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Luftschutzstollen in Salzburg: Vergessene Retter des Zweiten Weltkriegs

Der Zweite Weltkrieg machte auch vor Salzburg nicht halt. Zahlreiche ehemalige Luftschutzstollen existieren auch heute noch.

Etwa 700 Arbeiter waren ab Sommer 1943 mit der Errichtung von Luftschutzstollen in den Salzburger Stadtbergen beschäftigt.
Etwa 700 Arbeiter waren ab Sommer 1943 mit der Errichtung von Luftschutzstollen in den Salzburger Stadtbergen beschäftigt.

Sie waren für Unzählige rettender Zufluchtsort und bewahrten wahrscheinlich Tausende Menschen vor dem Tod. Die Luftschutzstollen in den Stadtbergen waren praktisch der einzig sichere Ort gegen Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg. Heute, Jahrzehnte später, sind die weitverzweigten Stollensysteme nicht mehr im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Nach dem Ende des Kriegs hatten sie ihre Funktion verloren, sie wurden teils vermauert, teils als Lagerräume verwendet. Ein Teil der Mönchsberg- und Kapuzinerbergstollen ging im Bau von Parkgaragen auf.

Manch einem Salzburger ist vielleicht noch die Champignonzucht am Stollenanfang in der Nonntaler Hauptstraße ein Begriff, andere kennen Stollenabschnitte als urige Gastronomiebetriebe (Toscaninihof, Leopoldskronstraße), und einigen sind ins Innere der Berge führende, durch Gittertüren versperrte Stolleneingänge bekannt. Im Großen und Ganzen jedoch legte sich mit dem zeitlichen Abstand der Mantel des Vergessens über dieses unselige Kapitel der Salzburger Geschichte.

Der Auftrag zum Bau öffentlicher Luftschutzbunker erfolgte über direkten Führerbefehl für ganz Deutschland erst ab 1943, als man merkte, dass die bisherigen Schutzräume nicht ausreichten. In den meisten Fällen war dabei an die Errichtung oberirdischer Großraumbunker gedacht. Salzburg dagegen war wegen seiner Stadtberge von der Natur begünstigt. Hier bot sich der Ausbau eines Luftschutzstollensystems geradezu an. Als Gauleiter und Reichsstatthalter Scheel von einem Gauleitertreffen aus Berlin zurückkehrte, richtete er am 24. Juni 1943 ein Rundschreiben an die Kreisleitungen und an die Polizeidirektion, worin er den raschen Ausbau bombensicherer Luftschutzräume forderte.

Riesiges Bauprojekt ab 1943

Mitte 1943 begann man in Salzburg also mit einem Bauprogramm riesigen Ausmaßes, das ohne die Heranziehung von Kriegsgefangenen gar nicht durchführbar gewesen wäre. Die technische Leitung des Unternehmens lag bei dem damals knapp 35-jährigen Diplomingenieur Hermann Fischer, der von Oberbürgermeister Giger dafür eingesetzt wurde. Die Vorgabe war enorm: Aufzeichnungen Fischers zufolge waren Luftschutzstollen für die gesamte Stadtbevölkerung geplant, also für etwa 80.000 Personen, ein Projekt, das zwar sehr weit gedieh, dessen Beendigung jedoch der Untergang des "Dritten Reichs" zuvorkam.

In den Monatsberichten des Stadtbaudirektors, die den Baufortschritt dokumentierten, sind 22 Stollen angeführt, die bis Kriegsende fertiggestellt bzw. im Bau befindlich waren.

Die Arbeiten wurden an mehrere Baufirmen (Bruck, Kiefer, Altmann, Heuberger u. a.) unter Heranziehung von Kriegsgefangenen, vornehmlich Russen und Franzosen, vergeben. Laufend wurden von der Stadt weitere Arbeitskräfte für den Stollenbau angefordert, gewerbliche, nicht landwirtschaftliche, inländische, ausländische, wen man bekommen konnte. Durchschnittlich waren im Stollenbau zwischen 500 und 700 Arbeitskräfte gleichzeitig tätig. Im März 1944 waren dies beispielsweise 321 Firmenbauarbeiter, 220 Kriegsgefangene, 60 Mann von der Wehrmacht, 28 Strafgefangene, dazu sieben Mann Gefangenenaufsicht. Die Arbeitszeit betrug 55 bis 60 Stunden, der Vortrieb geschah durch Sprengung und mit Presslufthämmern, die von stillgelegten Steinbrüchen ausgeliehen wurden. Der Antrieb der Kompressoren erfolgte elektrisch, da Rohöl oder Dieseltreibstoff für diese Zwecke nicht mehr zu haben waren.

