Gewiss, ein Bier ist stets ein Versprechen für Gemütlichkeit. Ein bisschen zusammensetzen. Ein bisschen ratschen oder fachsimpeln. Und eine kleine Jause dazu. Bei gutem Wetter gar im Gastgarten oder auf Bierbänken unter Obstbäumen auf einer Wiese. Doch die Gemütlichkeit ist auch eine Täuschung.

Es ging vor dem kleinen Bier nämlich ordentlich in die Beine. Und das Bier ist kein Ende, sondern nur Pause. Und nach dem Bier wird das Aufstehen schwer. Nicht wegen des Biers, das ohnehin schnell im Körper verdampft, weil in diesem Körper ja schon rund 50 Kilometer auf dem Rad stecken. Aber es geht weiter. Es hilft nichts, denn bei der Brauerei Pfesch, die auf einem Bauernhof in Treubach zwischen Altheim und Mattighofen betrieben wird, ist erst etwa die Hälfte der Strecke absolviert. Dabei sieht vieles aus wie ein Dahinrollen, wenn man dann wieder unterwegs ist Richtung Ziel, nicht langsam, aber doch entschleunigt. Es gibt zwar Start und Ziel, in diesem Fall bei der Schnaitl-Brauerei in Gundertshausen, denn irgendwo muss man ja zusammenkommen, irgendwo muss das GPS sein Anfangssignal haben. Aber zwischen Start und Ziel existiert hier keine Zeit. Dafür existiert Schönheit.
Giro Biero: Jüngste Vintage-Ausfahrt
So ist das beim Giro Biero. Der Giro Biero ist die jüngste Vintage-Ausfahrt in Österreich. Es geht durchs Innviertel. In nur drei Jahren hat der Giro Biero in Österreich einen fixen Platz eingenommen neben anderen Vintage-Ausfahrten wie In Velo Veritas in Niederösterreich, der Styroica, der Vintage-Tour Wachau oder dem Kirschblüten-Klassiker in der Region um Eferding.
Bei all diesen Ereignissen gilt: Es geht nicht um Bestzeiten. Aber es geht etwa um Mode. Viele sind in historischen Teamtrikots am Start, streifen alte Wolltrikots über. Sie wischen sich den Schweiß unter Kapperln mit dem Aufdruck berühmter Radfirmen oder ehemaliger Rennradprofi-Sponsoren von der Stirn. Sie fahren harte, alte Übersetzungen. Wenn sie schalten, müssen sie an den Rahmen greifen. Die Schuhe sind mit Riemen festgezurrt oder stecken in Körbchen und nicht in einem Klicksystem. Es geht, auch wenn es im Moment einen Boom der Radnostalgie gibt, keineswegs um vergänglichen Zeitgeist. Eher scheint es, als hätte man - ganz wörtlich - zwischen Inn und Hausruck das Rad der Zeit angehalten oder zurückgedreht, ohne dabei die Notwendigkeiten der Gegenwart zwischen Konsumrausch und Klimakrise nostalgisch zu verklären oder gar zu leugnen. Ganz im Gegenteil. Es mag um eine Radausfahrt gehen und doch geht es auch um ein Manifest für die Schönheit des Ewigen und für die Notwendigkeit des Nachhaltigen.

