SN.AT / Leben

Pilzburger statt Fleischlaibchen

In Niederösterreich wurde aus einem Garagen-Start-up eine innovative Pilzfarm. Die Firma Vitus Vitality kultiviert tonnenweise Kräuterseitlinge, Shiitakes, Austernpilze und einen Sonderling.

Mitte: Vitus-Vitality-Salesmanager Daniel Schwarz. Links und rechts: Pilze als Grundlage für vegane Gerichte.
Mitte: Vitus-Vitality-Salesmanager Daniel Schwarz. Links und rechts: Pilze als Grundlage für vegane Gerichte.

In Perschling, im Herzen Niederösterreichs, produziert die Firma Vitus Vitality Bioedelpilze. Sie liegen im Trend der asiatischen Küche und dienen als Fleischersatz mit Proteinen, Aminosäuren und Ballaststoffen. Die Schwammerlproduktion begann als Garagen-Start-up.

Firmengründer Michael Doppler habe bei Dienstreisen als Anlagentechniker die asiatische Lebenskultur kennengelernt, in der Pilze Grundnahrungsmittel seien wie bei uns Kartoffeln, erklärt Salesmanager Daniel Schwarz. "Michael wollte ein nachhaltiges Produkt machen. Er wusste, für die Zucht von Pilzen eignet sich Kaffeesatz." Im Keller seines Hauses und einer 20 Quadratmeter großen Scheune startete Doppler im Jahr 2013 die ersten Versuche. Familienangehörige und Freunde halfen bei dem Experiment. Doch die idealen Wachstumsbedingungen zu schaffen war dann doch nicht ganz so einfach - die laienhafte Beobachtung, dass Pilze sprießen, sobald man Lebensmittel sich selbst überlässt, genügte nicht.

Der Affenkopfpilz ist unverträglich

"Wir kamen bald drauf, dass es mit Kaffeesud nicht so gut geht", erzählt Schwarz. Man habe sich intensiver damit beschäftigen müssen, besuchte Pilzfarmen im Ausland, sprach mit Substratherstellern. Irgendwann produzierte die Crew um Doppler 10 bis 20 Kilogramm in der Woche, verschenkte die Pilze an Verwandte, Freunde, Nachbarn. Es mundete, so Schwarz. "Denen sind die Schwammerl bei den Ohren herausgewachsen." Auch Gastronomen reagierten gut - "cool, ist bio, schmeckt, ich nehm euch was ab". Schließlich wurde der Handelsriese Spar auf die Pilze aus Niederösterreich aufmerksam. Doppler mietete eine Halle an, zog mit drei Mitarbeitern 200 bis 300 Kilogramm Edelpilze pro Woche.

"Das abgeerntete Substrat wird an Bioschweine verfüttert."
Daniel Schwarz
Salesmanager

Ein Wendepunkt war, als eine niederösterreichische Kühlhaus- und Hallenbaufirma genau die Räumlichkeiten konstruierte, die Pilze in Sachen Klima, Luftfeuchtigkeit, Licht und Temperatur lieben. 2016 wuchsen in Dopplers Pilzfarm bereits 800 Kilogramm Edelschwämme pro Woche. Heute sind es vier bis fünf Tonnen, so Daniel Schwarz, und es könnten noch mehr sein. Doch man beschränkt sich auf vier Sorten: Kräuterseitlinge, Shiitakes, Austernpilze und Pom-Pom blanc. Letzterer sieht aus wie ein zusammengerolltes Tier mit Mähne oder ein Interior-Design aus Bouclé-Material. Der Pilz wird deshalb auch Igelstachelbart, Affenkopfpilz oder Löwenmähne genannt und ist, wie erwartet, sehr eigen. "Der Pom-Pom wächst auf Baumrinden. Er toleriert die Nähe anderer Pilze nicht. Dann stellt er das Wachstum ein", so Experte Schwarz. Pilze sind innerhalb der Natur eine eigene Welt, ein eigenes Reich mit vielen noch nicht entschlüsselten Geheimnissen. Kleiner Exkurs:

Das geheime Reich der Pilze

Pilze sind keine Pflanzen, wie man lange glaubte. Sie gelten als eigene Spezies und sind nach heutiger Erkenntnis näher mit Tieren verwandt, da sie sich von organischen Substanzen aus der Umgebung ernähren.