Die ersten Stollen werden fertig

Bis Ende Oktober 1943 waren sieben Stollen fertig gemeldet, von denen fünf öffentlich zugänglich waren: beim Kaltenhauserkeller an der Müllner Hauptstraße, der Neutorstollen (Schaubergwerk) und die Stollen mit den Zugängen Glockengasse, Rainbergstraße und Augustinergasse. Laut Aufstellung boten sie zusammen 1960 (ohne Belüftung) bzw. 3332 Personen (mit Belüftung) Platz, Zahlen, die später wieder korrigiert wurden. Zusätzlich gab es noch einen fertigen Stollen an der Leopoldskronstraße für 1700 Personen der Wehrmacht sowie unter der auf dem Mönchsberg gelegenen Villa Warsberg des Gauleiters (135 Personen). Diese sieben Luftschutzstollen sind die einzigen, die tatsächlich fertiggestellt wurden, alle anderen, die später noch dazukamen, waren zwar benutzbar, der Ausbau jedoch nicht abgeschlossen.

Originalplan für einen der Luftschutzstollen im Zweiten Weltkrieg.
Originalplan für einen der Luftschutzstollen im Zweiten Weltkrieg.

Ende Oktober 1943 wurde der Stollendurchschlag vom Bürgerspital in die Riedenburg von der gesamten Salzburger NS-Prominenz unter Tage gefeiert. Gauleiter Scheel persönlich zündete den letzten Sprengschuss. Zu dieser Zeit bestand auch der Plan, das Neutor luftschutzmäßig auszubauen, was eine Abmauerung der beiden Tunneleingänge bedeutet hätte. Dem Plan wurde vor allem aus verkehrstechnischen Gründen eine Absage erteilt. Bis Jänner 1944 waren etwas mehr als 11.000 Stollenplätze geschaffen, Ende September 1944 standen zirka 33.000 Plätze zur Verfügung. "Die Bohrmaschinen ratterten Tag und Nacht und die Sprengungen erschütterten die Berge und die Nachbarschaft", beschreibt Emanuel Jenal, damals Stadtdirektor (Magistratsdirektor), in seinen Erinnerungen ein Detail des damaligen Alltagslebens.

Lokalaugenschein der SN im Imbergstollen im Kapuzinerberg.
Lokalaugenschein der SN im Imbergstollen im Kapuzinerberg.
Lokalaugenschein der SN im Imbergstollen im Kapuzinerberg.
Lokalaugenschein der SN im Imbergstollen im Kapuzinerberg.

Durch die Aushöhlung der Berge wurden große Mengen von Ausbruchmaterial zutage gefördert. Riesige Schutthalden füllten bald die Plätze vor dem Neutor, dem Festspielhaus und auf dem Kapitelplatz. Bis Februar 1944 fielen 20.000 Kubikmeter Ausbruchmaterial an. Insgesamt sind bei den Stollenbauten zirka 70.000 Kubikmeter an Schutt- und Gesteinsmassen aus den Bergen geräumt worden. Anfangs wurde das Material auf Lagerplätzen gestapelt, da man es zu einem späteren Zeitpunkt für den Straßenbau verwenden wollte. Als mit der Zeit doch zu viel Schutt und Gestein anfiel, wurde eine Entsorgungsmöglichkeit in die Salzach gesucht, was gar nicht einfach war. Der Vorschlag, das Material knapp oberhalb des Mozartstegs in die Salzach einzubringen, scheiterte am Einspruch von Gauleiter Scheel, weil dadurch der Rasen auf der Uferböschung (sic!) und die Alleebäume hätten Schaden nehmen können. Nach einem längeren wasser-rechtlichen Verfahren wurde Anfang Juli 1944 schließlich entschieden, 10.000 Kubikmeter Stollenaushub aus dem Mönchsberg oberhalb der Nonntaler Brücke in die Salzach einzubringen. Zu diesem Zweck wurde ein 800 Meter langes Feldbahngleis gelegt, den ein Lorenzug vulgo "Mozart-Express" befuhr. Weitere 2000 Kubikmeter wurden zwischen Müllner Steg und Lehener Brücke in die Salzach geschüttet.

