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Kärcher, Klerus, Katakomben

Unter Salzburgs Sehenswürdigkeiten sticht eine Kuriosität heraus. Katakomben, die in die falsche Richtung gebaut wurden: nach oben statt nach unten. Das frühere Zwischenlager für Tote ist heute ein Ort für stimmungsvolle Feiern.

Hoch über dem Friedhof von St. Peter führt der Weg in die Katakomben.
Hoch über dem Friedhof von St. Peter führt der Weg in die Katakomben.

Mit einem Ruck zieht Klaus Bornhold den Hochdruckreiniger Marke Kärcher von Nannerl Mozarts Grabplatte weg. Jetzt kann man die morgendliche Ruhe wieder erahnen. Bornhold ist einer von 80 Angestellten, die für die 23 Mönche des Benediktinerklosters arbeiten. Nannerl Mozarts Geburtsjahr 1751 und das Sterbedatum 1829 hat ein Steinmetz in den Marmor gemeißelt. Komponist Johann Michael Haydn (1737-1806) ruht in derselben Gruft. Der Friedhofswärter brummt und rollt das Reinigungsgerät über den Boden. Er stellt es wenige Meter weiter ab, vor dem Eingang zu den Katakomben im Mönchsberg. Blätter und Äste, die er mit dem Wasserstrahl aus Spalten und Nischen geholt hat, sammelt er mit den Händen zusammen, dann trägt er die Abfälle auf den Kompost - bevor die ersten Besucher des Tages kommen.

In den Sommermonaten und im Advent tummeln sich Hunderte Besucherinnen und Besucher zwischen Kirche und Friedhof. Die wenigsten kommen, um die Gräber ihrer Angehörigen zu pflegen. Zu viel gibt es daneben zu sehen. Zu viel ist in Reiseführern beschrieben. Nannerls Gruft etwa. Dieser Anziehungspunkt für Salzburg-Reisende markiert den Eingang zu den Katakomben. Annähernd 1700 Jahre sind sie alt. Blicke zieht auch die Fassade im Felsen auf sich. Mit den Fenstern sieht es beinahe so aus, als hätten Handwerker ein Häuschen in das Konglomerat gehauen.

Hoch über dem Friedhof von St. Peter führt der Weg in die Katakomben.
Hoch über dem Friedhof von St. Peter führt der Weg in die Katakomben.

Die Benediktinermönche haben die Menschen nie gezählt, die Tag für Tag den St.-Peter-Bezirk besichtigen. Das erzählt Pater Andreas Lainer, als er die Treppen in die Katakomben hinaufsteigt. "Die Bezeichnung ist irreführend", erklärt der 50-Jährige. Er kommt nicht außer Atem, obwohl es steil ist. "Es gab hier weder frühchristliche Bestattungen noch dienten die Höhlen als Zufluchtsort während Verfolgungen." Der Name habe sich über die Zeit eingebürgert und nichts mit Gängen voller Bestattungen unter der Erde zu tun, wie er es aus Rom kenne.

Die als Katakomben bekannten Räume sind vielmehr die Einsiedelei des Klosters gewesen. Priester haben im Mönchsberg Unterschlupf gefunden, wenn sie Ruhe suchten. Was in den Höhlen im Berg überwiegend geschehen ist: Die Gruften und Nischen in den Wänden dienten als kühle Zwischenlager für Tote. Waren auf dem Friedhof alle Gräber belegt, haben Arbeiter die Leichname erst aus dem Felsen auf den Kirchhof umgebettet, wenn ein Liegeplatz frei geworden ist.

Der Klang von Andreas Lainers Schritten hallt durch den Tunnel. Hält der Salzburger inne, ist kaum ein Geräusch zu hören. Nur von dem Dach, das die Fassade schützen soll, tropft Regenwasser. Ansonsten Stille. Keine Touristen, die stapfen, reden, Fotos schießen. Sie sind morgens um acht Uhr noch nicht unterwegs.

Zwischen Nannerl Mozarts Grab und der Maximuskapelle ganz oben liegen 84 Stufen. 48 bis zur ersten Höhle, weitere 36 bis zur zweiten. Menschenhände haben sie in den Fels gehauen. Ihre Höhen schwanken. Manche nimmt der Benediktinerpater mit einem Schritt, bei manchen braucht er Schwung und stützt sich beim Steigen auf dem Oberschenkel ab. Trittsicherheit und festes Schuhwerk sind von Vorteil. Lainer: "Ich bin oft erstaunt, mit welchen Schuhen viele da hochkommen wollen. Es ist wie auf dem Berg. Ich wundere mich, was ich sogar hier in St. Peter so zu sehen bekomme. Flipflops und Stöckelschuhe sind dem Zweck nicht angemessen."

Trittfläche ist aus Grabplatten geschnitten

Die Gefahr zu stolpern ist auf jedem Meter des Weges dabei. Stufen glänzen. Wasser steht auf ihnen. Es hat sich hie und da seinen Weg durch den Felsen gebahnt. Tropft von der Decke. Das macht die Steine rutschig. Vor allem die glatten. Manche Stufe wird von Marmor auf der Trittfläche abgeschlossen, der offensichtlich aus Grabsteinen geschnitten wurde. Inschriften geben Hinweise, zu welchem Bürger, Priester oder Adeligen die Platte gehört haben könnte.

