Margit Hasenbichler schüttelt ihren nassen Regenschirm in der Vorhalle des Doms aus und klappt ihn zusammen. Dann geht sie durch das Portal und den Gang zwischen den Kirchenbänken entlang. Vor dem Altar biegt sie links ab und steigt die Stufen in die Krypta hinunter. Das Ziel der 62-Jährigen ist der Raum der Stille und Anbetung. Gläubige sollen hier in aller Ruhe das Allerheiligste Altarsakrament anbeten und sich mit ihren Gedanken zurückziehen können. Der verstorbene Erzbischof Eder beauftragte den Diözesanarchitekten Peter Schuh mit dem Bau. Hasenbichler öffnet die Tür mit dem künstlerisch gestalteten Glas. Dieses Werk und die Ausstattung der Kapelle, etwa die Glasmosaiken, hat der Kramsacher Glaskünstler Rudolf Gritsch gemacht. Die moderne Scheibenmonstranz hat der Wiener Goldschmied Florian Wagner geschaffen, nach einem Entwurf von Flavio Thonet. Innen in der Rundkapelle ist es hell - und still. Wer aus und ein geht, bemüht sich, so wenige Geräusche wie möglich zu machen. Hier kommt die Salzburgerin immer wieder her, wenn sie ein bisschen Abstand vom Trubel des Alltags braucht. Und wenn sie an ihren 2010 verstorbenen Mann denken will. Das kann sie zwar zu Hause auch, die Stimmung in der Krypta gibt ihr jedoch stets Zuversicht. Außerdem trifft sie hier Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben - oder ein stilles Gebet sprechen wollen. Man nickt sich freundlich zu und spricht vielleicht draußen auf dem Domplatz noch ein paar Worte miteinander. Mit ihrem Mann hat sie die Bischofskirche besucht, wann immer Kirchenfeste gefeiert wurden. "Vor allem die Prozessionen haben wir sehr geliebt und auch die Messen, bei denen der Domchor die Kirche zum Beben gebracht hat", sagt sie.
Totentanz und Stille toben im Bauch des Doms
Die Salzburger Domkrypta ist für viele Menschen ein ganz besonderer Ort der Ruhe.


Dass die Geschichte des Doms zu Salzburg als älteste Bischofskirche Österreichs schon knapp 1250 Jahre zurückreicht, sieht man ihm dank seiner kürzlich renovierten Fassade nicht an. In seinem Inneren spricht er allerdings eine andere Sprache und erzählt eine lange Geschichte. Spätestens unter der Erde, in der Krypta, wird offenbar, wie alt das Gotteshaus ist - und welche Bauphasen es durchlaufen hat. Das mittelalterliche System liegt unter der Erde des Residenzplatzes. Es ist in verschiedene Räume und Nischen aufgeteilt. Als der heutige Dom im 17. Jahrhundert entstand, wurde das Unterirdische zugeschüttet und zugemauert. Durch den Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg, der die Kuppel der Kirche einstürzen ließ, wurde die Gruft und der gesamte Boden unter der Kuppel zerstört.
Historisches Mauerwerk wurde in der Domkrypta freigelegt
Bei den Aufräumarbeiten kamen Fundamente und Mauerreste der Vorgängerbauten des barocken Doms zum Vorschein. Erst in den 1950er-Jahren haben Arbeiter bei den Grabungsarbeiten auf dem Residenzplatz die Chorkrypta des 1598 niedergerissenen spätromanischen Doms freigelegt. Sie geriet aber über die Jahre in Vergessenheit. Überlegungen, die Krypta des Vorgängerdomes mit der des heutigen zu verbinden, wurden schon lange gehegt, 2009 fanden die beiden Krypten mit einem Verbindungsgang durch das Außenfundament des barocken Doms zusammen. Über eine Treppe neben dem Altarraum gelangen Besucher nun hinein. Die Sanierung, die rund eine halbe Million Euro gekostet hat, haben Bundesdenkmalamt, Stadt und Land Salzburg sowie der Domkirchenfonds bezahlt.