Die Stollen waren einfach ausgestattet

Die Standardeinrichtung der Luftschutzstollen war denkbar einfach. Jeder Stollen war durch eine zweitürige Gasschleuse zu betreten und hatte zumindest zwei Ausgänge. Die Gänge und Stichkavernen besaßen Aborte, elektrische Beleuchtung und waren mit Sitzbänken ausgestattet, die jedoch nach Beginn der Luftangriffe bei Weitem nicht ausreichten. Leihweise wurden Sitzgelegenheiten verschiedener Firmen angeliefert, unter anderem von der Stieglbrauerei, die 149 Klappbänke für den Stollen Neutor bis auf Widerruf zur Verfügung stellte. Außerdem gingen die Menschen dazu über, sogenannte Luftschutz-Stockerl in die Stollen mitzunehmen.

Nach dem ersten Luftangriff im Oktober 1944 drängten sich bei Fliegeralarm bis zu 80.000 Menschen in den einfachst eingerichteten Stollen.
Nach dem ersten Luftangriff im Oktober 1944 drängten sich bei Fliegeralarm bis zu 80.000 Menschen in den einfachst eingerichteten Stollen.

Vorgesehen war in allen Stollen eine künstliche Belüftung, die Geräte dazu wurden jedoch nur teilweise geliefert und erwiesen sich in manchen Stollensystemen als zu wenig leistungsfähig. Wegen der später permanenten Überfüllung der Stollen trat trotz Belüftung Sauerstoffmangel ein, was zu Ohnmachtsanfällen eines Teils der Schutzsuchenden führte. Weiters waren in den Stollen Drahtfunk und Lautsprecher eingeleitet. Eigene Abteilungen waren für Schulklassen, Kleinkinder und kranke Personen vorgesehen.

Noch vor Eintritt des Ernstfalls mussten etliche Unklarheiten bezüglich der Stollenbenutzung geklärt werden. Wer durfte eigentlich den Stollen benützen, was durfte mitgenommen werden? Prinzipiell sollten die Stollen der Wohnbevölkerung der Umgebung zugänglich sein. Für Personen, die weiter entfernt wohnten (Außenbezirke) bzw. in deren Haus sich ein vorschriftsmäßiger Luftschutzraum befand, war die Benutzung der Stollen zunächst nicht vorgesehen. Vorrang sollten Frauen, Kinder, Alte und Gebrechliche haben, während "abwehrfähige" Männer einen Beobachtungsplatz außerhalb der Stollen einzunehmen hatten. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren mit einem Stollenverbot belegt.

Mitnehmen durfte man das stets griffbereite Luftschutzgepäck, jedoch nicht mit Koffern beladene Handwagen und anderes Großgepäck. Schließlich wurde doch die Mitnahme von Gepäcksstücken in beschränktem Umfang zugelassen, außerdem durften Mütter ihre Kleinkinder in Kinderwagen in den Stollen schieben. Die Mitnahme von Haustieren war nicht gestattet. So weit die Theorie. Der Ernstfall warf derartige Sandkastenspiele verständlicherweise zum Teil wieder über den Haufen.

Zum Autor: Dr. Harald Waitzbauer ist Historiker und Autor zahlreicher Publikationen und Beiträge zur Salzburger Landesgeschichte. Über die Luftschutzstollen und das Luftschutzsystem der Stadt Salzburg publizierte er Beiträge in "Bomben auf Salzburg. Die ,Gauhauptstadt' im ,Totalen Krieg'" (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg, Nr. 6).