Andreas Lainer hangelt sich mit der linken Hand an dem Handlauf aus Holz entlang. Viele Hände haben ihn benutzt. Das zeigt die Oberfläche. Sie fühlt sich an, als wäre sie poliert. Lainers rechte Hand hebt den Stoff des schwarzen Kleids über den Boden. Es gehört zu seinem Habit, der Ordenstracht. Angelegt hat sie der gebürtige Bad Hofgasteiner zum ersten Mal 2001. Zu einer Ordensgemeinschaft wollte er schon als Bub. Als der Entschluss später feststand, gab er seinen Job als Krankenpfleger im Klinikum Schwarzach auf und studierte Theologie. Acht Jahre später weihte Erzbischof Alois Kothgasser ihn zum Priester. Seither lebt, betet und arbeitet er in St. Peter, dem ältesten Kloster nördlich der Alpen. Bischof Rupert hat es 696 gegründet.

Auf dem ersten Treppenabsatz der Katakomben geht Lainer nach rechts und betritt über Holzdielen die Gertraudenkapelle, einen Raum von etwa 80 Quadratmetern. Die natürliche Höhle haben Arbeiter vor Jahrhunderten erweitert. Wie lang das genau her ist, steht nirgendwo. Der Geruch von Zündhölzern und Kerzenwachs liegt in der Luft. Tageslicht fällt durch die Tür in die Kammer. Dazu spenden Baustellenleuchten Licht. Auf dem Boden liegen Steinplatten. In die Wand gegenüber dem Eingang sind sechs Nischen eingelassen. Einst saßen dort die Priester während der Messfeiern.

Bild rechts: Pater Andreas Lainer in der Gertraudenkapelle.
Bild rechts: Pater Andreas Lainer in der Gertraudenkapelle.

Aktuell wird die Kapelle genutzt, wenn Gruppen zum Gottesdienst kommen. Oder wenn die Salzburger vor Weihnachten Rorate feiern. Diese Frühmessen im Advent beginnen um 6 Uhr. Auch wenn die Kirchenbänke während des Jahres in der Stadt leer bleiben, an diesen Dezembermorgen sitzt oder steht auf jedem Platz jemand, der mitbetet. Obwohl die Nacht noch nicht zu Ende ist und der Aufstieg in die Katakomben, vielleicht mit Schnee an den Schuhen, eine Herausforderung darstellt.

Andreas Lainer verlässt die Höhle und kehrt über den Holzsteg zum Stiegenhaus zurück. Die Stufen bis zur Maximuskapelle verlangen Aufmerksamkeit. Die Decke in dem Gang kommt seinem Kopf näher. Er ist nicht mehr so großzügig angelegt wie der vorige. Und nicht so alt. Menschen haben ihn 1659 in den Felsen gehauen. Davor hat sich ein schmaler Weg an der Kante des Mönchsbergs zur zweiten Höhle gezogen. Er begann dort, wo heute die Fassade endet.

Katakomben: ein Ort der Besinnung

Pater Andreas muss keinen Pfad entlang der Mönchsbergkante gehen. Der ist nur mehr zu erahnen. Er kann den Weg im Berg nehmen. Absturzgefahr droht nicht. Aufpassen muss er trotzdem. Er duckt sich. Hebt sein Ordensgewand wieder, damit er die Treppen steigen kann, ohne über das Kleid zu stolpern. 34, 35, 36. Angekommen. Er hat die Stufen mitgezählt und richtet sich auf. Die Höhle am Ende der Katakomben hat - wie die untere - die Natur geschaffen. Zwei Tonaltäre wurden von Baumeister Georg Pezolt um 1860 entworfen und eingebaut, mit der Maximuslegende auf einer lateinischen Inschrifttafel aus 1521. Dennoch nutzen die Benediktiner die Kapelle nicht mehr für Liturgiefeiern.

Aus den Fenstern weit über Lainers Kopf dringt Tageslicht in den Raum. Es erreicht nicht alle Winkel der Maximuskapelle. Doch es fällt auf eine Nische, die anders aussieht als jene in der Gertraudenkapelle. Jemand hat auf Hüfthöhe ein Becken aus dem Stein gearbeitet. Ein Erwachsener würde hineinpassen, wenn er sich hinlegte. Ein Grab? "Von der Form ist es ein Bogengrab. Bestattet wurde aber niemand darin", sagt der Pater. Nachdem Archäologen die Katakomben untersucht hatten, haben sich die Wissenschafter darauf geeinigt, dass das Becken wohl als Liegestatt gedient hat. Immer wieder haben sich Mönche in die Höhle zurückgezogen und als Einsiedler dort gelebt, um dem Trubel der Stadt und dem Gemeinschaftsleben im Kloster zu entkommen.

Dorthin will Pater Andreas Lainer wieder zurückkehren. Seit er im Februar den Posten des Kirchenrektors von St. Peter übernommen hat, muss er Entscheidungen treffen, E-Mails schreiben, koordinieren. Also hebt er seinen Habit mit der einen Hand und umfasst mit der anderen das Geländer an den Treppen. Schritt für Schritt steigt er hinunter.

Unten hat der Friedhofswärter seinen Hochdruckreiniger erneut in Stellung gebracht. Noch hat er nicht alles an Blättern und Geäst erwischt, das vom Mönchsberg gefallen ist. Lainer ist noch nicht außerhalb der Reichweite des Sprühwassers, als das Gerät wieder anspringt.

Öffnungszeiten des Friedhofs und der Katakomben:
April - September:
täglich von 06:30-20:00 Uhr
Oktober - März:
täglich von 06:30-18:00 Uhr

https://www.stift-stpeter.at/de/kloster/index.asp?dat=Friedhof-Katakomben