In der Krypta warten weitere Ecken darauf, von Besuchern entdeckt zu werden. Etwa Grablege der Erzbischöfe, der Hauptzweck des unterirdisches Baus. Seit 1619 - in diesem Jahr starb der Bauherr des Doms, Fürsterzbischof Markus Sittikus von Hohenems - sind die Oberhirten mit wenigen Ausnahmen dort oder in den bereits vorhandenen Grüften bestattet worden. In die Grablege sind Teile der Kryptenanlage des Vorgängerbaus integriert. Bei den Instandsetzungsarbeiten der neueren Zeit wurde darauf geachtet, so viel historisches Mauerwerk wie möglich freizulegen und sichtbar zu machen. Säulenbasen und Wandvorlagen wurden ergraben. Zum Teil wurden diese alten Mauerreste in die Neuanlage einbezogen. In Nischen stehen die Särge mit den sterblichen Überresten etlicher Bischöfe.
Domschatz, Grabungsmuseum und Krypta bedeutend für Salzburg
Historische Mauern blitzen immer wieder aus den Wänden hervor. Sie gehören zu verschiedenen Epochen einer bewegten Geschichte des Gotteshauses. 774 hat der iro-schottische Abt und Bischof Virgil ihn erbaut. Das Fundament der christlichen Kirche war ein antiker Tempel. Immer wieder wüteten Brände und zerstörten das Gebäude 1598 dann endgültig. Bis 1628 dauerte es, bis er von dem oberitalienischen Architekten Santino Solari neu gebaut wurde. Damit war der Dom das Herzstück Salzburgs, das sich vor allem unter Erzbischof Wolf-Dietrich von Raitenau (1587-1612) vom kleinen mittelalterlichen Städtchen zum "deutschen Rom" gemausert hatte. Im Domschatz, dem Grabungsmuseum und der Krypta lässt sich die Bedeutung der Kathedrale erahnen, immerhin war der Reichsfürst einer der bedeutendsten Herrscher nördlich der Alpen und trug Titel wie "Primas Germaniae" und "Legat des Apostolischen Stuhls" - so wie es der Erzbischof auch heute noch tut.

Bevor Margit Hasenbichler die Krypta wieder verlässt, folgt sie den Schatten, die in einem anderen Raum über die Wände tanzen. "Vanitas" hat der französische Künstler Christian Boltanski seinen Totentanz genannt. Feine, kleine Figuren aus Metall werden von Kerzen angeleuchtet. Ihr Schattenspiel ist weitaus größer: Mit dem Flackern des Feuers bewegen sie sich über die Mauer. Die 62-Jährige blickt sich um und hört die Zeit verrinnen; dafür sorgen Töne, die leise durch die Luft surren. Dazu zieht ein Todesengel per Videobeamer seine Kreise. Angst hat sie nicht, wenn sie allein dort ist. Es ist ihr sogar lieber, als dauerndes Tuscheln oder das Klicken von Fotoapparaten zu hören. "Ich frage mich nur immer, wie oft am Tag die Dommesner laufen müssen, um die Teelichter hinter den Metallfiguren auszutauschen", sagt sie und wendet ihren Blick nach oben. Dort, an der Mauer des Doms, fällt Tageslicht in die Krypta. Es kommt vom Residenzplatz, in dessen Boden das Glasfenster eingelassen ist. Hasenbichler verbringt oft einen halben Vormittag in der Krypta. "Meine ,Vanitas' ist eine Parabel auf die Zeit", sagte Künstler Christian Boltanski bei der Präsentation seines Schattenspiels. Das Kunstwerk war das achte, das die Salzburg Foundation in der Altstadt zur Gänze privat finanziert und im öffentlichen Raum gezeigt hat.

Was es unter dem Dom noch zu sehen gibt, ist eine polygonale Gruftkammer mit Gedenksteinen zu Ehren der Bischöfe, die zwischen den Jahren 1653 (Paris Lodron) und 1771 (Sigismund von Schrattenbach) verstorben sind. In der Gruftkapelle hängt die Kopie eines romanischen Kruzifixes mit dem Korpus des gekreuzigten Jesus. Das originale Kunstwerk ist um 1240 entstanden, es befindet sich im Stift Seekirchen.
Infos:
Die Domkrypta ist Montag bis Samstag von 10:00 bis 17:00 Uhr und an Sonn- und kirchlichen Feiertagen von 13:00 bis 17:00 Uhr für Besucherinnen und Besucher geöffnet.
https://www.salzburger-dom.at/informationen/krypta