Und es geht über schmale Straßen, durch kleine Dörfer, vorbei an mächtigen Bauernhöfen und kleinen Kapellen. Es geht durch Wälder und über Wiesen und Felder. Und es bleibt - bei den Labestationen und während der Fahrt - genug Zeit für einen kurzen Plausch. Oder auch für ein tiefergehendes Gespräch unter Kennern - und solchen, die es werden wollen.
Die Beine treten schön rund im Takt weiter, während Wortfetzen einer Radwelt heranfliegen, die von Zeitlosigkeit und Liebhaberei und Leidenschaft künden. Manches klingt dann wie heilige Gebote für Rad-Apostel, wie Gesetze aus einer Welt, die einerseits eine große Renaissance erlebt und andererseits gar nie verschwunden war. "Stahl überlebt halt", sagt einer. Und ein anderer streicht fast ehrfürchtig über den Rahmen eines Puch Mistral aus den 1980er-Jahren. "Eine Schönheit", sagt er.
Mutter aller Vintage-Rennen
"Man kommt auch zum Schauen", sagt Hubert Kickinger, einer der Leidenschaftlichen, ein Sammler und Bastler. Radeln und Schauen. Denn ein Rennen ist der Giro Biero, den Kickinger mit dem Vintage Cycling Club aus Ried organisiert, eben nicht. Solche Ausfahrten liegen im Trend. Für viele aber ist es etwas, das sie ohnehin seit jeher tun. So wie für Karl, der aus der Oberpfalz anreiste mit einem wunderschönen Bianchi aus den frühen 1970er-Jahren. "Ich fahre das Rad, seit ich es besitze", sagt er. Und er sagt, dass er es schön finde, dass er das in den vergangenen Jahren immer öfter mit Gleichgesinnten tun kann. "Es zeigt, dass es Dinge gibt, die ihren Wert nicht verlieren - und Stahlräder gehören dazu", sagt er. Die Community wächst und der Giro Biero wächst auch. Zweihundert Vintage-Liebhaber waren im vergangenen Jahr am Start. Bei anderen Rennen sind es schon Tausende. Und bei der Mutter aller Vintage-Rennen gibt es mittlerweile eine Teilnehmerbegrenzung, weil Tausende kommen wollen.

Das Vorbild aller Vintage-Ausfahrten ist L'Eroica. L'Eroica, das ist in Radkulturkreisen ein Zauberwort für Vintage-Fans. L'Eroica in Gaiole in Chianti in der Toskana, das ist die Mutter dieser Art von Radausfahrten. Mittlerweile gibt es auch in anderen Ländern Eroica-Ableger. 1997 gab es die erste Ausgabe in der Toskana. Und neben der Leidenschaft für alte Fahrräder spielt auch die kulinarische Versorgung in der Toskana eine Rolle für die Attraktivität. Denn eine Vintage-Ausfahrt teilt die Strecken quasi in Etappen, deren Zwischenstationen Labestationen sind mit lokalen Köstlichkeiten. Die Leidenschaft beschränkt sich eben nicht auf das technische Gerät. Es geht auch um die Bewegung durch eine schöne Umgebung, um das Entdecken von Eigenheiten und Besonderheiten in geo- grafischen Ecken, die sonst meist nur den einheimischen Pedaleuren bekannt sind.
"Sicher fahren alle wegen des Fahrens, aber die Landschaft und das Rundherum spielen schon auch eine recht wichtige Rolle", sagt Kickinger. Und so ist der Name Giro Biero eben auch Programm in einer Region, in der Bier schon immer zu den Lebenssäften gehört - und wo das Bierbrauen wie das Vintage-Radeln einen Boom erlebt.
Fremde werden dann für ein paar Kilometer zu Verbündeten. Gleiche im Geist des Rennrades finden sich, fahren gemeinsam ein Stück, verlieren sich wieder oder halten gemeinsam an einer der Labestellen. Niemand würgt sich dort einen Instant-Müsliriegel hinunter oder schüttet ein isotonisches Getränk aus der Dose hinunter. Durch das Innviertel radelt man - auf Runden mit Namen wie "Pfiff", "Märzen" und "Doppelbock" - auf der Spur des ortsüblichen Stärkungsgetränks. Dazu gibt es herzhafte Weckerl mit kaltem Schweinsbraten. Es gibt Bauernkrapfen und deftige Krautsuppe. Es geht über Hügel hinein in regionale Lebensart. Beim Essen wird deutlich, was man auf dem Rad spürt: Das Innviertel kann eine raue Gegend sein.
Start im September in Schärding
Beim Giro Biero ist heuer im September die dritte Ausgabe geplant. Im September wird in Schärding gestartet, einer Stadt wie gemacht für die namensgebende Grundidee. Zwei große, unabhängige Brauereien - Kapsreiter und Baumgartner - gab es hier. Baumgartner überlebte. Und in der Umgebung wachsen, wie im ganzen Innviertel, seit einiger Zeit wieder kleine Brauereien. Gestartet wird am Inn, wo auf einem Schiff das "Kanonenbräu" gebraut wird. Und es wird - wie schon die bisherigen Ausgaben - mitnichten ein lockeres Rollen. Das Innviertel mag keine Berge haben. Aber es folgt Hügel auf Hügel. Das Innviertel ist ein bisschen so etwas wie das österreichische Flandern, das belgische Herzstück des Rennradfahrens. Dementsprechend sollte so eine "Ausfahrt" nicht unterschätzt werden.