Myzel überträgt elektrische Impulse

Pilze besitzen fantastische Fähigkeiten. Sie bilden weit verzweigte Netzwerke, die riesig groß und sehr alt werden können. Man hat zusammenhängende Geflechte von über einem Quadratkilometer gefunden. Manche Forscher glauben sogar, dass es ein verborgenes weltumspannendes Myzel gibt. Das Myzel ist der Vegetationskörper. Aus ihm wachsen wundersame Geflechte, sie erinnern an Bärte mit hauchfeinen Haarfäden, andere sprießen kugelförmig oder zylindrisch, manche sind Scheingewebe. Im Wald gibt es unterirdische Pilznetzwerke, die miteinander kommunizieren. Das Myzel kann wie menschliche Nerven elektrische Impulse übertragen. Wenn der Mensch die Erde verlassen hat, so glauben manche, übernehmen die Pilze. Zurück in die Welt der Kulinarik.

Delikatesse für Gourmets

Pilzkonsum, das bedeutet in Österreich traditionell die beliebten Eierschwammerl mit Knödeln oder Eiern oder panierte Steinpilze. Manche holen sich die Delikatesse aus dem Wald oder vom Markt. Mutige wagen sich auch noch an den Parasol, einen Champignon-Verwandten, der leicht mit dem tödlich giftigen Knollenblätterpilz zu verwechseln ist. All die Probleme hat man mit indoorproduzierten Edelpilzen nicht. Sie wachsen in Perschling auf Buchenspänen aus zertifiziertem Abbau. Nur eine Handvoll Unternehmen stellt Substrate her, mit denen ganz Europa beliefert wird.

Der (teurere und empfindliche) Affenkopfpilz eignet sich auch für Gourmetküche. Er schmeckt nussig und hat eine fluffige Konsistenz. Eingelegt oder scharf angebraten, schmeckt er wie eine Maishendlbrust. Der Shiitake kommt dem heimischen Waldpilz am nächsten. Er hat die Geschmacksqualität "umami": weder süß noch sauer, salzig oder bitter, sondern, wie man in Japan sagt, "fleischig, herzhaft und wohlschmeckend". Der Kräuterseitling erinnert an den Steinpilz. Sein festeres Fleisch lässt sich gut verarbeiten. Seitling schmeckt hervorragend in Butter geschwenkt, man kann ihn auch in Haferflocken panieren. Austernpilze werden gerne mariniert mit Sojasoße, Sauerrahm und als Kalbfleischersatz gegessen. Die Pilzburger (auch Pattys) werden aus dem sogenannten Pilzhäuptling gemacht, dem Leitpilz auf dem Substrat, der bis zu 120 Kilogramm schwer werden kann und zum Convenience-Produkt verarbeitet wird. Ohne Soja und Bindemittel. Man will die E-Nummern, mit denen Zusatzstoffe gekennzeichnet sind, so gering wie möglich halten.

Pilze als Grundlage für vegane Gerichte.
Pilze als Grundlage für vegane Gerichte.

Spiceworld und Biogena als Partner

Mittlerweile sind die Salzburger Gewürzfirma Spiceworld und der Gesundheitskonzern Biogena Kooperationspartner der niederösterreichischen Pilzzüchter (was eine Namensänderung von "Schwammerlprinz" in die Marke Vitus Vitality mit sich brachte). Ein schöner Fußabdruck sei extrem wichtig, meint Daniel Schwarz. "Das abgeerntete Substrat kommt zu Biobauern, die es an die Schweine verfüttern. Die Spanreste werden dabei in den Boden eingearbeitet."

Die Grazer Universität bemüht sich aktuell um die Idee, aus den Spanresten Pellets zu machen. 23 Mitarbeiter sind in der Pilzfarm in Perschling beschäftigt. Vor der Arbeit sitzen alle, auch der Chef, gemeinsam beim Frühstück. Pilze und Menschen - sie alle brauchen ihr gedeihliches Substrat.