himmels. "Das ist vielleicht ein Nischenthema, aber kulturhistorisch so relevant und spannend."
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Hironui Johann Bouit unterrichtet in ganz Polynesien vergleichende Kulturwissenschaft.
Das Entdecken und Deuten der Himmelskörper und ihrer Bewegungen ist ein gemeinsames Erbe der Menschheit - hier wie auch auf der gegenüberliegenden Seite des Erdballs. Johann Hironui Bouit etwa ist in viele Projekte weltweit involviert, sein Herzblut jedoch gehört der polynesischen Kultur. Geboren auf Hawaii, aufgewachsen auf Tahiti, unterrichtet er in Unis und Schulen die Sicht seines Volkes auf All und Zeit. "Um diese zu verstehen, musst du auf die Sterne schauen. Sie markieren die Jahreszeiten." Wenn bei Sonnenuntergang rund um den 20. November etwa das Gestirn "Matari'i" - der tahitianische Name der Plejaden - im Osten aufgeht, beginnt die Zeit des Regens, des Überflusses, der reichen Ernten. Dann wird gefeiert und der Ahnen gedacht. Rund um den 20. Mai ist Schluss mit lustig, der Fischhaken "Te matau" erhebt sich am Horizont: Antares, der hellste Stern im Skorpion. Zeit, um zur See zu fahren, zu lernen, Krieg zu führen.
30 Mondphasen zählt die polynesische Astronomie. "Jede sagt uns, was zu tun ist. In Landwirtschaft und Fischerei, aber auch, wann es Zeit ist, die Haare zu schneiden oder Kinder zu bekommen. Das ist unser Almanach", sagt der 53-Jährige. Ähnlich also unserem bäuerlichen Mondkalender. Und wie in Europa sind auch die Kultstätten in Tahiti, die "Marae", nach den Himmelskörpern ausgerichtet.
Antares ist in dieser Denkwelt einer der zehn Himmelspfeiler, die Gott Taaroa errichtet hat. Die Milchstraße ist ein großer Fluss, in dem sich die Sterne Altair, Deneb und Wega als Hai, Vogel und König bewegen - präzise Bestimmungen mit fantasievollen Namen. Ihre genauen, astronomischen Kenntnisse haben den Polynesiern ermöglicht, in hochseetauglichen Kanus den Pazifik zu erschließen.
Auch Hironui Bouit hat in einem traditionellen Zwei-Rumpf-Kanu, dem "Va'a Taurua", den Pazifik befahren, von Tahiti bis Hawaii, Galapagos und Neuseeland. "Wir waren drei Jahre unterwegs." Navigiert wurde - nach den Sternen.