"Ich war noch nie da, kenne die Gegend gar nicht und bin jetzt froh, dass ich aus dem Waldviertel stamme", sagt Hans. Es geht hinauf zur kleinen Wallfahrtskirche Hart. Ein passender Name für den Hügel, der zu ihr hinaufführt. Und während er im Aufstieg "ein bisserl Kräfte sparen will für den Rest der Strecke", sagt Hans: "Ich hab nicht gedacht, dass es da auch so hinauf- und hinuntergeht wie bei mir daheim."
Es reicht eben nicht, einfach nur aufzusteigen. Spitzensportler muss man nicht sein, um den Giro Biero zu bewältigen, die kleine Runde schafft jeder. Es schadet aber nicht, halbwegs fit zu sein, um die mittlere und lange Strecke zu bewältigen. Und eine halbwegs gute Radbeherrschung schadet auch nicht.
Gegenseitige Wertschätzung
Die traditionell dünnen Reifen müssen auch über Schotter und in manche rasante Abfahrt. Gut, dass es auf den kleinen Straßen nie darum geht, dass man schneller als andere fährt. Niemand sucht einen idealen kurzen, steilen Stich, an dem er attackieren kann. Keiner stiehlt sich in der Deckung von Büschen oder engen Kurven heimlich davon. Es ist kein Rennen. Es ist keine Schlacht und kein Kräftemessen. Stattdessen passt jeder auf die anderen auf. Die gegenseitige Wertschätzung bezieht sich weniger auf die Muskeln der anderen als auf die Geräte, mit denen man hier unterwegs ist, und deren Geschichte. Und zur Not gibt es dann auch Niki Fleisz, eine Mechanikerlegende. Er sorgt in einem Begleitfahrzeug für schnelle Hilfe und steht auch im Start-Ziel-Gelände mit Rat und Tat, Werkzeug und Ersatzmaterial zur Seite. Und obwohl er seit Jahren in der Szene arbeitet, muss auch er immer wieder staunen über die Schönheit der Räder und über manches seltene Stück. Da werden echte Schmuckstücke bewegt und wiederbelebt. Auch das sei ein wichtiger Aspekt, sagt Organisator Kickinger. "Manches, was da unterwegs ist, stammt aus Kellnern und Abstellkammerln, lag lang im Staub, weil es keiner brauchte", sagt er. Und er freut sich, dass sich jetzt auch im städtischen Verkehr wieder "so viele alte, schöne Räder" sehen lassen. Dazu wächst die Zahl kleiner Fachhändler oder privater Tüftler in Hinterhöfen. Auf Flohmärkten und im Internet steigen auch die Preise für Originalteile. Und mit einem Giro-Biero-Flohmarkt begann heuer im März auch die Saison. Freilich kommen da viele, die Ersatzteile suchen. Viele kommen aber auch, um zu staunen, wie schön das Alte sein kann, weil es sich, einmal in Bewegung gebracht, nach Ewigkeit und Unverwüstlichkeit anfühlt. Im Gegensatz zu der Kraft in den Beinen, die der harten Übersetzung auf den letzten Hügeln doch Tribut zollen müssen, aber sich dann erholen können unter dem Wirtshaustisch, auf dem ein Bier steht.

Infos und Anmeldung für den Giro Biero 2022 am 18. 9. in Schärding: www.girobiero.org
E-Mail: info@girobiero.org